Essen. Bei Thyssenkrupp läuft die Suche nach Partnern oder Käufern für die Stahlsparte. Erste Namen werden gehandelt. In der Belegschaft rumort es.

Als NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst Anfang März ins Duisburger Thyssenkrupp-Besucherzentrum kommt, versprüht er Aufbruchstimmung. Mit einer Großinvestition soll Deutschlands wichtigster Stahlkonzern eine Perspektive bekommen. Bis zu 700 Millionen Euro will die NRW-Landesregierung in eine klimafreundliche Hochofen-Nachfolgetechnologie stecken. „Diese Landesregierung hält Wort“, sagt der CDU-Politiker. Er sei „an der Seite der Beschäftigten“.

Doch schon an diesem Tag steht auch eine Frage im Raum, die vor allem an Konzernchefin Martina Merz gerichtet ist. Bereits vor Monaten hat die Managerin angekündigt, die Stahlsparte mit rund 26.000 Beschäftigten und großen Werken in Bochum, Dortmund und Gelsenkirchen aus dem Konzern auszugliedern zu wollen. Ein Journalist der Nachrichtenagentur Reuters hakt bei Thyssenkrupp-Chefin Merz in Duisburg nach: Sollte, da nun so viel Geld in den Stahl investiert werde, das Geschäft auch im Konzern bleiben? Und wann falle dazu die Entscheidung?

Thyssenkrupp-Chefin Merz antwortet an diesem Tag ausweichend. Die wichtigste Frage sei bei Investitionen immer „die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens“, um das es gehe, zu entwickeln, sagt sie. Eine „Verselbstständigung“ der Stahlsparte, davon sei sie überzeugt, könne das Thyssenkrupp-Geschäft stärken. Zum weiteren Zeitplan äußert sich die Konzernchefin nicht.

Die unklare Perspektive für den Stahl – und damit für die Keimzelle des Thyssenkrupp-Konzerns – hat längst Unruhe in der Belegschaft ausgelöst. Monatelang schien es, als liege das Projekt Abspaltung auf Eis, hinter den Kulissen hat sich das Management indes auf die Suche nach möglichen Partnern oder gar Käufern für die Thyssenkrupp-Stahlwerke begeben. Sogar die Abgabe einer Mehrheitsbeteiligung gilt als denkbar. Als Interessenten werden der Finanzinvestor CVC, der brasilianische Stahlkonzern CSN und die indische Jindal-Gruppe gehandelt.

Der früherer IG Metall-Chef Detlef Wetzel, derzeit Vize-Aufsichtsratschef bei Thyssenkrupp Steel, bringt vor wenigen Tagen offen seine Skepsis mit Blick auf die Stahl-Pläne von Konzernchefin Merz zum Ausdruck.

Anfang März in Duisburg: NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst an der Seite von Konzernchefin Martina Merz.
Anfang März in Duisburg: NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst an der Seite von Konzernchefin Martina Merz. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

„Ich kann derzeit nicht erkennen, dass Thyssenkrupp Steel durch ein Zusammengehen mit einem Stahlkonzern aus dem Ausland vorankommen könnte“, sagt Wetzel unserer Redaktion. „Es wäre ein kaum aufzulösender Widerspruch, sollte eine Konzernleitung den Stahl loswerden wollen, während gleichzeitig Steuergelder in Millionenhöhe in das Geschäft fließen“, merkt der Arbeitnehmervertreter im Zusammenhang mit der geplanten Landesförderung an.

Aufsichtsratssitzungen stehen bevor

Für den 31. März ist bei Thyssenkrupp eine zusätzliche Aufsichtsratssitzung geplant, in der Konzernchefin Merz einen Zwischenstand zu ihren Stahl-Plänen präsentieren könnte. Dass dann bereits Entscheidungen fallen, gilt als unwahrscheinlich. Voraussichtlich am 16. Mai treffen sich die Thyssenkrupp-Kontrolleure zu einer weiteren, dann regulären Sitzung.

