Essen. Die Verbraucherzentrale NRW rechnet bei den Energiepreisen mit einem Abwärtstrend. Experte Udo Sieverding erklärt im Interview die Hintergründe.
Seit dem Jahresbeginn gibt es in Deutschland die historisch einmalige Situation, dass der Staat die Verbraucherpreise für Strom und Gas begrenzt. Der Gaspreis für private Haushalte wird bei 12 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt. Beim Strompreis sind es 40 Cent, zumindest für den „Basisbedarf“, wie es die Bundesregierung nennt. Udo Sieverding, der Energieexperte der Verbraucherzentrale NRW, erklärt, was die Auswirkungen der Preisbremsen sind. Wie viel Geld sollten Haushalte in diesem Jahr für die Energiekosten einplanen? Wie bewertet er die Tariferhöhungen des Essener Versorgers Eon? Ist die Grundversorgung besser als Sondertarife? Und was rät Sieverding Verbraucherinnen und Verbrauchern, die von Preissteigerungen betroffen sind? Der Experte der Verbraucherzentrale NRW erwartet eine Trendwende. „Angesicht der Entwicklung an den Großhandelsmärkten für Energie müsste es – milde Temperaturen im Februar oder März vorausgesetzt – im Frühjahr eine Preissenkungswelle geben“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion.
Herr Sieverding, sind die Preisbremsen für Strom und Gas das richtige Instrument?
Sieverding: Die Höhe finde ich richtig gewählt. Der Staat springt ein, um soziale Verwerfungen angesichts der massiven Preissteigerungen zu verhindern. Die Preisbremsen haben aber auch Nachteile. Der Wettbewerb leidet. Außerdem gibt es die Gefahr, dass Versorger versuchen, die Situation auszunutzen. Die Preisbremsen werden mit Steuergeld finanziert. Der Staat pumpt Milliardensummen in den Energiesektor. Hier kann es Mitnahmeeffekte geben.
Die Preisbremsen gelten für 80 Prozent des bislang durchschnittlichen Verbrauchs – gemessen am Vorjahr. Besonders teuer kann es werden, wenn Haushalte nicht einsparen und über den „Basisbedarf“ hinaus Energie beziehen. Aber wie realistisch ist überhaupt eine 20-prozentige Einsparung?
Sieverding: Ich denke, dass viele Haushalte an ihre Grenze kommen werden. Mit kürzerem Duschen allein ist es jedenfalls nicht getan. Wie viel gespart werden kann, hängt unter anderem davon ab, wie gut ein Gebäude wärmegedämmt ist. Es wenden sich auch Verbraucher an uns, die es ungerecht finden, dass die Verbrauchsmenge des Vorjahres als Basis zur Berechnung der Preisbremse herangezogen wird. Die Argumentation: Wer im vergangenen Jahr – aus welchem Grund auch immer – einen besonders niedrigen Verbrauch hatte, ist nun im Nachteil.
Mit den Preisbremsen gibt es für den Großteil des Strom- und Gasverbrauchs einen Einheitspreis für Deutschlands Privathaushalte. Wie viel Geld müssen die Menschen im Schnitt für das Jahr 2023 einplanen?
Sieverding: Beim Strom sind es beispielsweise für eine Familie mit 3500 Kilowattstunden (kW/h) Jahresverbrauch 1400 Euro für den „Basisbedarf“. Sollte der Tarif eines Versorgers über 40 Cent liegen, zum Beispiel 50 Cent, wären es insgesamt 1470 Euro.
Wie sieht es beim Gas aus?
Sieverding: Bei 18.000 Kilowattstunden für Gas wären es 2160 Euro für den „Basisbedarf“. Liegt der Gas-Tarif des Versorgers zum Beispiel bei 17 Cent, müssten Verbraucher unter dem Strich rund 2340 Euro zahlen. Klar ist also: Die Einsparungen von Strom und Gas lohnen sich auf jeden Fall. Diese Rechnungen berücksichtigen auch nur die Arbeitspreise für Strom und Gas. In aller Regel kommen Grundpreise der Versorger hinzu, die jeweils auch deutlich mehr als 100 Euro ausmachen können. Insgesamt sind – ganz grob gerechnet – bei einer Familie durchschnittlich mehr als 4000 Euro Energiekosten für das Jahr plausibel.
