Essen. Es gibt so viele Jobs wie nie, sagt Stepstone-Chef Dettmers in unserem Podcast „Die Wirtschaftsreporter“. Und warum er für die Rente mit 70 ist.
Die Corona-Pandemie wird Deutschland einen kräftigen Aufschwung hinterlassen, davon ist Sebastian Dettmers überzeugt, der Chef der Online-Stellenbörse Stepstone. „Den Job-Boom erleben wir schon jetzt, wir haben noch nie so viele Jobs im Markt gesehen wie aktuell“, sagt Dettmers in unserem Podcast „Die Wirtschaftsreporter“. Langfristig warnt er aber vor einem Fachkräftemangel, der den Wohlstand hierzulande gefährde. Das lasse sich nur mit mehr qualifizierter Zuwanderung kompensieren, weshalb der Stepstone-Chef auch ein Migrationsministerium befürwortet, wie es die Grünen fordern.
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Die Düsseldorfer Jobplattform Stepstone ist eine der größten Online-Vermittlungen Deutschlands, beschäftigt in 23 Ländern weltweit mehr als 3500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sebastian Dettmers führt das vor 25 Jahren in Norwegen unter dem Namen Jobshop gegründete Unternehmen seit 2020.
Alle Branchen stellen wieder ein
Momentan könnten die Chancen auf einen neuen Job kaum besser sein, meint der 41-Jährige. Auf seinem Stellenportal sei zu beobachten, dass „alle Branchen einstellen, auch die Industrie, obwohl sie bereits vor der Pandemie mit Strukturproblemen zu kämpfen hatte“. Jene Branchen, die von der Pandemie nicht betroffen gewesen seien oder gar von ihr profitiert hätten, „boomen weiter“, so Dettmers. Besonders positiv zu beobachten sei derzeit aber, dass auch „die Pandemie-Verlierer alle zurückkommen“. Die Gastronomie und die Industrie stellten wieder massiv ein, ganz besonders auch die Logistikbranche. Das passt zum aktuellen Arbeitsmarktbarometer des Forschungsinstitut IAB, das am Donnerstag für August ein neues Allzeithoch von 107,6 Punkten meldete.
Stepstone in Zahlen
Die Jobplattform Stepstone mit Sitz in Düsseldorf hat gut 3500 Mitarbeiter in mehr als 20 Ländern.
Auf der deutschen Stepstone-Seite sind im Schnitt täglich 100.000 offene Jobs zu finden. Von Jobsuchenden gehen rund 15 Millionen Suchanfragen pro Monat ein.
„Wir werden die Pandemie vergessen“, ist der Stepstone-Chef überzeugt, wie so viele andere Krisen gehöre sie bald der Vergangenheit an. Dettmers ordnet sie mit dem Blick nach vorn so ein: „Die Corona-Pandemie wird nur eine kleine Krise gewesen sein, eine viel größere Krise droht durch den demografischen Wandel.“ Wenn die Babyboomer in Rente gehen, stünden den Unternehmen weniger Erwerbstätige zur Verfügung, für die kommenden 16 Jahre wisse man ja bereits, wie wenige Jugendliche jedes Jahr von der Schule kommen. Dettmers warnt vor einem Personalmangel nicht nur bei Fachkräften, sondern in allen Bereichen.
Stepstone-Chef: Nur Zuwanderung kann Wohlstand erhalten
In vielen westlichen Ländern werde die Beschäftigung schrumpfen, so Dettmers, bis zum Ende des Jahrhunderts verliere Europa ohne Zuwanderung massiv an Bevölkerung, Länder wie Italien und Spanien die Hälfte ihrer Einwohner, Deutschland den Prognosen zufolge ein Drittel. Dagegen wachsen Länder wie die USA und Australien, weil sie eine starke Migration haben. Darin sieht der Arbeitsmarkt-Experte auch für Deutschland die einzige Chance, seinen Wohlstand zu halten. Aber: „Wir brauchen eine gut gemanagte Migration qualifizierter Arbeitskräfte. Ohne sie werden wir als Land nicht erfolgreich sein.“
Deshalb hat Dettmers große Sympathie für die Idee der Grünen, ein Migrationsministerium zu schaffen: „Wenn wir ein Migrationsministerium hätten, das gezielt qualifizierte Migration fördert und im Nachgang für eine gute sprachliche und gesellschaftliche Integration der Zuwanderer sorgt, wäre es genau das, was wir brauchen.“ Zahlenmäßig habe Deutschland aktuell eine halbwegs stabile Zuwanderung, „aber wir erleben derzeit eher eine Gettoisierung der Migranten“.
