Essen. Sorge um die Stadtwerke. Der Ruf nach einem Schutzschirm wird laut. Milliardenschwere Corona-Hilfen sollen für Versorger umgewidmet werden.
Die Bundesregierung nennt ihn nicht Stadtwerke-Rettungsschirm, will gleichwohl einen aufspannen, der vor allem die rund 900 Endkunden-Versorger der Kommunen durch diese Energiekrise retten soll. Die staatliche KfW-Bank soll Energieunternehmen Kredite zur Verfügung stellen, mit denen sie ihren Gas- und Stromeinkauf absichern können. Dadurch solle verhindert werden, dass Unternehmen „in Schwierigkeiten geraten und weitere Verwerfungen an den Energiemärkten drohen“, erfuhr unsere Redaktion aus BMF-Kreisen.
Das Handelsblatt hatte zuvor berichtet, dass die Ampel-Koalition dafür 67 Milliarden Euro aus dem Corona-Rettungsfonds WSF umwidmen wolle. Diese Summe bestätigte das Ministerium am Dienstag auf Anfrage nicht. Aus Kreisen war allerdings zu vernehmen, das Bundeskabinett wolle dazu am Mittwoch eine Formulierungshilfe für die Bundestagsfraktionen beschließen, die sie in den laufenden Prozess der entsprechenden Gesetzesänderung einbringen sollen.
Stadtwerke versorgen sechs von zehn Gashaushalten
Die Betriebe und Privathaushalte weiter verlässlich mit Gas und Strom zu beliefern, ist in Deutschland vor allem Aufgabe der Stadtwerke. Zusammen versorgen sie rund 13 Millionen Haushalte mit Erdgas und kommen damit auf einen Marktanteil von 65 Prozent. Und in sechs von zehn der gut 40 Millionen Wohnungen in Deutschland kommt der Strom ebenfalls von den jeweiligen Stadtwerken. An ihnen ist es, die extrem gestiegenen Einkaufspreise an die Leute weiterzugeben. Aktuell eint sie die Sorge, dass viele ihrer Kundinnen und Kunden ihre Rechnungen bereits jetzt oder demnächst nicht mehr zahlen können und sie auf den Kosten sitzen bleiben.
Der Dortmunder Stadtwerke-Chef Guntram Pehlke hatte unlängst in unserem Podcast „Die Wirtschaftsreporter“ gesagt, jeder Kundenberater erhalte derzeit 70 Anrufe von Kundinnen oder Kunden, die um Hilfe bitten, weil die Rechnung sie überfordert. Pehlke befürchtet Zahlungsausfälle bis zu 100 Millionen Euro allein in Dortmund, wenn die Entwicklung ungebremst so weitergehe. Deshalb brauche es einen Rettungsschirm für die Stadtwerke.
Städtebund: Die Kommunen schaffen das nicht
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) verweist auf Schätzungen, dass weit über zehn Prozent der Stadtwerke-Kunden womöglich ihre Rechnungen in der Krise nicht mehr bezahlten könnten, was die örtlichen Versorger enorm belaste. „Teilweise müssen die Stadtwerke schon jetzt das Zehn- oder Fünfzehnfache der Beschaffungskosten schultern, ohne das an die Kunden weitergeben zu können“, sagte DStGB-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg unserer Redaktion. Dass die Kommunen als Eigentümerinnen ihre Stadtwerke durch Kredite oder Zuwendungen stützen könnten, hält er aufgrund der Dynamik dieser Energiekrise für unrealistisch. Zumal sich gerade in NRW viele Kommunen in einer „desolaten Lage“ befänden.
„Die Stadtwerke sind für die Gasversorgung systemrelevant“, betont Landsberg, „wenn Stadtwerke in Konkurs gehen müssen, ist die Gasversorgung gefährdet.“ Und dabei gehe es nicht nur um das Energiegeschäft. „Stadtwerke betreiben Schwimmbäder, betreiben den Öffentlichen Personen-Nahverkehr. Die Funktionsfähigkeit der kommunalen Daseinsvorsorge hängt an den Stadtwerken. Deswegen brauchen wir diesen Rettungsschirm“, sagt der DStGB-Geschäftsführer.
