Essen. Nach der Ankündigung des Bochumer Wohnungsriesen Vonovia, 2023 keine Neubauprojekte mehr zu starten, fordert die IG BAU den Staatseinstieg.

Mit seiner Ankündigung, alle für 2023 geplanten Neubauprojekte zu stoppen, hat der Bochumer Vonovia-Konzern die Branche und die Politik aufgeschreckt. Kritik aus der Bundesregierung folgt nun die erneute Forderung der IG BAU nach einem Staatseinstieg bei Deutschlands größten Wohnungskonzern. Nur das könne „einen Kollaps auf dem sozialen Wohnungsmarkt“ verhindern, erklärte Harald Schaum, Vizechef der Gewerkschaft.

Vonovia-Vorstand Daniel Riedl hatte zuvor unserer Zeitung gesagt: „Wir werden in diesem Jahr keinen Beginn von Neubauprojekten haben. Die Inflation und die Zinsen sind enorm gestiegen und davor können wir nicht die Augen verschließen.“ Auch wegen der steigenden Baukosten müsse der Dax-Konzern die Reißleine ziehen und warten, bis bessere Rahmenbedingungen oder eine entsprechende Förderpolitik das Bauen wieder rentabel machten.

Bundesbauministerium kritisiert Vonovia

Das Bundesbauministerium kritisierte diese Ankündigung scharf. „Auch wenn wir turbulente Zeiten in der Bauwirtschaft auf Grund der Zinswende haben: Vonovia kann sich als größtes Wohnungsunternehmen nicht aus der Verantwortung stehlen“, sagte die Parlamentarische Staatssekretärin Cansel Kiziltepe (SPD) dem Handelsblatt. Ihr Gegenvorschlag: „Vonovia sollte Dividendenzahlungen einstellen und das Geld zur Absicherung des Neubaus verwenden.“ Den Aktionärinnen und Aktionären dürfte diese Idee nicht so gut gefallen haben.

Bauministerin Klara Geywitz (SPD) hatte bereits vorher eingeräumt, ihr Ziel von 400.000 neu gebauten Wohnungen pro Jahr, von denen jede vierte eine Sozialwohnung sein soll, auch 2023 nicht zu erreichen. Was weitere Dramatik dadurch erhält, dass nach Ansicht ihres Hauses wegen des anhaltenden Zustroms flüchtender Menschen aus der Ukraine aktuell sogar bis zu 600.000 neue Wohnungen benötigt würden.

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Gewerkschafter Schaum schlägt in genau diese Kerbe: „Genau in der Zeit, in der Kriegsflüchtlinge kommen und die Schlangen bei Wohnungsbesichtigungen immer länger werden, zeigt Vonovia die kalte Kommerz-Schulter.“ Wenn Deutschlands größter Wohnungskonzern den Neubau auf Eis lege, habe das „erhebliche soziale Auswirkungen“, dies sei „ein Tiefschlag für den Markt, der dringend Wohnungen braucht, und für die Menschen, die dringend eine Wohnung suchen“.

IG BAU fordert Staatsanteil von 25 Prozent und einer Aktie

Die IG BAU fordert seit Monaten eine Teilverstaatlichung des Bochumer Wohnungsriesen, durch die Ankündigung des Neubau-Stopps sieht sie sich darin nun bestätigt. „Es wird höchste Zeit, dass der Bund bei Vonovia einsteigt. Er muss einen Anteil von 25 Prozent plus eine Aktie erwerben“, fordert Schaum. Mit dieser Sperrminorität erhielte der Staat die Möglichkeit, „Einfluss auf die langfristige Strategie bei Vonovia“ nehmen zu können, etwa auf den Neubau, die Modernisierungen und die Mietpreisentwicklung.

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Vonovia-Vorstand Riedl hatte die Entscheidung damit begründet, dass bei den aktuellen Baukosten von 5000 Euro pro Quadratmeter Mieten verlangt werden müssten, die kaum noch jemand bezahlen könne. 20 Euro je Quadratmeter seien in fast allen Städten Deutschlands völlig „unrealistisch“. Ähnlich hatte sich Konzernchef Rolf Buch bereits im November geäußert. Weil sich die Neubaumieten niemand mehr leisten könne, hatte er seinerzeit ankündigt, die Investitionen in Neubau und energetische Sanierungen 2023 um 40 Prozent zu senken. Denn freiwillig Verluste einfahren will der börsennotierte Konzern auch nicht.

Auch die LEG hat Neubau auf Eis gelegt

Vonovia ist damit auch nicht allein: Die Düsseldorfer LEG, bundesweit zweitgrößte Wohnungsgesellschaft, hatte schon im vergangenen Herbst angekündigt, nur noch begonnene Bauprojekte fertigzustellen und bis auf Weiteres keine neuen mehr zu beginnen. Mit derselben Begründung, die Wohnungen würden so teuer, dass niemand die Miete zahlen könne. „Die Entwicklung von Neubauprojekten ist kapitalintensiv und vor dem Hintergrund steigender Baukosten und -zinsen, unsicherer Förderbedingungen und steigender Umweltanforderungen vor allem im Segment bezahlbarer Wohnraum nicht mehr darstellbar“, hieß es Mitte November im LEG-Bericht zum dritten Quartal.

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Die Bauzurückhaltung, die sich auch in etlichen Stornierungen kleiner privater Hausbau-Pläne zeigt, vergrößert indes eine weitere Sorge der IG BAU: Dass der ohnehin bereits zu spürende Fachkräftemangel auf dem Bau nun weiter wächst. „Wenn der Staat es jetzt zulässt, dass der Wohnungsbau in die Knie geht, dann riskiert er, dass Baukapazitäten abgebaut werden“, sagt Gewerkschaftsvize Schaum, und warnt: „Wir dürfen keinen Bauarbeiter nach Hause schicken.“ Ansonsten erlebe der Bau den „Gastro-Effekt“: Wer die Branche einmal verlasse, kehre auch nicht wieder.

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