Oft liegen die Energiepreise, die bei einem Verbrauch über dem „Basisbedarf“ anfallen, über dem Niveau der Preisbremsen. Deutschlands größter Energieversorger Eon beispielsweise verdoppelt zum März die Preise bei den Tarifen „Strom stabil“ und „Eon Strom“ auf rund 50 Cent pro Kilowattstunde. Ist das aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?
Sieverding: Viele Versorger, darunter zahlreiche Stadtwerke, haben bereits zum Jahreswechsel die Preise erhöht. Eine Anhebung zum März ist aus meiner Sicht überraschend. In der Grundversorgung waren die Preise von Eon lange Zeit unterdurchschnittlich. In Essen sind es aktuell 30,85 Cent pro Kilowattstunde in der Grundversorgung von Eon, also weniger als bei den genannten Sondertarifen.
Was raten Sie Verbraucherinnen und Verbrauchern, die von Preissteigerungen betroffen sind?
Sieverding: Generell stellen wir fest, dass der Wettbewerb der Strom- und Gasanbieter wieder zunimmt. Es lohnt sich also, die Preise zu vergleichen und gegebenenfalls den Anbieter zu wechseln. Wer bei einer Preisanhebung vom Sonderkündigungsrecht Gebrauch macht und darüber hinaus nichts weiter unternimmt, rutscht automatisch in die Grundversorgung. Wenn diese günstiger ist als ein Sondertarif, liegt dieses Vorgehen nahe.
Lässt sich generell sagen, was derzeit besser ist: die Grundversorgung oder Sondertarife?
Sieverding: Das Bild ändert sich wieder: Zwischenzeitlich war in der Krise die Grundversorgung für Neukunden ein sicherer und vergleichsweise kostengünstiger Hafen. Mittlerweile gibt es wieder Sondertarife, die unter den Preisen in der Grundversorgung liegen. Der Hintergrund ist: An den Großhandelsmärkten für Energie gibt es Entspannung. Eine Gasmangellage scheint abgewendet zu sein. Das zeigt sich auch bei den Neukundentarifen. Es gibt wieder Wettbewerb.
Früher spielten Bonuszahlungen für Kundinnen und Kunden, die den Anbieter wechseln, eine wichtige Rolle bei den Angeboten der Online-Vergleichsportale. Ist das nach wie vor so?
Sieverding: Derzeit sind Bonuszahlungen auf 50 Euro begrenzt. Der Wettbewerb erfolgt daher eher über die Höhe der Arbeitspreise. Das schafft auch mehr Transparenz. Aber Vorsicht und unbedingt auch die Grundpreise beachten.
Wie positionieren sich die Stadtwerke in dieser Situation?
Sieverding: Auffällig und teils auch erklärungsbedürftig sind die großen Preisunterschiede, die es bei den Stadtwerken gibt. Während zum Beispiel der Gaspreis in der Grundversorgung in Münster bei rund 13 Cent pro kW/h liegt, sind es bei der Kölner Rheinenergie und bei den Stadtwerken Düsseldorf rund 17 Cent, in Duisburg sogar 19 Cent. Die Versorger mit hohen Preisen müssen sich gefallen lassen, dass da genau hingeschaut wird. Ich würde den Stadtwerken empfehlen, es nicht zu überreizen. Warum sollen Verbraucher in Duisburg 19 Cent in der Grundversorgung zahlen, wenn Preisvergleichsportale Tarife anbieten, die deutlich darunter liegen?
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In den vergangenen Monaten schien es, als sei nur eine Richtung bei den Preisen möglich: nach oben. Geht das so weiter?
Sieverding: Es zeichnet sich eine Trendwende ab. Zum Jahreswechsel haben wir in NRW als durchschnittlichen Arbeitspreis für Gas rund 16 Cent pro k/Wh registriert, beim Strom rund 46 Cent. Das Ende der Fahnenstange bei den Energiepreisen dürfte damit erreicht sein. So teuer sollte es nie wieder werden. Ab jetzt muss das Signal lauten: Preissenkungen. Angesicht der Entwicklung an den Großhandelsmärkten für Energie müsste es – milde Temperaturen im Februar oder März vorausgesetzt – im Frühjahr eine Preissenkungswelle geben. Alles andere wäre nicht vermittelbar. Wenn der Winter vorüber ist, bietet es sich an, die Preise für Strom und Gas nochmal neu zu vergleichen. Womöglich lohnt sich bei fallenden Preisen ein Anbieterwechsel.