Essen. Mit Themen wie Datensicherheit und Wasserstoff will das Ruhrgebiet gemeinsam um Investoren und Fördermittel werben. Warum Pittsburgh Vorbild ist.

Lange mussten sich die Ruhrgebietsstädte den Vorwurf gefallen lassen, Eigeninteressen vor das Wohl der Region zu stellen. Bei der Wirtschaftsförderung soll sich das nun merklich ändern. Mit sechs definierten „Spezialisierungsthemen“ vom Wasserstoff bis zur Gesundheitswirtschaft wollen die 53 Kommunen künftig gemeinsam auf die Jagd nach neuen Arbeitsplätzen und innovativen Unternehmen gehen. Warum es künftig mehr auf größere Regionen und nicht auf einzelne Städte ankommt, hat aber auch einen anderen Grund.

Auch interessant

Um auf diesem Weg neue Partner zu finden, reiste kürzlich eine Wirtschaftsdelegation aus dem Ruhrgebiet nach Nordamerika. Der Trip nach Toronto und Pittsburgh war für die Vertreter aber nicht nur wegen des internationalen Flugchaos eine Strapaze. In vier Tagen wollte man eine „Innovation Bridge“ in die USA und Kanada schlagen. Ähnliche Verbindungen gibt es bereits nach China, Israel und in die Niederlande. Bei der Landung in Pittsburgh stießen die Gäste aus dem Revier gleich auf vertraute Fotos von der Stahl- und Kohlevergangenheit der Region im US-Bundesstaat Pennsylvania.

Vorbild für das Ruhrgebiet? Ex-Stahlstadt Pittsburgh drückt Arbeitslosigkeit auf vier Prozent

„Während des industriellen Niedergangs in den 80er-Jahren gab es dort mehr als 18 Prozent Arbeitslosigkeit. Jetzt liegt die Quote bei vier Prozent. Die Region hat es geschafft, sich ganz auf Maschinenbau, Wasserstofftechnologien und Cybersicherheit auszurichten“, berichtet Julia Frohne, Geschäftsführerin der Business Metropole Ruhr GmbH (BMR), die selbst mit vor Ort war.

podcast-image

Auch das Ruhrgebiet ist bei diesen Zukunftsthemen gut unterwegs. Die hiesige Arbeitslosigkeit liegt im Durchschnitt aber noch bei knapp zehn Prozent, mancherorts sogar weit darüber. Dabei gibt es Erfolgsgeschichten wie die Bosch-Tochter Escrypt oder VW Infotainment, die sich in Bochum mit der Vernetzung und Datensicherheit von Autos beschäftigen und damit rasant wachsen. „Wenn IT und Industrie verschmelzen, entstehen Lösungen für die großen Fragen wie Mobilität, Digitalisierung und nachhaltige Energie“, sagt Tobias Nadjib, einer der beiden Geschäftsführer von VW Infotainment und Teilnehmer der Delegation.

Bochum, Gelsenkirchen, Dortmund, Essen bei IT-Sicherheit vorn

Ebenso wie Heimo Krum, stellvertretender Digitalchef der Funke Mediengruppe in Essen: „Pittsburgh war auch mal eine Stahlstadt. Die Carnegie Mellon School dort war 1988 die erste Hochschule, die Computerwissenschaften gelehrt hat. Ausgangspunkt für neue Technologien sind meist die Universitäten“, erklärt er und fand vor Ort seinen Eindruck bestätigt: „Bei Künstlicher Intelligenz und Cyber Security sind die Amerikaner ein Stück weiter als wir Europäer.“ Dort probiere man Dinge einfach mal aus.

Auch interessant

Eine Mentalität, die in Deutschland nicht so weit verbreitet zu sein scheint. Aber auch im Ruhrgebiet sieht es bei Datensicherheit und Künstlicher Intelligenz gar nicht so schlecht aus. Einer aktuellen Auswertung der BMR sitzen gemessen an der Zahl der Unternehmen und Beschäftigten besonders viele Pioniere der IT-Branche in Bochum, Gelsenkirchen, Dortmund und Essen. Entwicklungspotenziale auf diesen Feldern sieht man zudem in Duisburg, Mülheim und Hagen.

Einzelne Städte für internationalen Wettbewerb zu klein

Cybersicherheit und Künstliche Intelligenz sind aber nur eines der sechs „Spezialisierungsthemen“, mit denen das Ruhrgebiet ab sofort im Schulterschluss punkten will. Hinzu kommen Grüne Technologien/Wasserstoff/Kreislaufwirtschaft, Neue Industrie, Intelligente Logistik, Smart City und Gesundheitswirtschaft.

Auch interessant

„Eine einzelne Stadt ist zu klein, um im internationalen Wettbewerb mitzuhalten. Deshalb müssen wir internationalen Investoren sagen können, wofür das Ruhrgebiet steht. Die Spezialisierungen haben wir ja schon“, erklärt BMR-Geschäftsführerin Frohne. „Unsere Spezialisierungsthemen brauchen wir auch, um bessere Chancen auf EFRE-Fördergelder aus Brüssel zu erhalten“, fügt die Wirtschaftsförderin hinzu. Denn die Vergabe von Mitteln aus dem milliardenschweren Europäischen Fonds für regionale Entwicklung will die EU-Kommission demnächst unter anderem an eine sogenannte Strategie der intelligenten Spezialisierung für Regionen knüpfen. Eine wichtige Voraussetzung für Nordrhein-Westfalen und das Ruhrgebiet, um in Zukunft Fördergelder zu erhalten.

„Unternehmer gehen dahin, wo sie Talente finden“

Frohne ist sich bewusst, dass die Konkurrenz groß ist: „Der Wettbewerb zwischen den Regionen ist härter geworden. Das haben wir auch in den USA und Kanada gesehen.“ Und dieser Wettbewerb dreht sich zunehmend um den Faktor Mensch. „Unternehmen wollen die besten Köpfe haben. Deshalb gehen sie dahin, wo sie diese Talente finden – an Standorte von Hochschulen und Wissenschaftsinstituten“, sagt sie. Da sei das Ruhrgebiet mit seiner Hochschuldichte und Internationalität bereits sehr gut aufgestellt.

Auch interessant

Mit den neu definierten Themenfeldern will sich die Metropole Ruhr nun daran machen, im Schulterschluss Fördermittel einzuwerben, aber auch Investoren, Start-ups und junge Unternehmen in der Wachstumsphase anlocken. „Die Strategie ist richtig, dass nicht mehr alle Ruhrgebietsstädte versuchen, das Gleiche zu machen, sondern Schwerpunkte zu bilden“, betont Frohne. Im Herbst erwartet sie übrigens Gegenbesuch im Ruhrgebiet: eine Delegation aus der IT-Schmiede Silicon Valley.

Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier: