Düsseldorf/Essen. Im Winter gibt es ein Comeback der Kohlekraftwerke. Im Fokus steht dabei die Essener Steag. Die IGBCE warnt vor einer Zerschlagung des Konzerns.

Angesichts von Verkaufsplänen mitten in der Strom- und Gaskrise warnt Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis vor einer Zerschlagung des Essener Energieversorgers Steag. Der Konzern, der sich derzeit in den Händen mehrerer Stadtwerke aus dem Ruhrgebiet befindet, sei wichtig für die Versorgungssicherheit in Deutschland, betont IGBCE-Chef Vassiliadis bei einem Auftritt vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung (WPV) in Düsseldorf. Es sei „nicht jede Form“ eines Verkaufs akzeptabel, sagt der Gewerkschaftsvorsitzende, der auch Mitglied des Steag-Aufsichtsrats ist. Bei einer Zerschlagung des Konzerns stelle sich die Frage, ob das Unternehmen noch seinen erforderlichen Beitrag zur Energie- und Wärmeversorgung in Deutschland leisten könne.

Mehrere Stadtwerke aus dem Ruhrgebiet sind vor mehr als zehn Jahren bei der Steag eingestiegen und haben den Konzern für insgesamt rund 1,2 Milliarden Euro vom Chemiekonzern Evonik übernommen. Mittlerweile wollen sämtliche Steag-Städte – Dortmund, Essen, Bochum, Duisburg, Dortmund, Oberhausen und Dinslaken – wieder aussteigen. Die Investmentbank Morgan Stanley hat nach Unternehmensangaben bereits zahlreiche potenzielle Investoren angesprochen. Es wäre ein Deal, mit dem ein milliardenschwerer Verkaufserlös verbunden sein könnte. Über einen Verkaufspreis in Höhe von zwei Milliarden Euro oder mehr wird spekuliert. Als möglicher Investor wird unter anderem der tschechische Konzern EPH gehandelt, der vom Unternehmer Daniel Kretinsky gelenkt wird. Vor einigen Jahren hat EPH bereits das Braunkohlegeschäft von Vattenfall in Ostdeutschland gekauft. Auch die Essener RAG-Stiftung ist dem Vernehmen nach in Sachen Steag angesprochen worden.

Steag will Kohlekraftwerke im Winter hochfahren

Einen Verkauf der Steag bezeichnet IGBCE-Chef Vassiliadis als „zwingend“, denn die bisherigen Eigentümer hätten „das Interesse“ an dem Essener Unternehmen mit rund 5700 Beschäftigten verloren. „Die haben ja kein Geld mehr gegeben“, sagt der Gewerkschaftschef mit Blick auf die Ruhrgebiets-Stadtwerke. Vor anderthalb Jahren sei die Steag „haarscharf an der Insolvenz vorbeigegangen“, erinnert sich Vassiliadis. „Wir waren ganz kurz davor.“ Da Kohlekraftwerke in der Energiekrise wieder stark gefragt seien, habe sich die Lage mittlerweile aber grundlegend geändert.

Im bevorstehenden Winter will die Steag mehrere Anlagen hochfahren und damit bundesweit „den größten Beitrag aller Steinkohle-Kraftwerksbetreiber zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit“ leisten, wie das Unternehmen betont. Der Konzern wolle zusätzlich 2300 Megawatt Kraftwerksleistung ab diesem Winter anbieten – eine beachtliche Größenordnung. Die beiden saarländischen Steag-Kraftwerke Bexbach und Weiher sollen demnach mit einer Leistung von insgesamt 1400 Megawatt spätestens zum 1. November aus der sogenannten Netzreserve gehen und an den Markt zurückkehren. Zusätzlich plant die Steag, Anlagen im nordrhein-westfälischen Bergkamen und in Völklingen im Saarland (Kraftwerk Fenne) mit einer Gesamtleistung von rund 900 Megawatt über das ursprünglich geplante Stilllegungsdatum Ende Oktober hinaus im Markt zu halten.

