Essen. Bei der Steag verzögert sich eine weitere Umstellung von Kohle auf Gas am großen Kraftwerksstandort Herne. Steag-Strom geht auch nach Frankreich.

Angesichts der Energiekrise verschiebt der Essener Stromkonzern Steag eine weitere Umstellung von Kohle auf Gas am Kraftwerksstandort Herne. Ursprünglich sei geplant gewesen, ein bestehendes Kohlekraftwerk im April stillzulegen und umzubauen, um einen Betrieb mit Gas zu ermöglichen, sagte Steag-Chef Andreas Reichel bei einem Online-Gespräch der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung (WPV). Aufgrund der aktuellen Lage habe die Steag den Zeitplan geändert. Einen Umbau gebe es erst, „wenn die akute Versorgungskrise vorbei ist“, betonte Reichel. „Im Moment macht es natürlich keinen Sinn, ein Kohlekraftwerk, das gebraucht wird, vom Markt zu nehmen.“

Anfang September hat in Herne ein neues Gas- und Dampfturbinenkraftwerk (GuD) den kommerziellen Betrieb aufgenommen. Das Kraftwerke „Herne 6“ – ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Kraftwerksausrüster Siemens Energy – soll Strom und Fernwärme liefern. Mit Hilfe von Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) können Unternehmensangaben zufolge bis zu 275.000 Haushalte im Ruhrgebiet beheizt werden. „Herne 6 ist das neue Rückgrat der Fernwärmeversorgung des Ruhrgebiets“, erklärte Reichel. Bundesweit handle es sich um die größte Anlage ihrer Art, die in diesem Jahr in Betrieb genommen worden sei. Zur Absicherung der Anlage sollte eigentlich zeitnah ein weiteres Gaskraftwerk in Herne entstehen und den Kohleblock Herne 4 ablösen. „Das werden wir auch tun, aber zeitlich verzögert“, erklärte Reichel nun.

Bereits beim Start habe das neue Gaskraftwerk in Herne einem „Strommangel“ entgegengewirkt, sagte Reichel. So sei Steag-Strom aus dem Ruhrgebiet nach Frankreich exportiert worden. Dort habe es Bedarf gegeben, der vom Essener Energiekonzern mit seiner Herner Anlage gedeckt worden sei. Mehr als hierzulande werde in Frankreich Strom auch für die Wärmeversorgung gebraucht, gab Reichel zu bedenken.

Steag plant Ausstieg aus der Kohleverstromung vor 2030

Pläne für eine Stilllegung mehrerer Kohlekraftwerksblöcke in Deutschland – darunter in Bergkamen, Herne und im Saarland – hat die Steag kurzfristig geändert. Der Essener Energiekonzern bringe Kraftwerke mit einer Leistung von 2,5 Gigawatt zurück an den Markt und leiste damit den größten Beitrag eines einzelnen Unternehmens zur Vermeidung einer Mangellage in der Gaskrise, betonte Reichel. Es handle sich aber nicht um einen „Ausstieg aus dem Kohleausstieg“, sondern lediglich um „eine Korrektur auf der Zeitleiste“.

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Mit Ausnahme des Duisburger Kohlekraftwerks „Walsum 10“, das länger laufen soll, plane die Steag einen Betrieb bis zum Frühjahr 2024. „Was danach geschieht, ist Sache des Gesetzgebers“, sagte Reichel. Bei „Walsum 10“ rechne er damit, dass es „jedenfalls vor 2030“ stillgelegt wird. Denkbar sei ein Umbau des Kraftwerks in Walsum. „Das wird auch geprüft“, sagte Reichel. Ein Einsatz von Biomasse oder Gas anstelle von Kohle sei möglich.

Der geplante Verkauf der Steag soll Anfang kommenden Jahres in die heiße Phase gehen. „Die Vorbereitung des Verkaufsprozesses läuft auf Hochtouren“, sagte Reichel. Zuvor ist eine Aufspaltung des Konzernes in einen schwarzen und einen grünen Bereich geplant – mit der Steinkohleverstromung einerseits und den Erneuerbaren andererseits. Das Unternehmen soll aber als Ganzes verkauft werden. Steag-Geschäftsführer Reichel wechselt eigenen Angaben zufolge in eine Holding mit rund 20 Beschäftigten.

Erst Aufspaltung der Steag, dann ein Verkauf geplant

Zum 1. Dezember soll die schwarze Steag separat aufgestellt sein, kündigte Reichel an. Zum Jahreswechsel würden dann alle Anforderungen zur Aufstellung der grünen Steag erfüllt sein. Unmittelbar im Anschluss daran beginne der Verkaufsprozess. Eine Vertragsunterzeichnung sei für Mitte 2023 geplant.

Im schwarzen Bereich sollen Unternehmensangaben zufolge rund 1700 Menschen arbeiten, im grünen Bereich etwa 3000. Hinzu komme eine Servicegesellschaft der Steag in Indien mit rund 1000 Beschäftigten, die vor allem fremde Kohlekraftwerke betreibe. Reichel zeigte sich offen für einen Verkauf des Indien-Geschäfts. Die Steag würde sich von dem Geschäft trennen, wenn es eine Gelegenheit dazu gebe, erklärte er.

Derzeit gehört die Steag sechs Stadtwerken aus dem Ruhrgebiet, die vor mehr als zehn Jahren eingestiegen sind. Für insgesamt rund 1,2 Milliarden Euro übernahmen die kommunalen Betriebe den Essener Energieversorger vom Chemiekonzern Evonik. Nach Querelen zur Strategie des Traditionskonzerns wollen sich die Steag-Städte – Essen, Bochum, Duisburg, Dortmund, Oberhausen und Dinslaken – wieder von der Steag trennen.

Als möglicher Investor wird unter anderem der tschechische Konzern EPH gehandelt, der vom Unternehmer Daniel Kretinsky gelenkt wird. Vor einigen Jahren hat EPH bereits das Braunkohlegeschäft von Vattenfall in Ostdeutschland gekauft. Auch die Essener RAG-Stiftung ist dem Vernehmen nach in Sachen Steag angesprochen worden.