Essen. Viele könnten ihre Rechnungen jetzt schon nicht mehr zahlen, warnt Dortmunds Stadtwerke-Chef Pehlke im Podcast, und vor dem nächsten Preisschock.

Energiepauschale für die Beschäftigten, Tankrabatt und 9-Euro-Ticket für alle, nun eine Gasumlage zur Rettung von Uniper & Co. – die Bundesregierung hat ein Hilfspaket nach dem andern geschnürt, um das Land, seine Unternehmen und Menschen durch diese Energiekrise zu bringen. Aber nicht die richtigen, ist Guntram Pehlke überzeugt. Das 9-Euro-Ticket sei nicht sehr erfolgreich gewesen, die Energiepauschale helfe nicht denen, die Hilfe benötigten und die Gasumlage sei „ein politischer Fehler“, sagt der Chef der Dortmunder Stadtwerke DSW21 in unserem Podcast „Die Wirtschaftsreporter“.

Er warnt davor, die Energiekrise werde viele Menschen in Deutschland überfordern. „Wir werden erleben, dass viele Menschen wieder anfangen, nur einen Raum in ihrer Wohnung zu heizen, wie wir das aus der Zeit nach den Zweiten Weltkrieg kennen. Wir werden erleben, dass Menschen die Rechnung gar nicht mehr bezahlen können.“

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Das bekommen dann die Stadtwerke zu spüren, bei deren Energie- und Nahverkehrsunternehmen all diese Themen geballt aufschlagen. Der chronisch defizitäre Nahverkehr, der jedes Jahr Löcher in den städtischen Haushalt reißen würde, wird in vielen Städten mit den Gewinnen aus dem Energiegeschäft gestützt. Diese wichtige Querfinanzierung gerate nicht nur in Dortmund durch die Energiekrise in Gefahr, warnt Pehlke.

DSW21-Chef kritisiert die Gasumlage massiv

Er ist gar nicht glücklich darüber, dass seine Stadtwerke ab Oktober auch noch die Gasumlage kassieren müssen. Schon heute riefen „jeden Tag bei jedem Kundenbetreuer 70 Menschen an, die um Hilfe bitten, weil sie nicht wissen, wie sie die anstehenden Rechnungen bezahlen sollen“, sagt er. Pro Jahr verzeichne die Energietochter DEW21 im Schnitt Zahlungsausfälle von zwei Millionen Euro. Würde jeder Zehnte mit den steigenden Preisen überfordert – Verbraucherschützer erwarten noch deutlich mehr – reiße das nur in Dortmund ein Loch von 100 Millionen Euro.

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„Das können wir ein Jahr verkraften, länger nicht. Es gibt aber kleinere Stadtwerke, die ihre Liquiditätsengpässe jetzt schon nicht mehr schließen können“, sagt Pehlke. Deshalb brauche es auch einen Rettungsschirm für die Stadtwerke, sagt der DSW21-Chef, der als Präsidiumsmitglied des Verbands der kommunalen Unternehmen (VkU) auch für die anderen Stadtwerke spricht. Angeschlagene Gasgroßhändler wie Uniper zu retten, hält er gleichwohl für richtig – das müsse aber aus Steuern finanziert, und nicht auf die Verbraucher umgelegt werden.

Pehlke: Das ist kein Sparanreiz, sondern Überforderung

Ob damit nicht der Anreiz zum Energiesparen wegfalle und die Leute wieder so lange warm duschten wie sie möchten? „Von den 40 Prozent Gas, die wir aus Russland beziehen, können wir nach allen Prognosen maximal 20 Prozent sparen – aber in der Industrie, nicht in den Haushalten“, sagt Pehlke. Da werde etwas von den Menschen gefordert, „was nicht geht“. Man könne ja eine gewisse Erhöhung als Preissignal zulassen, aber die volle Weitergabe habe „nichts mit einem Anreiz zu tun, das würde schlicht viele Menschen überfordern“.

