Essen. Eon-Chef Birnbaum zeigt sich besorgt. Wegen der Preisbremsen für Strom und Gas gebe es „ein falsches Gefühl“ von Sicherheit bei den Verbrauchern.
Der Chef des bundesweit größten Strom- und Gasversorgers Eon, Leonhard Birnbaum, sieht Deutschland noch mitten in der Energiekrise. „Mein Eindruck ist, dass sich gerade viele in einem falschen Gefühl von Sicherheit wiegen und die tatsächlichen Auswirkungen noch nicht realisiert haben“, sagt Birnbaum mit Blick auf die hohen Energiepreise. „In der öffentlichen Diskussion klingt es so, als ob die Energiepreisbremsen das Problem der hohen Preise dauerhaft lösen“, so der Eon-Chef. Seine Einschätzung sei: „Die Preisbremsen verhindern, dass massive Preisspitzen auf die Kunden durchschlagen. Sie verhindern aber keineswegs einen deutlichen Anstieg der Preise.“
Die Preisbremsen für Strom und Gas gelten lediglich für 80 Prozent des bislang durchschnittlichen Verbrauchs – gemessen am Vorjahr. Besonders teuer kann es werden, wenn Haushalte nicht einsparen und über den „Basisbedarf“ hinaus Energie beziehen. Wenn die Menschen genauso viel Strom oder Gas verbrauchen wie bisher, müssen sie – so ist es mit der Preisbremse vorgesehen – die letzten 20 Prozent zu meist besonders hohen Marktpreisen bezahlen.
Seit dem Jahresbeginn gibt es in Deutschland die historisch einmalige Situation, dass der Staat die Verbraucherpreise für Strom und Gas begrenzt. Der Gaspreis für private Haushalte wird bei 12 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt. Beim Strompreis sind es 40 Cent, zumindest für den „Basisbedarf“, wie es die Bundesregierung nennt. Oft liegen die Energiepreise, die bei einem Verbrauch über dem „Basisbedarf“ anfallen, über dem Niveau der Preisbremsen. Eon verdoppelt beispielsweise die Preise bei den Tarifen „Strom stabil“ und „Eon Strom“ auf rund 50 Cent pro Kilowattstunde.
Eon-Chef: „Kein Grund zur Entwarnung“
Konzernchef Birnbaum verweist auf nach wie vor vergleichsweise hohe Einkaufspreise. „Zuletzt sind die Preise im Gas-Großhandel gefallen“, sagt Birnbaum. „Das ist zwar ein gutes Zeichen, aber noch kein Grund zur Entwarnung. Noch immer sind die Preise auf einem Niveau, das wir noch vor einigen Jahren für undenkbar gehalten haben.“ Nachdem die Großhandelspreise im vergangenen Jahr am Terminmarkt, an dem die Gasversorger den Großteil des künftig benötigten Gases beschaffen, im Schnitt 117 Euro je Megawattstunde betragen hätten, seien es seit einigen Wochen rund 70 Euro.
Dies entspreche zwar etwa dem Niveau, auf dem sich die Preise kurz vor Beginn des Angriffskriegs von Russland gegen die Ukraine bewegten, erklärt der Chef des Essener Konzerns. Allerdings seien die Einkaufspreise für die Versorger damit immer noch fast viermal so hoch wie vor den Krisenjahren. In den Jahren 2015 bis 2019 hätten die durchschnittlichen Gaspreise bei rund 18,50 Euro je Megawattstunde gelegen. Im Übrigen wisse niemand, „wie sich die Preise in den kommenden Wochen und Monaten entwickeln“, so Birnbaum.
Verbraucherzentrale NRW dringt auf Preissenkungen
Die Verbraucherzentrale NRW hat bereits von einer „Trendwende“ bei den Preisen gesprochen und die Versorger aufgefordert, darauf zu reagieren. „Ab jetzt muss das Signal lauten: Preissenkungen“, sagte Udo Sieverding, der Energieexperte der Verbraucherzentrale NRW, vor wenigen Tagen unserer Redaktion. „Angesicht der Entwicklung an den Großhandelsmärkten für Energie müsste es – milde Temperaturen im Februar oder März vorausgesetzt – im Frühjahr eine Preissenkungswelle geben. Alles andere wäre nicht vermittelbar.“ Womöglich lohne sich bei fallenden Preisen ein Anbieterwechsel.