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Noch vor wenigen Tagen beklagte sich Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen darüber, dass es für Deutschlands Stadtwerke „noch keinen Schutzschirm“ gebe. Die kommunalen Versorger hätten eine besondere Rolle in der Krise, gab der OB zu bedenken, der auch Aufsichtsratschef der Essener Stadtwerke ist. „Irgendeiner wird liefern müssen: Gas und Strom. Und er wird auch dann Gas und Strom liefern müssen, wenn nicht klar ist, ob die Rechnung auch bezahlt wird, später oder vielleicht gar nicht“, sagte Kufen im Podcast „Die Wirtschaftsreporter“. Er warnte in diesem Zusammenhang davor, „Stadtwerke in die Insolvenz zu schicken“. Sein „dringender Appell an die Bundespolitik“ sei, „die Stadtwerke im Blick zu behalten“.
„Die Lage ist extrem angespannt“
„Die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen zur Abfederung der Energiepreiskrise sind bislang überwiegend auf Privathaushalte zugeschnitten. Jetzt muss die Bundesregierung dringend mittelständische Betriebe sowie Stadtwerke und Regionalversorger in den Fokus nehmen“, mahnt Marie-Luise Wolff vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Das „Rückgrat der deutschen Wirtschaft“ drohe ohne Hilfen zu brechen. Der Verband fordere deswegen Liquiditätshilfen für Stadtwerke und Regionalversorger sowie ein Insolvenzmoratorium, also einen Aufschub der Pflicht zu Insolvenzanträgen.
Auch der Verband kommunaler Unternehmen (VKU), der die Interessen der Stadtwerke vertritt, zeigt sich besorgt. „Die Lage ist extrem angespannt“, erklärt der VKU. „Generell sind Stadtwerke in einer Sandwich-Position: Sie sind abhängig von ihrem Vorlieferanten und haben gleichzeitig gegenüber ihren Kunden Lieferverpflichtungen.“ Die Stadtwerke müssten „laufend neu und zu deutlich höheren Preisen Energie einkaufen, bei gleichzeitig steigenden Besicherungsanforderungen“, die in der Branche als eine Art Kaution anfallen. „Auf der Kundenseite besteht zudem die Gefahr von Zahlungsausfällen. Diese Dimension hängt davon ab, wie das angekündigte Entlastungsprogramm für Verbraucher, Gewerbe und Industrie wirkt.“
Hilfsanfragen über zweistelligen Milliardenbetrag
Dass zusehens Endkundenversorger unter Druck geraten, ist in Habecks Wirtschaftsministerium längst angekommen. Es hat Mitte Juni das so genannte „Margining“-Programm aufgelegt, das sind KfW-Kredite für Energieunternehmen, die derzeit Gas und Strom an den teuren Tagesmärkten einkaufen müssen, um ihre Kunden weiter versorgen zu können. Die dafür an den Terminbörsen zu hinterlegenden Sicherheiten sind mit den Preisen derart gestiegen, dass viele Unternehmen sie nicht mehr aus ihren verfügbaren Mitteln finanzieren können.
Es lägen „diverse Anträge zur Liquiditätsüberbrückung“ vor, zitiert das Handelsblatt aus einem internen Ministeriums-Papier, „das Volumen der Anträge umfasst einen niedrigen zweistelligen Milliardenbetrag“, heißt es darin weiter. Das Wirtschaftsministerium bestätigte diesen Wert am Dienstag auf Anfrage nicht, verwies aber auf das laufende Programm, das genau dafür gedacht sei.
VkU hält Margining-Rettungsschirm für unzureichend
Der Verband kommunaler Unternehmen (VkU), der die Stadtwerke vertritt, hält diesen Margining-Rettungsschirm für „generell richtig“, aber nicht zielgenau, weil er sich auf den Börsenstromhandel beschränke und den außerbörslichen Energiehandel ausklammere, an dem nicht nur die Stadtwerke den größten Teil ihrer Energie einkauften. Zudem machten es „die strikten Zugangsbedingungen Stadtwerken aktuell fast unmöglich, am Margining-Rettungsschirm zu partizipieren“, kritisiert der VkU.
Bisher stützt der Staat vor allem den Düsseldorfer Uniper-Konzern, der als größter deutscher Gasimporteur nach eigenen Angaben ohne die Staatshilfe bereits insolvent wäre. Das Rettungspaket umfasst insgesamt 15 Milliarden Euro, Uniper hat aber unlängst nach weiteren vier Milliarden Euro an KfW-Krediten gebeten.