Essen. RWE will Kohlendioxid aus britischen Gaskraftwerken unter der Nordsee einlagern. Habeck will das für Deutschland erlauben - gegen grüne Kritik.

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Um 2030 wirklich aus der Kohle aussteigen zu können, braucht Deutschland neben stärkeren Netzen und einem nie dagewesenen Ökostrom-Zubau vor allem eines: viele neue Gaskraftwerke. Was die Gaskrise im Zuge des russischen Überfalls auf die Ukraine eine Zeit lang hat vergessen lassen, wird nun umso dringender. Um auch ohne Kohle genügend regelbaren Strom zu haben, der das Land durch Dunkelflauten bringt, müssen bis 2030 Dutzende neue Gaskraftwerke gebaut werden.

Sie stoßen deutlich weniger CO2 aus als Steinkohle- und erst recht Braunkohlekraftwerke. Klimaneutral laufen können sie aber erst, wenn statt Erdgas grüner Wasserstoff (H2) verbrannt wird. So lautet das Ziel der Bundesregierung, für das jedoch zuerst die H2-Infrastruktur stehen und genügend Wasserstoff produziert oder importiert werden muss. Da ihnen bei der Energiewende die Zeit davonläuft, entdecken Wirtschaft und Politik nun die alte CCS-Technik wieder, mit der das Kohlendioxid (CO2) am Ende des Produktionsprozesses abgeschieden und anschließend unterirdisch gespeichert wird.

Deutschland braucht 50 neue Gaskraftwerke

Bundesweit werden bis 2030 zusätzliche 25 bis 30 GW Gasstrom-Kapazität gebraucht, damit auch die letzten Kohlemeiler vom Netz gehen können, das entspricht je nach Größe der Blöcke 30 bis 50 Kraftwerken. RWE als mit Abstand größter Erzeuger in Deutschland hat der Regierung den Zubau von drei GW zugesagt, auch als Voraussetzung für den auf 2030 vorgezogenen Braunkohleausstieg, auf den sich RWE mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und NRW-Ministerin Mona Neubaur (beide Grüne) verständigt hat. Dafür geeignet sieht der Essener Dax-Konzern vor allem bisherige Standorte von Kohlekraftwerken in NRW.

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Konzernchef Markus Krebber betont jedoch bei jeder Gelegenheit, dass die Regierung zuerst klären müsse, wie der Strom aus den wahrscheinlich schlecht ausgelasteten Gaskraftwerken bezahlt wird. RWE pocht darauf, nicht nur für tatsächlich erzeugten Strom Geld zu erhalten, sondern auch für das Vorhalten der Kraftwerke, die nicht laufen werden, wenn genügend Wind weht und die Sonne scheint. Zweitens müsse sichergestellt sein, dass die Wasserstoff-Infrastruktur an den Kraftwerksstandorten absehbar stehen wird. Es gibt also viel Potenzial für Verzögerungen.

Es ginge auch deutlich schneller. Wie Gaskraftwerke praktisch über Nacht so umgestellt werden können, dass sie kein Treibhausgas mehr in die Atmosphäre blasen, will RWE in Großbritannien mittels CCS zeigen. Der deutsche Branchenführer ist auch in Großbritannien der größte Stromerzeuger, betreibt auf der Insel neben Windparks an Land und vor der Küste vor allem Gaskraftwerke mit einer Gesamtkapazität von mehr als sechs GW. Die drei Kraftwerke in Pembroke, Wales und Staythorpe will RWE nun mit der CCS-Technologie nachrüsten, zudem ein neues mit Kohlenstoffabscheidung in Stallingborough bauen. Das gab der Konzern am Dienstag bekannt.

Norwegen will deutsches CO2 unter die Nordsee pressen

Länder wie Norwegen, die Niederlande und Großbritannien forcieren die CCS-Technik als derzeit schnellste Möglichkeit, ihre Klimabilanz aufzubessern. Die Skandinavier bieten auch der deutschen Industrie an, ihr CO2 unterm Meeresboden in leere Gas- und Ölblasen zu verpressen. Eon ist unlängst beim norwegischen Unternehmen Horisont Energie eingestiegen, um beim Thema CCS „eine Führungsrolle zu übernehmen“, wie Konzernchef Leonhard Birnbaum erklärte. Die Infrastruktur mit Meeres-Pipelines und Plattformen soll statt für die Förderung fossiler Brennstoffe künftig für die Entsorgung ihrer klimaschädlichen Nebenprodukte genutzt werden.

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„Um den Stromsektor zu dekarbonisieren, die Versorgungssicherheit zu unterstützen und gleichzeitig die Dekarbonisierung der Industrie in großem Maßstab zu ermöglichen, ist es wichtig, dass grüne Gaskraftwerksprojekte entwickelt werden“, sagte Tom Glover, RWE-Chef in Großbritannien. Die CCS-Technologie könne „eine sichere, flexible und wetterunabhängige Stromversorgung“ sichern. Die drei Projekte auf der Insel seien ein wichtiger Schritt. Großbritannien will seine Stromversorgung bis 2035 CO2-frei haben.

BUND: Meere sind nicht die Deponie für Klimamüll

Da Habeck CCS gegen den Widerstand von Umweltverbänden auch in Deutschland erlauben will, könnte RWE seine britische Strategie zumindest theoretisch auf seinen Heimatmarkt übertragen. Auf Nachfrage betonte ein Konzernsprecher: „Ob und wie die CCS-Technologie künftig auch in Deutschland zum Einsatz kommen könnte, ist eine politische Entscheidung.“

Die Bedenken, ob die Lagerstätten wirklich dicht sind und die Überzeugung, Treibhausgase besser gar nicht erst zu erzeugen anstatt sie nachher auf ewig endzulagern, sind hierzulande nach wie vor weit verbreitet. „Die Meere sind nicht die Müllhalde der Menschheit oder eine Deponie für Klimamüll. CO2 dort zu verpressen ist profitabel für die Gasindustrie, bedroht aber den Lebensraum am Meeresboden“, sagte BUND-Chef Olaf Bandt zu Habecks Vorstoß.

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Auch gegen basisgrüne Interessen will der Minister noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf vorlegen, der CCS in Deutschland erlaubt. Um die eigenen Klimaziele einzuhalten und nach dem Kohlecomeback im Zuge des Ukraine-Krieges möglichst schnell den CO2-Ausstoß zu senken, führt für ihn an CCS kein Weg vorbei. Er habe das Treibhausgas „lieber unter dem Boden als in der Atmosphäre“, lautet Habecks Leitsatz dazu. Die britischen RWE-Pläne klingen tatsächlich verlockend: Die drei Projekte würden elf Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen und rechnerisch 8,1 Millionen Haushalte mit klimaneutralem Strom versorgen, verspricht der Energieriese.

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