Essen. Martina Merz wird bei Thyssenkrupp abgelöst. Auch ein Nachfolger ist schon benannt. Zuletzt hatte es Kritik an der Managerin gegeben.
Nicht einmal ein Jahr ist es her, da ist der Vertrag von Martina Merz bis 2028 verlängert worden. Da schwärmte Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm noch davon, dass sich die Managerin bereiterklärt habe, die Veränderung des Konzerns „voranzutreiben“. Doch nun nimmt die Geschichte der ersten Frau an der Spitze der einstigen deutschen Industrie-Ikone plötzlich, aber nicht ganz unerwartet, ein abruptes Ende.
Wie das Unternehmen am frühen Montagnachmittag mitteilt, bittet Martina Merz den Aufsichtsrat „um Gespräche über eine einvernehmliche Auflösung ihres Mandats“. So hört es sich wohl an, wenn eine Vorstandschefin aufgibt.
Neuer Vorstandschef soll Miguel Ángel López Borrego werden. Er ist aktuell Vorstandsvorsitzender der Norma Group – ein börsennotiertes Unternehmen für Verbindungstechnik. Viele berufliche Stationen hat er zuvor im Siemens-Konzern absolviert. Der Neue wird bereits am 1. Juni Nachfolger von Martina Merz als Mitglied sowie Vorsitzender des Vorstands.
Ihren wohl letzten großen öffentlichen Auftritt für Thyssenkrupp absolvierte Martina Merz vor wenigen Wochen in Duisburg, als der Konzern im Beisein von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst seine Pläne für den Aufbau einer klimafreundlichen Stahlproduktion vorstellte – ausgerechnet an ihrem 60. Geburtstag.
Murren über Martina Merz hat es schon seit einigen Monaten in Teilen des Konzerns gegeben. Nach einer zusätzlichen Sitzung des Thyssenkrupp-Aufsichtsrats Ende März war der Druck auf sie massiv gewachsen. Die im Unternehmen einflussreiche Gewerkschaft IG Metall äußerte deutliche Kritik am Konzept der
Managerin, die seit Oktober 2019 den Essener Konzern führt. Merz wollte den Thyssenkrupp-Konzern, zu dem Stahlwerke ebenso gehören wie Autozulieferer, Anlagenbauer und Werften, als Firmengruppe positionieren, in der die einzelnen Unternehmen weitgehend unabhängig von der Essener Zentrale agieren. Sie sprach von einer „Group of Companies“.
Druck von der IG Metall
Doch genau diese Strategie sieht die IG Metall skeptisch. „Das Konzept der Group of Companies ist für uns gescheitert“, hieß es in einer Mitteilung der IG Metall, die nach der Aufsichtsratssitzung verschickt worden ist. „Es fehlt seit Monaten ein Gesamtkonzept des Vorstandes. Seit letztem Herbst hat sich nichts bewegt, und es ist wieder unnötig Zeit verloren gegangen“, bemängelte die IG Metall.
Martina Merz erklärte nun in einem Schreiben an die Beschäftigten, das unserer Redaktion vorliegt, sie wolle mit ihrem Rückzug „die Möglichkeit für eine personelle Neuaufstellung freimachen“. Nach der „Rettungsaktion“, bei der sie 2019 angetreten sei, breche nun eine neue Phase für Thyssenkrupp an, in der „andere Kompetenzen im Vorstand gefragt“ seien. „Deshalb halte ich es für richtig, jetzt den Weg dafür freizumachen“, so Merz.
Ein Strategiewechsel sei mit dem neuen Konzernlenker nicht geplant, wird im Unternehmen betont. Mit Miguel Ángel López Borrego an der Spitze werde Thyssenkrupp „den Weg der Transformation auf Basis der entwickelten strategischen Linien fortführen“, wird Aufsichtsratschef Russwurm in einer Mitteilung des Unternehmens zitiert. Der Umbau von Thyssenkrupp sei „nicht abgeschlossen“.
Krupp-Stiftung äußert Bedauern über Rückzug von Martina Merz
Die Krupp-Stiftung – mit mehr als 20 Prozent größte Aktionärin – erklärte, sie bedauere „die Entscheidung von Martina Merz außerordentlich“. Stiftungschefin Ursula Gather hob hervor, sie sei „nach wie vor überzeugt“, dass Thyssenkrupp mit dem von Merz „eingeschlagenen strategischen Kurs nachhaltig wettbewerbs- und langfristig dividendenfähig werden kann“.
Eine Reihe von Geschäften hat Thyssenkrupp unter der Führung von Merz bereits abgegeben, darunter die lukrative Aufzugssparte mit rund 50.000 Mitarbeitenden. Mittlerweile ist die Zahl der Beschäftigten im Konzern insgesamt deutlich unter 100.000 gerutscht. Seit Jahren ist das Unternehmen notorisch knapp bei Kasse. In Arbeitnehmerkreisen wird die Befürchtung geäußert, mit dem neuen Konzernchef könnten Pläne zu einer Zerschlagung von Thyssenkrupp kommen. Auch an der Börse hat der abrupte Führungswechsel Irritationen ausgelöst. Der Aktienkurs des Traditionsunternehmens brach zwischenzeitlich heftig ein – mit einem Minus von mehr als 14 Prozent.
Eine entscheidende Frage sei, mit welchem Auftrag der neue Konzernchef Miguel Ángel López Borrego zu Thyssenkrupp komme, wird in Kreisen der Arbeitnehmervertreter betont. Soll der neue Manager tatsächlich einfach nur die Strategie von Martina Merz fortführen?
„Richtig warm geworden sind die Aktionäre mit Frau Merz nie“
Und welche Geschäfte sollen künftig zu Thyssenkrupp gehören? Einflussreiche Kreise innerhalb der IG Metall würden am liebsten Thyssenkrupp um ein starkes Stahlgeschäft aufbauen – diese Pläne passten allerdings nicht zu den Ideen der bisherigen Vorstandschefin.
„Richtig warm geworden sind die Aktionäre mit Frau Merz nie“, konstatiert Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) im Gespräch mit unserer Redaktion. „Große Themen sind auch zu Zeiten von Frau Merz nicht geklärt worden – insbesondere die Frage nach der Zukunft der Stahlsparte.“ Doch jetzt beginne wieder alles von neuem. „Ein Manager von außen kommt und muss sich erst mal einarbeiten. Das kostet viel Zeit und wirft den Konzern wieder zurück.“