„Unsere Kunden, die Menschen in diesem Land, sind massiv verunsichert“, sagt Eon-Chef Birnbaum. Seit Beginn der Energiekrise hätten die Kundenanfragen in Deutschland um rund ein Drittel zugenommen. Auch er persönlich erhalte im Vergleich zu früher „viel mehr besorgte Emails von Kunden“. Für viele Menschen sei Energie zu einem „existenziellen Gut“ geworden. „Der Beratungsbedarf durch die Strom- und Gaspreisbremsen ist enorm gestiegen, was auch für uns eine enorme Mehrbelastung bedeutet“, so Birnbaum. In den vergangenen Wochen und Monaten habe der Kundenservice von Eon daher 500 neue Beschäftigte mit an Bord genommen. Eon beliefert in Deutschland eigenen Angaben zufolge rund 14 Millionen Privat- und Geschäftskunden. Auch zahlreiche Stadtwerke-Beteiligungen gehören zum Essener Konzern.
Auch RWE-Chef Markus Krebber hatte im Podcast „Die Wirtschaftsreporter“ gesagt, er rechne im Jahr 2023 trotz der staatlichen Preisbremsen mit hohen Belastungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Auf sie sehe er „eine Verdoppelung der Kosten für Strom und Gas gemessen am Niveau vor der Krise zukommen – auch mit der Preisbremse“. Und dabei bleibe es auch nur unter der Voraussetzung, dass die Menschen wirklich 20 Prozent ihres Energieverbrauchs einsparen, wie es die Bundesregierung anstrebt.
Birnbaum: „Wir müssen noch viel mehr einsparen“
Birnbaum zeigt sich angesichts der aktuellen Energieverbräuche der privaten Haushalte besorgt. „Wir müssen in Deutschland und in ganz Europa noch viel mehr einsparen. Denn das günstige Gas, das Energieversorger noch vor dem Krieg für ihre Kunden beschafft haben, ist demnächst verkauft. Wenn etwa die Konjunktur in China anzieht, wird es für uns auch erheblich schwieriger, Flüssig-Erdgas bezahlbar auf dem Weltmarkt zu beziehen.“
Die Industrie habe in den vergangenen Monaten rund 20 Prozent Gas eingespart , die privaten Haushalte allerdings lediglich rund zehn Prozent. „Das ist zu wenig“, sagt Birnbaum. „Wir können nicht darauf bauen, dass uns wieder ein warmer Winter helfen wird“, fügt er mit Blick auf die Zukunft hinzu. „Für den Winter 23/24 können wir keine Entwarnung geben. Denn bei den Mengen müssten wir eigentlich viel mehr sparen.“ Im zu Ende gehenden Winter 22/23 indes sei es „unwahrscheinlich“, dass noch ein Versorgungsproblem entstehen könnte.
Infolge der Energiekrise sieht Birnbaum auch die Wettbewerbsfähigkeit Europas gefährdet. „Wir verlieren gegenüber den USA und Asien an Boden“, mahnt der Eon-Chef. Durch die Umstellung auf Flüssiggas (LNG) per Schiff werden die Energiepreise seiner Meinung nach nicht mehr auf das Vorkriegsniveau zurückkommen. Die europäische Gesellschaft müsse deshalb „jetzt die Ärmel hochgekrempelt lassen“ und für ihren Wohlstand kämpfen.
„Der Wettbewerb um internationales Kapital wird schwieriger“, bemerkt Birnbaum. Dies gelte für Eon und für Europa. Als Positivbeispiel führte er den „Inflation Reduction Act“ in den USA an. Mit dem Förderprogramm zur Bekämpfung der Inflation habe die USA einen energie- und wirtschaftspolitischen Rahmen geschaffen, „den sich viele in der aktuellen Situation in Europa wünschen würden“. Birnbaum fordert, die Energiewende in Deutschland voranzutreiben – auch mit Hilfe von Bürokratieabbau. „Denn was nützt das Ziel, in Deutschland ein Windrad in zehn Monaten zu genehmigen, wenn wir zehn Jahre für die Leitung benötigen, die den daraus erzeugten Strom weiterleitet?“