Interne Querelen bei Steag belasten Verkaufsprozess

Obwohl es derzeit wirtschaftlich gut läuft bei der Steag, hat es in den vergangenen Wochen Querelen im Management gegeben. Aufsichtsratschef Gerhard Jochum verlässt nun den Konzern – ein Nachfolger ist zunächst nicht benannt worden. Für die Nachbesetzung des Aufsichtsratsmandats soll der Dortmunder Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) einen Vorschlag unterbreiten. Jochum, ein erfahrener Energiemanager, trage mit seinem Rückzug „den Bestrebungen der Steag-Anteilseigner Rechnung, für den nun angelaufenen Verkaufsprozesses wieder verstärkt selbst in die Verantwortung zu gehen“, heißt es in einer Mitteilung des Essener Energiekonzerns. Wenige Tage vor Jochums Rückzug ist ein konzerninterner Streit um millionenschwere Berater-Honorare bei der Steag bekannt geworden.

Im täglichen Geschäft ist es für die Steag-Geschäftsführung eine Herausforderung, die Kohlekraftwerke zum Winter ans Laufen zu bekommen. „Durch den Ukraine-Krieg gibt es eine neue Lage“, hatte Steag-Geschäftsführer Andreas Reichel bereits Ende März im Gespräch mit unserer Redaktion gesagt. „Es wird angesichts der aktuellen Energiekrise nicht mehr das Ziel sein, zu schauen, wie wir möglichst schnell bis zum Jahr 2030 viele Anlagen vom Netz bekommen. Stattdessen sollten wir für jedes einzelne Kraftwerk einen Zeitraum definieren, wie lange es noch gebraucht wird.“

Uniper-Kohlekraftwerke in Gelsenkirchen-Scholven gehen in die Verlängerung

Auch der Düsseldorfer Energiekonzern Uniper, der wegen der Gaskrise verstaatlicht werden soll, will Kohlekraftwerke länger als ursprünglich geplant am Netz halten. Der Konzern betreibt am Standort Gelsenkirchen-Scholven drei Kohleblöcke: Scholven B und C sowie das Fernwärmekraftwerk Buer. Die Anlagen „Scholven B“ und „Scholven C“ seien vom Netzbetreiber Amprion als systemrelevant eingestuft worden, erklärt das Unternehmen auf Anfrage. Nach einer Entscheidung der staatlichen Bundesnetzagentur müsse der Block C nun noch zwei Jahre – bis Ende Oktober 2024 – von Uniper in der sogenannten Netzreserve betriebsbereit gehalten werden. Das Unternehmen prüfe nun, ob der Block C über die Reserve hinaus am Strommarkt gehalten werden solle. „Uniper hat also noch etwas Zeit, um eine Entscheidung zum möglichen Weiterbetrieb zu treffen, und wird sich diese auch nehmen“, heißt es im Konzern.

Das Uniper-Fernwärmekraftwerk Buer ist Unternehmensangaben zufolge nicht als systemrelevant eingestuft worden, komme also nicht in die Netzreserve. Eine Stilllegung sei zum 31. März kommenden Jahres geplant. Eine Entscheidung der Netzagentur zum Block B, der Ende Juni nächsten Jahres stillgelegt werden soll, stehe noch aus. Generell zeichnet sich jedenfalls ab, dass sich auch bei Uniper der Abschied von der Kohleverstromung verzögert.

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„Der Weg bis 2030 verändert sich“, sagt IGBCE-Chef Vassiliadis mit Blick auf den geplanten Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland. „Kraftwerke gehen wieder ans Netz oder bleiben drin.“ Der vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs gefundene „Kohlekompromiss“ sehe ohnehin erst einen Ausstieg bis zum Jahr 2038 vor. Da seien „noch ein paar Tage Zeit“, so Vassiliadis. „Muss man die Ziele jetzt aufgeben? Nein. Sind die unter Druck? Natürlich“, sagt der IGBCE-Vorsitzende.

Ob er die Schließung der Steinkohlenzechen in Deutschland Ende 2018 bedaure? Dazu sagt Vassiliadis, die Bergwerke seien aus Kostengründen geschlossen worden, „jetzt wären sie wettbewerbsfähig“. Allerdings gebe es derzeit auch „horrende Preise“. Einen Neustart für den Steinkohlenbergbau in Deutschland hält indes auch Vassiliadis für unrealistisch. „Das ist jetzt zu spät“, sagt er. Schon die Vorbereitungen für Steinkohlenbergbau würden wohl zehn Milliarden Euro kosten. „Das ist einfach nicht darstellbar.“ Beim Abbau von Braunkohle allerdings sei „der Aufwand geringer“.