Essen. Schon ein Herz-Emoji kann den Verdacht von Sexismus erzeugen, sagt PwC-Forensikerin Döscher. Ein Interview über Abhängigkeitsverhältnisse im Job.
Der Fall des Gelsenkirchener Professors, der männliche Studenten sexuell belästigt haben soll, heizt die Debatte um Sexismus am Arbeitsplatz an. Die ehemalige Staatsanwältin Marie-Christine Döscher (35) leitet für die Beratungsgesellschaft PwC Deutschland als Forensikerin interne Ermittlungen in Unternehmen und öffentlichen Institutionen. Ein Interview über das manchmal schwierige Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten und warum Sexismus immer noch ein schambehaftetes Thema ist.
Frau Döscher, als Forensikerin bei PwC Deutschland klären Sie auch Fälle von Sexismus am Arbeitsplatz auf. Wächst die Zahl Ihrer Einsätze?
Marie-Christine Döscher: Seit etwa zwei Jahren beobachten wir, dass uns Unternehmen häufiger mit der Aufarbeitung von Sexismus-Vorfällen am Arbeitsplatz beauftragen. So bin ich auch dazu gekommen, mich intensiver mit dieser Thematik zu beschäftigen.
Wie erklären Sie sich diesen Trend?
Döscher: Das hat auch etwas mit einem Bewusstseinswandel und der Me-Too-Bewegung zu tun, die bereits 2006 aus den USA und ganz besonders 2017 in der Filmbranche für viel Aufsehen gesorgt hat. Die Thematik ist aber längst nicht mehr auf die USA oder eine einzelne Industrie beschränkt. Betroffen sind alle Branchen und Unternehmensgrößen, Hochschulen und Kultureinrichtungen.
Wie definieren Sie Sexismus?
Döscher: Es geht um Diskriminierung, also Herabsetzung und Benachteiligung, aufgrund des Geschlechts. In der Regel als Ausdruck einer Hierarchie, eines Machtungleichgewichts. Eine Person fühlt sich einer anderen überlegen. Dabei geht es nicht unbedingt oder ausschließlich um sexuelle Handlungen. So können beispielsweise Abhängigkeitsverhältnisse aufgrund von Beurteilungen, bei Vertragsgestaltungen oder infolge prekärer Bezahlungen den Nährboden für Sexismus bereiten.
Sind Frauen häufiger Opfer von Sexismus als Männer?
Döscher: Es betrifft alle Geschlechter. In der öffentlichen Wahrnehmung überwiegt das Klischee des älteren Mannes, der Druck auf die jüngere Frau ausübt. Sexistische Verhaltensweisen sind jedoch keinesfalls auf Frauen beschränkt. 32 Prozent der Männer in Deutschland sind ausweislich einer Pilotstudie des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahr 2018 von Sexismus betroffen. Die Dunkelziffer dürfte aber noch viel höher sein. Es fällt Männern offenbar besonders schwer, eine Opferrolle einzunehmen und über Sexismus zu reden.
Wie hoch schätzen Sie die Bereitschaft der Betroffenen ein, Verdachtsfälle von Sexismus zu melden?
Döscher: Sexismus ist ein sehr emotionales und auch schambehaftetes Thema, worüber allgemein nicht so gern gesprochen wird. Deshalb gibt es auch viele Gründe, warum sich Geschädigte oft nicht melden. Weil sie Angst vor finanziellen Einbußen haben oder ihre Karriere gefährdet sehen. Weil sie glauben, dass der Status der diskriminierenden Person so hoch ist, dass ihnen nicht zugehört wird, oder es Beweisschwierigkeiten gibt. Sie wollen vielleicht auch ihre Erlebnisse nicht noch einmal erzählen und durchleben müssen. Die durch die Me-Too-Bewegung ausgelöste gesellschaftliche Debatte hat bewirkt, dass sich mehr Betroffene, aber auch Dritte, die etwas beobachtet haben, melden.
Haben die Chefetagen ein Interesse an Aufklärung?
Döscher: Die Leitungen der Unternehmen haben auch gemerkt, dass Sexismus-Vorfälle immense wirtschaftliche Auswirkungen haben können – kurz- wie langfristig. Es geht dabei um Mitarbeiter-Identifikation, Fluktuation und Produktivität. Es geht um Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und eine mögliche Rufschädigung. Das hat wiederum Auswirkungen auf Investoren, Kunden und Geschäftspartner.
