Bochum. Täglich gibt es eine halbe Million neue Schadsoftware-Varianten. Vmray schützt Regierungen. Ruhrgebiet ist Hotspot für Cybersicherheit.
Ob Krankenhäuser, Stadtverwaltungen oder Hochschulen – nahezu täglich werden neue Cyberangriffe bekannt, die Institutionen zum Teil für Wochen lahmlegen. Das Bochumer Start-up Vmray hat eine Software entwickelt, die besonders anfällige Geheimdienste, Regierungen und Großkonzerne schützen soll. Die Nachfrage ist riesig.
Carsten Willems hat sich schon während seiner Zeit als Student in Bochum mit dem großen Thema Datensicherheit beschäftigt. Was er erzählt, klingt erschreckend. „Täglich gibt es weltweit rund 500.000 neue Schadsoftware-Varianten“, beschreibt der Mitgründer von Vmray die aktuelle Bedrohungslage. „Diese neuartigen Angriffe sind unser Geschäft.“
Das Start-up, das im Jahr 2014 als Ausgründung aus der Ruhr-Universität Bochum entstanden ist, hat sich auf den Schutz von Institutionen spezialisiert, die durch Cyberangriffe besonders verwundbar sind. Namen darf Willems aus Sicherheitsgründen nicht nennen, wohl aber Branchen. „Mit unserer innovativen Software können Geheimdienste, Polizei, aber auch Konzerne schneller auf Cyberangriffe, Spionage und Sabotage reagieren“, sagt der Firmenchef. „Je schneller der Angriff erkannt wird, desto mehr lässt sich der Schaden minimieren.“
„Russische Bots verbreiten gerade Geschichten über die AfD“
Willems hat tiefe Einblicke in die Welt der Hacker. „Neben der organisierten Kriminalität sehen wir zunehmend auch politische Akteure, die sabotieren, spionieren und desinformieren“, berichtet er. „Wir beobachten die Unterstützung von kriegerischen Handlungen. Wasserwerke, Bahnstrecken und andere kritische Infrastruktur werden durch Cyberangriffe lahmgelegt. Die letzte US-Präsidentschaftswahl war von Russland beeinflusst. Russische Bots verbreiten gerade Geschichten über die AfD.“
Mit all diesen Bedrohungen beschäftigen sich bei Vmray inzwischen rund 130 Mitarbeitende, die etwa 350 internationale Kunden betreuen. „Auf unser Büro in Boston konnten wir deshalb inzwischen verzichten, obwohl die meisten unserer Kunden in den USA sitzen“, erzählt der Geschäftsführer. Die Fokussierung auf die Zentrale in Bochum will Willems durchaus als Ehrerbietung für den Standort Ruhrgebiet verstanden wissen. „Das Ruhrgebiet hat für mich sehr viele Vorteile – Lebenshaltungskosten, Hochschuldichte, Fachkräfte, Malochermentalität. Hier ist es einfach nicht so abgehoben wie etwa in Berlin“, schwärmt der IT-Spezialist.
Einen Wermutstropfen will Willems dann aber doch nicht verschweigen. „Bei der Bereitstellung von Wagniskapital sehen Start-ups in Deutschland noch schlechter aus gegenüber denen in USA und Israel. Dort gibt es viel mehr Investoren und Ausgründungen“, sagt er. Doch auch in finanzieller Sicht hat es Vmray selbst gut angetroffen und früh einen Geldgeber gefunden. „E-Capital war einer der ersten Geldgeber, die das Thema IT-Sicherheit erkannt haben“, erklärt der Gründer.
Der Venture-Capital-Fonds aus Münster hat die Cybersicherheit zu einem Kernthema seiner Invests erklärt. „Cybersicherheit ist neben dem großen Thema Nachhaltigkeit eine der großen Herausforderungen unserer Zeit“, sagt Dirk Seewald und spricht potenziellen Gründern Mut zu. „Es ist attraktiv, Cybersicherheit-Unternehmer zu werden. Die Branche in Deutschland wächst jährlich um zehn Prozent, in Europa noch schneller“, meint der Partner von E-Capital und nennt eine beeindruckende Zahl: Danach werden aktuell weltweit mehr als drei Millionen Cyber-Experten gesucht. Seewald rät: „Wer eine Idee hat, soll gründen. Es gibt ausreichend Fördermöglichkeiten. Gute Teams kommen immer an Geld heran.“
Chancen dafür sieht man bei E-Capital durchaus auch an Rhein und Ruhr. „Das Ruhrgebiet bietet mit den Standorten Dortmund, Gelsenkirchen, Duisburg, Mülheim, Essen und Bochum eine ideale Infrastruktur. Bochum – und nicht München, Karlsruhe oder Darmstadt - ist das einzige Exzellenzzentrum für Cybersicherheit in Deutschland“, sagt Willi Mannheims, übt aber zugleich auch Kritik an der Region.
„Der Nachteil ist, dass sich das Ruhrgebiet schlecht vermarktet und die Standorte so sehr verstreut sind“, meint der Gesellschafter und Partner von E-Capital. In den USA oder Israel sei das völlig anders. Mannheims fordert deshalb: „Beim Marketing muss das Ruhrgebiet unbedingt seine Technologien nach vorn stellen und nicht die Autobahnanschlüsse als Beispiele für die günstige Verkehrsanbindung.“ Und er hat auch gleich einen Rat parat: „Es muss die Botschaft herüberkommen: Wir im Ruhrgebiet sind groß und stark. Wir können bei der Cybersicherheit das Gleiche bieten wie etwa Tel Aviv. Das muss viel häufiger in der Presse stehen.“
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