Essen. Das Geschäft mit Proteinprodukten in Supermärkten boomt – doch worauf sollten Kunden achten? Eine Essener Ernährungsberaterin hat die Antwort.

„Unser Quark, jetzt neu, mit viel Protein und wenig Zucker – hier im Kühlregal“, hallt aus den Lautsprechern im Edeka-Markt. Am Kühlregal angekommen, sind die Produkte nicht zu übersehen. Meist auf Augenhöhe und in schwarzen Verpackungen angeboten, stehen sie – Proteinpudding, Quark, Joghurt. Sogar auf Eiskaffees oder Toastbroten gibt es Hinweise wie „High Protein“, „reich an Protein“ oder „viel Eiweiß“. Doch sind Produkte mit vermeintlich extra viel Eiweiß überhaupt nötig? Und gesund?

Rewe, die zweitgrößte Supermarktkette Deutschlands, erklärt auf Anfrage dieser Redaktion, warum sie seit einigen Jahren derartige Proteinprodukte in ihrem Sortiment hat: „Produkte mit hervorgehobener High-Protein-Rezeptur folgen dem Bedeutungszuwachs von gesundheitsbewusster Ernährung in der Bevölkerung. Darauf haben Ernährungsindustrie und die Händler reagiert und mit Produktinnovationen das Angebot geschaffen“, erklärt Rewe. Experten sehen das kritisch und sprechen von überteuerten Trendprodukten.

podcast-image

So wie Heike Stumpf: Die 50-Jährige ist seit 20 Jahren selbstständige Ernährungsberaterin in Essen und betreut sowohl Sportler als auch Normalverbraucher. Unabhängig vom individuellen Proteinbedarf eines jeden Menschen seien Proteinprodukte wie Puddings, Brote oder Shakes der falsche Weg, den eigenen Eiweißbedarf zu decken.

Essen: Ernährungsberaterin warnt vor Verdauungsproblemen durch Proteinprodukte

Dass viele Menschen sich darüber Gedanken machen, wie viel Eiweiß sie zu sich nehmen, sei laut Stumpf durchaus berechtigt. „Die meisten Menschen essen tendenziell zu wenig qualitativ hochwertiges Protein. Da liegt der Griff zu speziellen Proteinprodukten erstmal nah.“ Doch Protein sei nicht gleich Protein, wie die Expertin weiß.

Die Essener Ernährungsberaterin Heike Stumpf verrät, worauf man bei Proteinprodukten achten sollte. 
Die Essener Ernährungsberaterin Heike Stumpf verrät, worauf man bei Proteinprodukten achten sollte.  © Heike Stumpf

Sie hat einen einfachen Tipp für Verbraucher: Je verarbeiteter ein Lebensmittel ist, desto schlechter ist es für den Körper. „Meist wird solchen Produkten ein Milchprotein zugesetzt, das der Körper nicht als wertig erkennt und deshalb nicht gut verarbeiten kann“, sagt Stumpf. Die zugesetzten Süßstoffe seien ebenfalls ein Problem. „In ihrer Zusammensetzung sind spezielle Proteinprodukte daher ungünstig für die Darmflora.“ Das sieht die Ernährungsberaterin auch bei ihren Patienten – „wir merken, dass Magen-Darm-Beschwerden in der Bevölkerung zunehmen, das liegt auch an solchen verarbeiteten Lebensmitteln.“

Lidl und Edeka sehen gestiegenes Interesse an Proteinprodukten bei ihren Kunden

Neben Rewe bestätigen auch Lidl und Edeka, dass sie bei ihren Kunden in den letzten Jahren ein gestiegenes Interesse an Proteinprodukten erkannt hätten. Also bedienen sie diese Nachfrage. Laut Lidl seien neben Proteinriegeln vor allem Proteinpuddings sehr beliebt.

Keine gute Entwicklung, findet die Verbraucherzentrale Hamburg, die sich schwerpunktmäßig mit Lebensmitteln beschäftigt. Sie rät von derartigen Lebensmitteln ab. Dabei handele es sich um eine „reine Marketingmasche“, sagt Armin Valet, Ernährungsexperte bei der Verbraucherzentrale.

Marktcheck: Proteinprodukte teilweise doppelt so teuer wie Vergleichsprodukte

Das Problem: Für Laien sei der wahre Proteingehalt der beworbenen Produkte nur schwer zu beurteilen. Wer Proteinprodukte kauft und die Proteinwerte auf der Verpackung liest, könnte denken, dass er viel Eiweiß zu sich nimmt, was nicht immer der Fall ist“, so Valet.

