Essen. Bei Thyssenkrupp hat die IG Metall den Druck auf Vorstandschefin Martina Merz erhöht. Ihr Strategie-Konzept für den Konzern sei „gescheitert“.

Nach einer zusätzlichen Sitzung des Aufsichtsrats von Thyssenkrupp wächst der Druck auf Konzernchefin Martina Merz. Die im Unternehmen einflussreiche Gewerkschaft IG Metall äußerte deutliche Kritik am Konzept der Managerin, die seit Oktober 2019 den Essener Konzern führt. Martina Merz will den Thyssenkrupp-Konzern, zu dem Stahlwerke ebenso gehören wie Autozulieferer, Anlagenbauer und Werften, als Firmengruppe positionieren, in der die einzelnen Unternehmen weitgehend unabhängig von der Essener Zentrale agieren. Sie spricht von einer „Group of Companies“. Doch genau diese Strategie sieht die IG Metall skeptisch.

„Das Konzept der Group of Companies ist für uns gescheitert“, heißt es in einer Mitteilung der IG Metall, die nach der Aufsichtsratssitzung am Freitagabend an die Thyssenkrupp-Beschäftigten verschickt worden ist. „Es fehlt seit Monaten ein Gesamtkonzept des Vorstandes. Seit letztem Herbst hat sich nichts bewegt und es ist wieder unnötig Zeit verloren gegangen. Das ist nicht akzeptabel“, bemängelt die IG Metall.

Eine Reihe von Geschäften hat Thyssenkrupp unter der Führung von Vorstandschefin Merz bereits abgegeben, darunter die lukrative Aufzugssparte mit rund 50.000 Mitarbeitenden. Mittlerweile ist die Zahl der Beschäftigten im Konzern insgesamt deutlich unter 100.000 gerutscht. Seit Jahren ist das Unternehmen notorisch knapp bei Kasse.

Im Fokus: eine mögliche Abspaltung der U-Boot-Sparte

Es müsse nun „geprüft werden“, welche Geschäfte Thyssenkrupp noch aus eigener Kraft entwickeln könne und wo „Partner“ notwendig seien, heißt es in der Mitteilung der IG Metall. Besonders im Fokus steht dabei die Sparte Marine Systems, die von Personalvorstand Oliver Burkhard geführt wird. Die Gewerkschaft unterstütze Vorbereitungen zur Verselbstständigung Marine-Aktivitäten, zu denen die wichtige Produktion von U-Booten und weiteren Kriegsschiffen gehört.

Das Ziel sei, „alle notwendigen, auch finanziellen, Voraussetzungen“ zu schaffen, um eine Abspaltung der Marine-Sparte aus dem Konzern zu erreichen, so die Gewerkschaft. Dazu habe es auch einen Beschluss im Aufsichtsrat gegeben. „Wir nehmen wahr, dass die Bundesregierung die Bildung eines starken nationalen Schiffbauunternehmens unterstützt“. Hierzu könnten weitere Investoren mit ins Boot geholt werden.

Thyssenkrupp-Chefin Merz: Partner für Stahlsparte, um Zugang zu Energie zu erhalten

Mit Blick auf die von Konzernchefin Merz angestrebte Abspaltung der Stahlsparte mit Werken unter anderem in Bochum, Duisburg und Dortmund habe es noch keine Beschlüsse gegeben, so die Gewerkschaft. „Bei unseren Stahlaktivitäten sind wir als Arbeitnehmervertreter immer noch bereit eine mögliche Verselbstständigung zu prüfen“, heißt es in der Mitteilung. Ein eigenständiges Stahlunternehmen müsse aber eine „ausreichende finanzielle Ausstattung verfügen“.

In einer internen Mitteilung von Thyssenkrupp-Chefin Merz an die Beschäftigten hebt die Managerin die Vorteile einer eigenständigen Aufstellung der Stahlsparte hervor – gerade angesichts hoher Energiepreise. „Der Energiekostenanteil in der Stahlproduktion ist drastisch gestiegen und wird auch künftig hoch sein“, so die Thyssenkrupp-Chefin. „Eine selbstständige Stahlsparte könnte Partnerschaften eingehen – und so womöglich sicheren Zugang zu sehr wettbewerbsfähigen Energiekosten erhalten. Das ist für den Stahl und für mögliche Partner von Interesse und damit auch für uns.“ Potenziellen Partnerschaften seien „auch über Sektorgrenzen hinweg“ möglich – also jenseits der Stahlindustrie.

IG Metall mahnt Konzept für HKM an

Die IG Metall mahnt auch ein Konzept für den Stahlhersteller Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) an, der zur Hälfte Thyssenkrupp gehört. Noch immer fehlten „Zukunftskonzepte für die HKM“, kritisieren die Arbeitnehmervertreter. Neben Thyssenkrupp Steel (50 Prozent) sind die Unternehmen Salzgitter (30 Prozent) sowie der französische Rohrhersteller Vallourec (20 Prozent) Eigner von HKM. Seit Jahren fungiert HKM als Zulieferbetrieb für die beteiligten Konzerne. Vallourec will allerdings seine HKM-Anteile aufgeben und sich aus Deutschland zurückziehen. Werke von Vallourec in Düsseldorf und Mülheim werden geschlossen. Zwei Hochöfen und eine Kokerei sind Teil des HKM-Betriebs in Duisburg. Die IG Metall warnte unlängst vor einem Aus von HKM, sollten nicht bald Entscheidungen zu Investitionen in den Umbau des Standorts fallen.

Den geplanten Börsengang der Dortmunder Thyssenkrupp-Wasserstofftochterfirma Nucera sieht die IG Metall als nötig an, „um das dort erwartete Wachstum zu finanzieren“. Generell sei die Gewerkschaft bereit, „Zukunftsoptionen für jedes Geschäft zu prüfen“, doch sie werde jedes Konzept insbesondere an der Sicherheit der Arbeitsplätze messen. „Wir und die Belegschaften erwarten endlich ein Gesamtkonzept des Vorstandes“, betont die IG Metall.

Martina Merz und Aufsichtsratschef Russwurm üben Schulterschluss

In ihrer internen Mitteilung für die Thyssenkrupp-Beschäftigten äußert sich Vorstandschefin Merz gemeinsam mit Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm. Das kann als Schulterschluss gewertet werden. Im Mai ist erneut eine Aufsichtsratssitzung geplant. „Wir arbeiten daran, im Mai die eine oder andere konkrete Richtungsentscheidung empfehlen zu können“, kündigt Merz an. „Überall dort, wo wir mit möglichen Partnern sprechen, liegt es aber in der Natur der Sache, dass wir das nicht allein in der Hand haben.“

Russwurm fügt hinzu, „es muss auch jedem klar sein, dass nicht alle erforderlichen Klärungen auf Knopfdruck abrufbar sind“. Auf seinem Weg lasse sich das Management auch „nicht von ungeduldigem Getöse im Umfeld irritieren“.