Düsseldorf. Bundesnetzagentur bleibt im Krisenmodus: Entwarnung will Behördenchef Müller nicht geben. Bei den Strom- und Gaspreisen vermisst er Wettbewerb.
Das Wort „Entwarnung“ will Klaus Müller nicht in den Mund nehmen, wenn es um die Gasversorgung geht. Er bewege sich kommunikativ auf einem schmalen Grat, sagt der Chef der Bundesnetzagentur, die Tag für Tag akribisch auf die Füllstände von Deutschlands Erdgasspeichern blickt. Einerseits hat sich die zwischenzeitlich arg angespannte Versorgungslage entspannt, andererseits wolle er nicht das Signal aussenden, das Problem sei nun gelöst. „Für diesen Winter geht die Bundesnetzagentur nicht mehr von einer Gasmangellage aus, aber wir müssen uns jetzt schon auf den Winter 23/24 vorbereiten“, betont Müller vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung (WPV) in Düsseldorf. „Auch jetzt müssen wir mahnen, auch wenn wir damit nicht den Preis der beliebtesten Behörde kriegen.“ Spar-Appelle kämen nicht überall gut an.
Als Behördenchef sieht Müller Parallelen zur Situation des Robert Koch-Instituts in der Corona-Krise. „Wir haben viel auch mit dem RKI gesprochen“, erzählt Müller, der vor seinem Amtsantritt bei der Bonner Netzagentur unter anderem Umweltminister in Schleswig-Holstein und Deutschlands oberster Verbraucherschützer war. Als Empfehlung des RKI habe er mitgenommen: „Sag wie es ist, selbst wenn die Botschaft komplex ist.“
Aktuell liege der Gasspeicher-Füllstand bei rund 80 Prozent. Das wirkt komfortabel. Im Spätsommer vergangenen Jahres hat die Bundesregierung erklärt, die Speicherfüllstände dürften im Februar 2023 sogar auf 40 Prozent sinken. Viel hänge vom Wetter ab, gibt Müller zu bedenken. Bei einem „normalen Februar“ und „ein bisschen Frösteln“ im März gebe es „gute Chancen“, dass die Republik mit Gasspeichern aus dem Winter gehe, die mehr als zur Hälfte gefüllt seien. Wenn ein „warmer Februar“ komme, sei auch ein Pegel über 60 Prozent möglich. Eine entscheidende Frage sei: „Mit welchem Gas-Speicherstand gehen wir aus diesem Winter raus?“
Müller bringt „strategische Gasreserve“ ins Gespräch
Im Spätsommer und Herbst vergangenen Jahres sei die Sorge, dass es zu einer „Gasmangellage“ kommt, groß gewesen. „Jetzt haben wir das Präventions-Paradoxon“, sagt Müller – ein Phänomen, das ebenfalls aus der Corona-Pandemie bekannt sei. „Wenn ein Problem nicht eingetreten ist, hat man ganz häufig das Gefühl: Vielleicht war das Problem gar nicht so groß.“
Müller mahnt jedenfalls, Vorsorge zu treffen für den kommenden Winter 2023/24, in dem Deutschland gänzlich ohne russisches Pipeline-Gas auskommen müsse. Hierfür bringt er auch eine „strategische Gasreserve“ ins Gespräch, wie es sie für Erdöl bereits gebe. „Ich glaube, dass die Diskussion notwendig ist“, sagt Müller. Ein „bestimmtes Maß an gefüllten Speichern“ mache Deutschland unabhängig von Lieferungen aus dem Ausland und habe „höchstwahrscheinlich einen preissenkenden Effekt“. Denkbar sei auch, eine solche Reserve später auch für Wasserstoff anzulegen, wenn das eine Gas durch das andere ersetzt werde. Der Ansatz müsse sein: „Wie schaffen wir dauerhaft Krisenvorsorge?“
Das Pipeline-Netz müsse ebenfalls umgebaut werden, gibt Müller zu bedenken. Bislang ist es auf Gas-Ströme von Ost nach West ausgerichtet, künftig müsse es ein Nord-Süd- und ein West-Ost-Netz geben. Deutschlands bestehende Gasinfrastruktur sei „nicht zukunftsfähig“, urteilt Müller. „Niemand rechnet in absehbarer Zeit damit, dass wir zu alten Verhältnissen zurückkehren.“ Daher brauche Deutschland „eine neue Gas-Infrastruktur“.
Netzagentur beklagt mangelnden Wettbewerb um Strom und Gas
Auch mit Blick auf die hohen Strom- und Gaspreise sieht Müller Handlungsbedarf. Derzeit gebe es „kein vernünftiges Wettbewerbsmodell“, kritisiert der frühere Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands. In den Vergleichsportalen sehe er, dass es im Vergleich zu den zurückliegenden Jahren deutlich weniger Angebote gebe. Manche Stadtwerke würden sich nur noch auf ihr angestammtes Versorgungsgebiet konzentrieren und hätten sich aus dem bundesweiten Wettbewerb zurückgezogen. Das beschränke die Wahlmöglichkeiten für Verbraucherinnen und Verbraucher.
Viele Menschen hätten in den vergangenen Monaten bei Anbieterwechseln „nicht nur gute Erfahrungen gesammelt“, so Müller. Er verwies in diesem Zusammenhang auf zahlreiche Vertragskündigungen durch Energiediscounter. Hier habe es „Wild-West-Manier“ gegeben. Preisaufsicht und -genehmigung seien aus guten Gründen abgeschafft worden, bemerkt Müller. Es gebe in Deutschland keine Behörde mehr, die diese Rolle übernehme.
Die Versorgungssicherheit sei derzeit das „primäre Ziel“, parallel sollte nach Einschätzung von Müller allerdings auch diskutiert werden, wie sich „wieder Preis-Wettbewerb auf Strom- und Gasmärkten organisieren“ lasse.
„Stromnetz-Ausbau ist nicht populär“
Auch mit Blick auf den Ausbau der Stromnetze macht Müller Druck. Kosten in Höhe von 17 Milliarden Euro seien bundesweit im vergangenen Jahr entstanden, um Strommengen auszugleichen mit dem Ziel, das Netz stabil zu halten. „Das sind die Kosten des nicht guten Netzausbaus in Deutschland“, sagt Müller und betont: „Für mich hat es die oberste Priorität, die Netze so schnell wie möglich auszubauen.“
Das bedeute auch, dass es mancherorts „unangenehme Kontroversen“ mit Bürgermeistern, Landräten und Bürgerinitiativen gebe. Denn: „Stromnetz-Ausbau ist nicht populär.“ Es gebe viele Menschen, die meinten, „vor meiner Haustür müsste es die Stromleitung aber nicht geben“. Seine Strategie sei klar, sagt Müller: „Wo immer die Bundesnetzagentur eine schnelle Variante wählen kann, ist das für uns eine gute Variante. Und das wird Konflikte bedeuten.“