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Ist die Sensibilität der Führungskräfte rund um das Thema Sexismus deshalb größer geworden?
Döscher: Ich beobachte, dass die Wahrnehmung von diesem und das Bewusstsein für dieses Thema gewachsen ist. Ein Indiz dafür ist, dass Beratungsunternehmen wie wir mit der Aufklärung von Sexismus-Vorfällen beauftragt werden. Aufklärung ist aber natürlich kein Selbstzweck. Es geht darum, zu verstehen, dass die Unternehmenskultur und das Miteinander im Betrieb geändert werden müssen. So sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sich gleich gelagerte Fälle wiederholen – auch oder gerade um der Unternehmensperformance Willen.
Wie können Unternehmen vorsorgen, dass es erst gar nicht zu Sexismus-Vorfällen am Arbeitsplatz kommt?
Döscher: Viele Geschäftsführungen kommen inzwischen proaktiv auf uns zu und fragen nach Workshops für ihre Teams und Führungskräfte, um zu sensibilisieren und das eigene Verhalten zu reflektieren und dadurch einen Perspektivwechsel herbeizuführen. Wenn wir offen über Sexismus sprechen, wird es für uns alle leichter, damit umzugehen.
Was sollte trainiert werden?
Döscher: Es geht um Verhaltensweisen und Äußerungen. Generell gilt: Bevor man eine Äußerung tätigt, sollte man sich fragen, wie die Formulierung bei den Empfängern ankommen könnte. Deshalb sind auch Chat-Kommunikationen ein großes Thema. Den Umgang mit kurzen Formulierungen kann man lernen, um zu verhindern, dass es zu Missverständnissen kommt.
Führen Kurznachrichten immanent zu Missverständnissen?
Döscher: Im Chat überwiegt im Gegensatz zur E-Mail oft das Informelle. Auch Emojis werden gern genutzt, um Zustimmung oder Wertschätzung auszudrücken. Emojis wie Herzen oder Kuss-Smileys sollte man in hierarchischen Beziehungen vorsichtig verwenden, vor allem, wenn man sich noch nicht gut kennt. Auch hier gilt: Bevor man die Nachricht mit dem Emoji abschickt, noch mal nachzudenken.
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Ist es ausreichend, wenn eine Firma oder öffentliche Einrichtung eine Antidiskriminierungsstelle einrichtet?
Döscher: Die Führungsetage muss natürlich mit gutem Beispiel vorangehen und dazu ermutigen, entsprechende Beauftragte im Haus auch in Anspruch zu nehmen, wenn es zu Vorfällen kommt. Die Unternehmensleitung hat eine Vorbildfunktion und lebt das Werteverständnis vor. Auch das zur Verfügung gestellte Budget zeigt, welche Bedeutung ein Thema hat.
Ist eine rein interne Aufklärung ratsam?
Döscher: Wenn Unternehmen gut qualifizierte Teams haben, können sie die Aufarbeitung der Sexismus-Vorwürfe selbst vornehmen. Es gibt bestimmte Faktoren, die zum Erfolg einer Aufklärung führen. An erster Stelle stehen Neutralität und Objektivität. Die Unternehmen müssen sich die Frage stellen, ob sie das selbst leisten können oder sich Hilfe von außen holen sollten.
Wann führt eine Untersuchung zum Erfolg?
Döscher: Die untersuchenden Personen sollten als unabhängig wahrgenommen werden. Es darf nicht der Anschein der Voreingenommenheit entstehen. Am Ende geht es ja auch um die Akzeptanz des Untersuchungsergebnisses und die Wahrung der Vertraulichkeit. Ganz wichtig ist auch der Faktor Zeit. Die Untersuchung sollte beginnen, bevor die Erinnerung verblasst und so zügig wie möglich abgeschlossen werden.
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>>> Zur Person
Die Juristin Marie-Christine Döscher stammt aus Frankfurt am Main. Vor ihrem Wechsel zur Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland arbeitete die heute 35-Jährige sechs Jahre lang als Staatsanwältin in Düsseldorf. Döscher gilt als Expertin für die Aufklärung von Sexismus-Vorwürfen am Arbeitsplatz.