Essen. Thyssenkrupp-Chefin Merz verbreitet Optimismus vor der virtuellen Hauptversammlung. Mit Blick auf den Stahl sieht sie auch die Politik gefordert.
Um zu beschreiben, wie es um Thyssenkrupp steht, bemüht Konzernchefin Martina Merz die Sprache des Sports. Das Unternehmen habe „die Abstiegszone verlassen“ und peile „jetzt wieder Top-Ränge“ an, sagt die Managerin in ihrer vorab veröffentlichten Rede zur virtuellen Hauptversammlung des Essener Traditionsunternehmens am Freitag. „Wir werden wieder oben mitspielen“, verspricht Merz. Mut machen wolle sie – auch nach innen, sagt ein Vertrauter. Entsprechend liest sich ihre Rede, in der sich Merz viel mit dem Selbstverständnis von Thyssenkrupp im Allgemeinen und insbesondere mit dem Stahl- und Wasserstoffgeschäft im Besonderen befasst.
Schon bei der Bilanzpressekonferenz im vergangenen November beschwor Merz die Trendwende. Seit Jahren hat der Revierkonzern von der Substanz gelebt. Das soll sich ändern, betont die Vorstandschefin. Das nächste Etappenziel sei „ein ausgeglichener Cashflow“ – einen positiven Wert konnte das lange Zeit angeschlagene Unternehmen zuletzt im Geschäftsjahr 2015/16 erreichen. Seit vielen Monaten schon läuft die Sanierung. Mehr als 12.000 Stellen sollen bei Thyssenkrupp bis zum Geschäftsjahr 2023/24 wegfallen.
Nach vielen Einschnitten spricht Martina Merz nun zunehmend über die Fortschritte und betont den Zusammenhalt. „Wofür steht Thyssenkrupp eigentlich?“, fragt sie – und antwortet mit einer Gegenfrage: „Was haben das Ruhrgebiet, Saudi-Arabien und Dänemark gemein?“ Alle drei Regionen stünden für „Ingenieurkunst made by Thyssenkrupp“, beispielsweise Stahlerzeugnisse mit verbesserter Ökobilanz, Windradteile oder Wasserstoff-Anlagen. Thyssenkrupp stehe in vielen Regionen der Welt für „herausragende technologische Fähigkeiten“ und arbeite „an den großen Fragen unserer Zeit“, betont Merz.
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„Das ist erstmal eine Riesenstärke“, sagt die Konzernchefin und verbreitet Aufbruchstimmung. „Aus dieser Stärke heraus werden wir folgerichtig vermehrt in neue, zukunftsträchtige Technologien und Märkte investieren.“ Der Anspruch sei klar: „Wir wollen die Welt mit unseren Fähigkeiten voranbringen. Das gilt besonders für die drängendste Herausforderung unserer Zeit: die grüne Transformation.“ Mit dem Aufbau einer grünen Stahlproduktion könne Thyssenkrupp „einen erheblichen Beitrag zur Verringerung klimaschädlicher Emissionen leisten“.
Vertrag der Vorstandschefin läuft bis Ende März 2023
Seit Oktober 2019 ist Merz Vorsitzende des Thyssenkrupp-Vorstands. Ihr Vertrag läuft bis Ende März 2023 – und es wäre kaum überraschend, sollte dieser Tage in den zuständigen Konzerngremien über eine Verlängerung nachgedacht werden.
„Im Fokus wird heute die Zukunftsperspektive von Thyssenkrupp stehen“, sagt Martina Merz jedenfalls in ihrer Rede zur Hauptversammlung. „Ich möchte Ihnen vorstellen, was wir uns für das laufende Geschäftsjahr und darüber hinaus vorgenommen haben. Und ich werde Ihnen erläutern, wie wir aus unseren führenden technologischen Kompetenzen profitables Wachstum machen.“
Entscheidende Fragen für die Zukunft von Thyssenkrupp ließ Merz indes noch unbeantwortet. So ist offen, ob und gegebenenfalls wann die wichtige Stahlsparte mit rund 22.000 Beschäftigten an den großen NRW-Standorten vom Konzern abgetrennt und in die Selbstständigkeit überführt wird. „Wir sind unverändert überzeugt davon, dass eine eigenständige Aufstellung dem Stahl die bestmöglichen Zukunftsaussichten eröffnet“, sagt Merz.