Der Blick geht vor allem nach vorn. Der Gaspreis werde weiter steigen, „dafür wird Russland sorgen“, so Pehlke. Das sei aber längst nicht alles, die Menschen müssten „zur gleichen Zeit acht Prozent Inflation ertragen“, die ebenfalls weiter zu steigen drohe. Und das Schlimmste komme noch: „Wir haben am Dienstag beim Strom Preise für 2023 im Markt von 705 Euro je Megawattstunde gesehen, in den vergangenen Jahren lagen sie bei 30 bis 50 Euro. Das ist die vorgezeichnete Erhöhungswelle im kommenden Jahr“, sagt Pehlke und warnt: „Diese Preise, das ist meine feste Überzeugung, dürfen beim Bürger nicht ankommen.“ Es sei „jetzt an der Zeit einen massiven Rettungsschirm für alle Bürger ausbreiten“.

„Brauchen Sondervermögen wie nach der Deutschen Einheit“

Dafür brauche es ein vom Bund schuldenfinanziertes „Sondervermögen, wie wir es schon für die Lasten der Deutschen Einheit hatten“, meint Pehlke, denn: „Wir erleben durch die Gasdrosselung einen kriegerischen Akt Russlands gegen Deutschland. Und in einer Kriegssituation darf man nicht kleckern, da muss man klotzen.“ Ein solcher Sondertopf könne durch Solidarabgaben über Jahrzehnte getilgt werden. In der Ampel-Regierung lehnt allerdings Finanzminister und FDP-Chef Lindner eine solche Lösung strikt ab, er will 2023 wieder einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen.

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Aus Berlin finanziert werden müsste auch ein Nachfolger des 9-Euro-Tickets im Öffentlichen Nahverkehr. Allerdings ist man in Dortmund nicht so überzeugt davon, die erzielte Wirkung des Billigtickets sei „leider sehr ernüchternd“, sagt der Stadtwerke-Chef. Zwar habe es einen Fahrgast-Zuwachs gegeben, aber das 9-Euro-Ticket sei vor allem für längere Bahnstrecken und vor allem am Wochenende für Freizeitaktivitäten genutzt worden. Innerstädtischen Autoverkehr habe man nicht in Bus und Bahn umleiten können, sagt Pehlke. Das war aber das Hauptziel, es sollten pendelnde Autofahrer vor den hohen Spritpreisen geschützt und gleichzeitig der ÖPNV gestärkt werden. Er halte deshalb ein Nachfolgemodell „nicht für alle Sektoren für sinnvoll“.

Pehlke hört als DSW21-Chef Ende 2023 vorzeitig auf

Guntram Pehlke führt die Dortmunder Stadtwerke seit 16 Jahren, Ende 2023 will er aufhören. Bis dahin soll auch seine vielleicht größte Baustelle abgeräumt sein – der Verkauf des Essener Stromkonzerns Steag, den sich sechs Stadtwerke des Ruhrgebiets vor zwölf Jahren gekauft haben. Die Steag hat unter der Energiewende samt Kohleausstieg, aber auch unter ihren oft uneinigen Besitzern gelitten. „Wenn wir selbstkritisch sind, dann waren wir keine guten Eigentümer“, räumt Pehlke ein. Nun habe die in einer Sanierung steckende Steag im Verkaufsprozess „die Chance, einen guten Eigentümer zu bekommen“.

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Dass wie RWE auch die Steag aktuell von den hohen Strompreisen und der guten Auslastung ihrer Kohlekraftwerke profitiert, macht dies leichter. „Rein wirtschaftlich ist die Steag kein Sanierungsfall mehr“, betont Pehlke, ein bis kommenden Sommer geplanter Verkauf des Unternehmens als Ganzes wäre „ein sauberer Schnitt“. Und ließe die Städte glimpflich davonkommen: „Unter jetzigen Marktgegebenheiten bekommen wir unser Geld, also unser Eigenkapital wieder. Das wäre ein guter Abschluss, auch für mich“. Steag-Chef Andreas Reichel hatte unserer Zeitung unlängst gesagt, es gebe rund 70 Interessenten.