Gelsenkirchen. Jahrelang hatte es Thyssenkrupp Electrical Steel in Gelsenkirchen schwer. Jetzt läuft es wieder rund. Nachfrage beschert unter anderem Eon.
Jahrelang galt die Gelsenkirchener Tochterfirma Electrical Steel im Thyssenkrupp-Konzern als Kandidat für eine Werksschließung oder einen Verkauf. Zu verlustreich war das Geschäft am Ruhrgebietsstandort. Im Wettbewerb mit Konkurrenten aus Asien hatte Deutschlands größter Stahlkonzern schlechte Karten. Doch nun hat sich das Blatt gewendet, wie Georgios Giovanakis, der Geschäftsführer von Thyssenkrupp Electrical Steel berichtet. Die Produktion laufe auf Hochtouren. „Wir haben über Weihnachten gearbeitet, über Silvester, über Neujahr“, sagt Giovanakis und gibt damit ein Gefühl dafür, wie groß die Nachfrage aktuell ist.
Thyssenkrupp Electrical Steel stellt Elektroband her, das unter anderem für Transformatoren beim Betrieb von Stromnetzen gebraucht wird. Giovanakis spricht von einem „Basiswerkstoff für die Energiewende“ – und damit sei Electrical Steel „wieder in der Erfolgsspur“. Das jahrelang angeschlagene Unternehmen aus Gelsenkirchen wird in der Duisburger Zentrale der Thyssenkrupp-Stahlsparte nun wieder in der Rubrik „Hidden Champion“ geführt. Die Potenziale seien groß, zumal das sogenannte kornorientierte Elektroband aus dem Ruhrgebiet nicht nur in Trafos von Stromnetzbetreibern, sondern auch in Ladesäulen für E-Autos und Elektromotoren zum Einsatz kommen kann.
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Kornorientiertes Elektroband sei ein aufwendig hergestellter Spezialwerkstoff, wird bei Thyssenkrupp betont. Als europäischer Marktführer bei diesem Produkt sieht sich der Revierkonzern in einer guten Ausgangsposition, wenn es um potenzielle Aufträge angesichts milliardenschwerer Investitionsprogramme von Europas Energiekonzernen geht. Hochwertiges Elektroband soll dafür sorgen, dass Trafos mit einem hohen Wirkungsgrad arbeiten: Je besser das Elektroband, desto weniger Energie geht beim Stromtransport verloren.
„Wir haben gezielt investiert und uns darüber hinaus zusätzliches Ingenieurs-Knowhow in die Belegschaft geholt“, berichtet Giovanakis. Etwa 660 der insgesamt 1750 Beschäftigten seien derzeit Teil der Belegschaft von Thyssenkrupp Electrical Steel in Deutschland. Jeweils etwas weniger als 600 Mitarbeitende befänden sich in Frankreich und Indien.
Trafos mit Stahl von Thyssenkrupp für den Energiekonzern Eon
Als Ziel gibt Giovanakis aus, den Wirkungsgrad der Produkte weiter zu steigern. Außerdem soll künftig bei der Herstellung von Elektroband weniger Kohlendioxid (CO2) entstehen als bislang. Erstmals liefert Thyssenkrupp nun nach eigenen Angaben Elektroband „mit deutlich verminderter CO2-Intensität“ an einen Kunden aus. Der Trafo-Hersteller SGB-SMIT aus Regensburg erhalte 50 Tonnen mit 50 Prozent weniger CO2-Emissionen, um Transformatoren für den Essener Energiekonzern Eon herzustellen.
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Der Chef des Trafoherstellers, Holger Ketterer, geht davon aus, dass die Bedeutung einer „klimafreundlichen Lieferkette“ künftig wachsen wird. Eine erste Kleinserie von Transformatoren mit CO2-reduziertem Elektroband soll bei der Eon-Tochter Avacon eingesetzt werden, berichtet Konzernmanager Achim Hübner. Dem Vernehmen nach sind die neuen Anlagen, bei denen CO2-reduzierter Stahl verbaut wird, etwas teurer als vergleichbare Modelle. Von einem Aufpreis im niedrigen einstelligen Prozentbereich ist die Rede.
In Gelsenkirchen verarbeitet Thyssenkrupp aufgewickelte Bleche – sogenannte Coils – vom Stahlstandort Duisburg. Das tonnenschwere Material wird mit der Bahn angeliefert. In den weitläufigen Werkshallen in Gelsenkirchen werden die langgezogenen Bleche zum Glühen gebracht, gewalzt und mit Magnesium beschichtet. Am Ende eines komplexen Produktionsprozesses entstehe der „Werkstoff für das Herz der Transformatoren“, so Thyssenkrupp-Manager Giovanakis.
Gelsenkirchener Standort soll „mittelfristig“ vollständig klimaneutral sein
Für den Gelsenkirchener Standort strebt Thyssenkrupp „mittelfristig vollständige Klimaneutralität an“. Einen genauen Zeitplan nennt das Unternehmen indes nicht. In diesem Jahr solle neuerdings zum Teil grüner Strom und Biomethan in der Produktion eingesetzt werden, um die Klimabilanz zu verbessern.
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Die Stahlindustrie gehört zu den größten Emittenten von klimaschädlichem Kohlendioxid in Deutschland. Allein der Anteil der Thyssenkrupp-Stahlsparte am gesamten bundesweiten CO2-Ausstoß liegt Unternehmensangaben zufolge bei 2,5 Prozent.
Ab dem Jahr 2025 will Thyssenkrupp Steel die vier konzerneigenen Hochöfen am Standort Duisburg schrittweise durch sogenannte Direktreduktionsanlagen ersetzen, bei denen zunächst Erdgas und später Wasserstoff statt Kohle zum Einsatz kommen soll. Die neuen Aggregate sollen rund 150 Meter hoch sein. Zusätzlich sind Einschmelz-Aggregate geplant, um flüssiges Roheisen für die Weiterverarbeitung herzustellen. Für die neuen Anlagen sind Unternehmensangaben zufolge Investitionen von rund zwei Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 erforderlich, für den kompletten Umbau bis zu acht Milliarden Euro.