Für Thyssenkrupp Steel „staatliche Förderinstrumente unverzichtbar“
Doch wäre Thyssenkrupp Steel als eigenständiger Konzern stabil und finanziell stark genug? Die Thyssenkrupp-Chefin lässt durchblicken, dass dafür staatliche Unterstützung erforderlich ist. Die „grüne Transformation“ sei „die größte Herausforderung für den Stahl“ und „damit sie gelingen kann, sind staatliche Förderinstrumente unverzichtbar“.
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Es seien „Mittel für Investitionen und auch ein vorübergehender Kostenausgleich im laufenden Betrieb“ erforderlich, fügt die Konzernchefin mit Blick auf die Stahlsparte hinzu, „ohne konkrete und breite Unterstützung der Politik ist es da bislang schwer, grundlegende und belastbare Entscheidungen zu einer Eigenständigkeit zu treffen“. Die Unsicherheit für die Stahl-Belegschaft bleibt also.
Merz macht Druck. Zur Unterstützung durch die Politik gebe es „nach wie vor keine klaren rechtlichen Rahmenbedingungen und keine Klarheit über Fördermittel“, sagt sie. „Da drängt die Zeit.“ Es gehe darum zu beweisen, „dass Dekarbonisierung ohne Deindustrialisierung möglich ist, auch, um nicht im Wettbewerb zurückzufallen“.
Entscheidung zu Börsengang für Wasserstoffgeschäft soll bald fallen
Viel Zuversicht verbreitet die Thyssenkrupp-Chefin für das Wasserstoffgeschäft. Bald schon könnte die Dortmunder Thyssenkrupp-Tochterfirma Uhde Chlorine Engineers (UCE) unter dem neuen Namen Nucera an die Börse gehen. „Eine Entscheidung über einen Börsengang könnte in der ersten Jahreshälfte 2022 fallen“, sagt Merz. „Das Interesse an unserem Geschäft ist enorm.“ Thyssenkrupp erwarte, dass sich der Bedarf an Wasserstoff enorm stark entwickeln und bis zum Jahr 2050 versiebenfachen wird, „ein gewaltiges Potenzial für die Wasserelektrolyse“, wie Merz betont.
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Thyssenkrupp will nach eigenem Bekunden eine Mehrheit am Geschäft behalten. Momentan ist der Essener Industriekonzern mit zwei Dritteln an Nucera beteiligt. Ein Drittel gehört dem italienischen Unternehmen De Nora. „Unsere Vorzugslösung ist, einen Teil des Geschäfts an die Börse zu bringen, gleichzeitig aber Mehrheitseigner zu bleiben, um so von den Wachstumsaussichten des Geschäfts zu profitieren“, erklärt die Vorstandschefin. Ziel sei es, Kapital für den Wachstumskurs einzunehmen. Als möglich gilt Beobachtern auch, dass ein zusätzlicher Investor ohne Börsengang einsteigt.
In den vergangenen Jahren fiel die Dividende für die Anteilseigner von Thyssenkrupp mehrfach aus, so auch für das zurückliegende Geschäftsjahr. Für eine Gewinnausschüttung habe es „leider noch keinen Spielraum“ gegeben, sagt Merz und verspricht den Aktionärinnen und Aktionären Besserung: „Wir arbeiten hart daran, Thyssenkrupp so zu stärken, dass wir Ihnen schon bald wieder kontinuierlich eine Dividende zahlen können.“ Nach etwa zwei Jahren „intensiver Transformation“ gebe es „erhebliche Fortschritte“ im Unternehmen.