Essen. Bei Thyssenkrupp ist die Verunsicherung groß. Der abrupte Führungswechsel wirft Fragen auf. Ein Konzernkenner zeigt sich besorgt.
Angesichts des abrupten Führungswechsels bei Thyssenkrupp zeigt sich die Fondsgesellschaft Deka besorgt mit Blick auf die Lage des Unternehmens. „Thyssenkrupp verliert durch den Chef-Wechsel schon wieder kostbare Zeit“, sagte Deka-Experte Ingo Speich unserer Redaktion. „Der Umbau des Konzerns ist viel zu früh ins Stocken geraten. Die Strategie ist unklarer als vor zwölf Monaten.“ Die häufigen Wechsel an der Spitze des Konzerns „tragen nicht zur Glaubwürdigkeit und Vertrauensbildung am Kapitalmarkt bei“, kritisiert Speich. Der „Reformstau“ und die Häufigkeit der Chefwechsel bezeichnet er als „besorgniserregend“.
Auch einen Tag nach der Ankündigung des Rückzugs von Vorstandschefin Martina Merz blieb die Thyssenkrupp-Aktie unter Druck. Der Traditionskonzern verlor an der Börse am Dienstag (25. April) weiter an Wert. Zwischenzeitlich kostete eine Thyssenkrupp-Aktie nur noch rund sechs Euro. Zum Vergleich: Mitte vergangenen Jahres waren es noch etwa neun Euro je Aktie.
Am Montag hatte Vorstandschefin Merz ihren Rückzug verkündet. Sie habe den Personalausschuss des Aufsichtsrats um eine zeitnahe Auflösung ihres Vertrages gebeten, teilte das Unternehmen mit. Der Ausschuss will dem Wunsch entsprechen. Auch einen Nachfolger präsentierte Thyssenkrupp bereits: Demnach soll der derzeitige Interimschef des Autozulieferers Norma Group, Miguel Ángel López Borrego, zum 1. Juni neuer Vorstandschef werden. Der 58-jährige Spanier hat viele Jahre im Siemens-Konzern gearbeitet.
Deka-Experte Speich: „Bedauern, dass Martina Merz das Unternehmen verlässt“
„Wir bedauern, dass Martina Merz das Unternehmen verlässt“, sagte Ingo Speich, der Experte der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka. Die Managerin habe „für eine Erneuerung“ des Konzerns gestanden. „Zuletzt lief die Entflechtung aber sehr schleppend, Erfolge blieben weitestgehend aus. Die internen Widerstände waren offenbar zu groß.“
Der Vertrag der 60-jährigen Merz lief eigentlich noch bis ins Jahr 2028. Zuletzt war die Kritik an der Thyssenkrupp-Chefin gewachsen. Die Managerin will das Unternehmen, zu dem Stahlwerke ebenso
gehören wie Autozulieferer, Anlagenbauer und Werften, als Firmengruppe positionieren, in der die einzelnen Unternehmen weitgehend unabhängig von der Essener Zentrale agieren. Sie spricht von einer „Group of Companies”. Doch diese Strategie sieht die IG Metall skeptisch. „Das Konzept der Group of Companies ist für uns gescheitert“, kritisierte die Gewerkschaft vor wenigen Wochen.
Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef: Kein Strategiewechsel geplant
Martina Merz erklärte nun in einem Schreiben an die Thyssenkrupp-Beschäftigten, das unserer Redaktion vorliegt, sie wolle mit ihrem Rückzug „die Möglichkeit für eine personelle Neuaufstellung freimachen“. Ein Strategiewechsel sei aber nicht geplant, betonte Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm, der auch BDI-Präsident ist.
Die von Ursula Gather geführte Krupp-Stiftung – mit mehr als 20 Prozent der Anteile größte Aktionärin des Konzerns – betonte, sie bedauere „die Entscheidung von Martina Merz außerordentlich“. Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) äußerte sich ebenfalls kritisch. „Ein Manager, der von außen kommt, muss sich erstmal einarbeiten. Das kostet viel Zeit und wirft den Konzern wieder zurück“, sagte Tüngler unserer Redaktion.
Die im Unternehmen einflussreiche Gewerkschaft IG Metall drückt aufs Tempo. „Jetzt geht es darum, dass wir unter einer neuen Führung schnell ins Handeln kommen“, forderte IG Metall-Vorstand Jürgen Kerner, der auch stellvertretender Aufsichtsratschef bei Thyssenkrupp ist. Der neue Vorstandsvorsitzende López Borrego werde nicht viel Zeit zum Einarbeiten haben, fügte Kerner hinzu. „Die Probleme liegen auf dem Tisch, die Zeit drängt.“ Die IG Metall erwarte, dass der Vorstand schnell Lösungskonzepte entwickele und die Arbeitnehmerseite dabei eng einbeziehe.
„Das Stahlgeschäft ist das größte Sorgenkind von Thyssenkrupp“
Mit Martina Merz zieht sich eine der wenigen Frauen an der Spitze deutscher Industrieunternehmen zurück. Mit Klaus Keysberg und Oliver Burkhard besteht der Thyssenkrupp-Vorstand künftig wieder nur noch ausschließlich aus Männern. „Grundsätzlich hat der Nachfolger das Potenzial, einen Konzern wie Thyssenkrupp zu führen“, sagt Deka-Experte Speich mit Blick auf Miguel Ángel López Borrego. „Der neue Vorstandschef muss Mut und Entschlossenheit zeigen, um schnell die Weichen für den Konzern richtig zu stellen. Dazu werden auch unpopuläre Entscheidungen gehören.“
Insbesondere bei der wichtigen Stahlsparte mit großen Standorten in NRW sieht Speich Handlungsbedarf. „Das Stahlgeschäft ist das größte Sorgenkind von Thyssenkrupp“, betont er. „Die Wettbewerbsfähigkeit muss dringend deutlich gesteigert werden. Ein ,Weiter so’ kann es nicht geben.“