Es rumort im Konzern. Das „Handelsblatt“ berichtet von einer Gruppe von Managern und Betriebsräten, die ganz andere Überlegungen verfolgen als Vorstandschefin Merz. Demnach sollte der Stahl nicht ausgegliedert, sondern zum Kerngeschäft gemacht werden – gemeinsam mit dem umsatzstarken Werkstoffhandel des Konzerns. „Stahlrebellen“ würden die Verfechter dieser Pläne genannt.

Bereits vor fünf Jahren hatte der Vor-Vorgänger von Martina Merz, Heinrich Hiesinger, eine Ausgliederung der Stahlsparte angestrebt. Durch einen Zusammenschluss mit dem indischen Stahlkonzern Tata sollten die Hochöfen und Walzwerke aus der Bilanz von Thyssenkrupp verschwinden. Doch nach Gegenwind im Aufsichtsrat zog sich Hiesinger entnervt vom Chefposten zurück, später scheiterten auch die Fusionspläne mit Tata.

„Ein Euro“ für die Stahlsparte von Thyssenkrupp?

Die Erfahrungen dürften die aktuelle Suche nach einem Partner oder Käufer für die Thyssenkrupp-Stahlsparte nicht gerade erleichtern. Das „Handelsblatt“ berichtet, der Finanzinvestor CVC wolle „einen Euro“ für Thyssenkrupp Steel bieten, gleichzeitig aber Investitionszusagen machen und milliardenschwere Pensionsverbindlichkeiten übernehmen.

Konzernchefin Merz will Thyssenkrupp als Firmengruppe, als „Group of Companies“, positionieren, in der die einzelnen Unternehmen – darunter die Dortmunder Wasserstoff-Firma Nucera, der Autozulieferbereich oder die Werften für U-Boote im Norden Deutschlands – weitgehend unabhängig von der Essener Zentrale agieren. Eine Reihe von Geschäften hat Thyssenkrupp unter der Führung von Martina Merz bereits abgegeben, darunter die lukrative Aufzugssparte mit rund 50.000 Mitarbeitenden. Mittlerweile ist die Zahl der Beschäftigten im Konzern insgesamt deutlich unter 100.000 gerutscht.

Chancen sieht Thyssenkrupp-Chefin Merz insbesondere im arabischen Raum. So will die Dortmunder Thyssenkrupp-Anlagenbautochter Uhde mit den Vereinigten Arabischen Emiraten kooperieren. Mit der Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC) hat sich Uhde unlängst auf eine „langfristige Partnerschaft zur Schaffung neuer Märkte für Wasserstoff“ verständigt. Konzernchefin Merz sagte, das Ziel sei, gemeinsam mit ADNOC „eine globale Wertschöpfungskette für grünen Wasserstoff“ aufzubauen.

Auf der Suche nach langfristigen „Energiepartnerschaften“

Auch in Saudi-Arabien und in Katar verfolgt Thyssenkrupp vergleichbare Projekte. Der Revierkonzern sieht sich in der Doppelrolle als Anlagenbauer und potenzieller Großabnehmer von Wasserstoff bei der angestrebten klimafreundlichen Stahlproduktion in Duisburg. Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) strebt langfristige „Energiepartnerschaften“ im arabischen Raum an, um Gaslieferungen aus Russland zu ersetzen.

Mit dem Abschied der Hochöfen dürften sich auch die globalen Lieferströme der Stahlindustrie verändern. Anstelle von flüssigem Roheisen aus den Hochöfen wird in Zukunft Eisenschwamm in den Stahlwerken verarbeitet – ein Material, das sich per Schiff transportieren lässt. Die Herstellung von Eisenschwamm ist besonders energieintensiv. Als Liefernationen – und damit auch als potenzielle Partner von Thyssenkrupp – kommen also auch hier Länder aus dem arabischen Raum infrage. Das neue Öl heißt Wasserstoff: Konzerne wie der saudi-arabische Erdölförderer Aramco verfolgen Pläne, um Wasserstoff mit Hilfe von Sonnenenergie emissionsfrei zu erzeugen.

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