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Zudem hofft er, dass der Fachkräftemangel zu einer weiteren Automatisierung in der Arbeitswelt führe, und zwar nicht mehr nur in der Industrie, sondern auch bei den Dienstleistungen und in der öffentlichen Verwaltung. Dort habe es in der Vergangenheit „gar keinen Produktivitätsfortschritt gegeben“. Den brauche es aber in allen Bereichen, um mit weniger Erwerbstätigen auszukommen.
Für die Rente mit 70
Zugleich komme Deutschland nicht umhin, das Rentenalter anzuheben. Der Fachkräfteschwund werde dafür sorgen, dass weniger Menschen mehr Renten bezahlen müssen. „Wir werden das nicht mehr finanzieren können. Deshalb halte ich die Forderung nach einem Rentenalter mit 70 Jahren für gerechtfertigt“, sagt der Stepstone-Chef. Die Alternativen seien sinkende Renten oder steigende Schulden – beides sei schlimmer als länger zu arbeiten. Dettmers ist bewusst, dass die Beschäftigten nicht in allen Berufen bis 70 arbeiten können, „aber das darf uns nicht davon abhalten, diese Diskussion zu führen“.
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Der Jobvermittler ist überzeugt, dass „völlig neue Industrien entstehen werden“, etwa für den Bau von Immobilien, erste Häuser aus dem 3D-Drucker gebe es bereits. Der Umbau der Industrie sei eine große Herausforderungen gerade für NRW und das Ruhrgebiet, das den Vorteil seiner großen Dichte an Menschen und guten Vernetzung der Städte habe – „das sind tolle Zutaten, um neue Industrien zu schaffen“, so Dettmers.
Künstliche Intelligenz für besseres Job-Matching
Für die aktuellen Probleme, Nachwuchs zu finden und die Ausbildungsstellen zu besetzen, macht er aber vor allem die Unternehmen selbst verantwortlich. Es sei „nicht mehr zeitgemäß, dass man nach einer Bewerbung erst einmal vier Wochen gar nichts hört“. Mehr als die Hälfte der Bewerber bekomme gar kein Feedback. „Das hat mit der Prozessverliebtheit der deutschen Unternehmen zu tun“, sagt Dettmers. Er plädiert dafür, abseits der üblichen Standardformulare wie Lebenslauf und Anschreiben schneller Kontakt aufzunehmen und sich kennenlernen. „Dann kann man nachher immer noch lange Formulare ausfüllen.“
Dabei helfen könne Künstliche Intelligenz (KI), die viel menschlicher sei als die bisherigen Verfahren. „Wir fragen die Menschen und die Unternehmen, was ihnen wirklich wichtig ist - und können so Menschen interaktiv zusammenbringen.“
Arbeitgeber zu mehr Offenheit beim Gehalt aufgefordert
Von den Arbeitgebern wünscht sich Stepstone bei den Stellenangeboten mehr Offenheit bei der Nennung des Gehalts. Das scheuten viele, weil dann jeder sehen könne, wie unterschiedlich sie ihre Beschäftigten bezahlen. „Die Leute wollen aber wissen, was sie verdienen“, weiß Dettmers, viele Arbeitgeber würden inzwischen zumindest Gehaltsspannen in ihren Anzeigen nennen.
Grundsätzlich rät der Stepstone-Chef Beschäftigten wie Bewerbern, über ihr Gehalt zu verhandeln. Denn in Deutschland habe sich die Steigerung der Produktivität in der jüngeren Vergangenheit „nur unterproportional in Lohnsteigerungen niedergeschlagen“, wie Dettmers sagt. Einmal im Jahr, so seine Empfehlung, könne man ruhig beim Chef um ein Gespräch bitten. Je besser man sich darauf vorbereite, desto größer seien die Chancen auf Erfolg.