Das steckt hinter den Werbeangaben der Hersteller

Auf vielen Proteinprodukten sind Bezeichnungen wie „High Protein“ oder „reich an Protein“ zu lesen. Wann ein Hersteller sein Produkt mit diesen Versprechen bewerben darf, ist in der Health Claims Verordnung des Europäischen Parlaments festgelegt. Sie reguliert nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben auf Lebensmitteln.

Ein hoher Proteingehalt ist demnach gegeben, wenn das Eiweiß mindestens 20 Prozent des Brennwertes eines Lebensmittels ausmacht. Um als Proteinquelle beworben werden zu dürfen, muss ein Produkt zu zwölf Prozent aus Eiweiß bestehen.

Im letzten Jahr untersuchte die Verbraucherzentrale 59 Produkte mit Proteinwerbung und 57 Vergleichsprodukte ohne explizite Proteinwerbung. Das Ergebnis der Untersuchung: Nicht in allen Proteinprodukten steckte tatsächlich mehr Eiweiß als in den Vergleichsprodukten.

Deutlich waren hingegen die Unterschiede bei den Preisen. 49 von 59 Proteinprodukten waren teurer als das Vergleichsprodukt ohne Proteinwerbung. Jedes fünfte Produkt im Test kostete sogar doppelt so viel, heißt es im Fazit der Experten. Dabei seien Proteinprodukte für Normalverbraucher überflüssig, wie Valet betont: „Wir raten Verbrauchern, Proteinwerbung zu ignorieren und stattdessen auf natürliche Lebensmittel zurückzugreifen.“

Essener Ernährungsberaterin: „Ein Omelett hat so viel Eiweiß wie drei Proteinpuddings“

Heike Stumpf ist derselben Meinung. „Proteinpuddings können höchstens eine kurzzeitige Alternative zur Süßigkeit oder dem Dessert sein“, sagt Ernährungsberaterin Heike Stumpf. „Es geht darum, den Eiweißbedarf über eine ausgewogene Ernährung zu decken.“ Eier, Nüsse, hochwertiges Fleisch und naturbelassene Milchprodukte wie körniger Frischkäse oder Mozzarella sind die Tipps der Ernährungsexpertin. „Ein Omelett enthält zum Beispiel so viel Protein wie drei Proteinpuddings. Kartoffeln mit Quark sind ebenfalls ein einfacher Weg, proteinreich zu essen“, so Stumpf.

0,8 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) pro Tag für gesunde Erwachsene zwischen 19 und 65 Jahren. Für ältere Menschen liegt die geschätzte Empfehlung bei einem Gramm Protein pro Tag.

Doch was, wenn sich der Bedarf allein durch eine ausgewogene Ernährung nicht decken lässt? Zum Beispiel, weil der Bedarf durch Leistungssport oder Darmkrankheiten wie Morbus Crohn erhöht ist? Nicht alle Proteinprodukte seien zwingend ungesund, sagt Heike Stumpf. „Proteinriegel, die Nussmus als Basis haben, sind nicht unbedingt schlecht. Auch Proteinpulver können hilfreich sein.“

Ernährungsberaterin empfiehlt: Besser auf Proteinprodukte verzichten

Bei den Proteinpulvern käme es aber besonders auf die Zusammensetzung an. „Protein-Isolate kann der Körper gut verwerten. Für Veganer eignen sich Pulver aus Erbsenprotein.“ Wer über die feste Nahrung nicht genug Eiweiß zu sich nimmt, könne auf flüssige Varianten zurückgreifen. Auch dann seien natürliche Lebensmittel aber die bessere Wahl, wie Stumpf betont: „Besser Buttermilch mit einem hochwertigen Proteinpulver verfeinern, statt den Protein-Kaffee aus dem Kühlregal zu nehmen.“

Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier:

Das Fazit der Ernährungsberaterin: Egal ob Normalverbraucher oder Sportler, nötig seien Proteinprodukte nicht. Wer nicht darauf verzichten möchte, sollte auf hochwertige Proteine und die Zusammensetzung der Lebensmittel achten. Was Heike Stumpf aber besonders wichtig ist: „Proteinprodukte können immer nur eine Ergänzung sein und eine ausgewogene Ernährung niemals ersetzen.“