Essen. Neue Unruhe bei Thyssenkrupp: Der Einstieg von Mercedes bei einem schwedischen Hersteller für grünen Stahl löst beim Betriebsrat Besorgnis aus.
Der Einstieg des Autobauers Mercedes-Benz bei einem schwedischen Start-up zur Herstellung von klimafreundlichem Stahl löst beim Thyssenkrupp-Betriebsrat Besorgnis aus. „Dass mit Mercedes-Benz ein Premium-Autohersteller nicht mehr auf die Transformation der deutschen Stahlindustrie wartet, sondern lieber in ein schwedisches Start-up für grünen Stahl investiert, sollte unserer Regierung als Weckruf gelten“, sagte der Gesamtbetriebsratschef von Thyssenkrupp Steel, Tekin Nasikkol, unserer Redaktion. „Die Alarmsirenen sollten schrillen.“
Mercedes-Benz hatte angekündigt, sich als erster Pkw-Hersteller am schwedischen Start-up H2 Green Steel (H2GS) zu beteiligen. Ziel sei der Einsatz von CO2-freiem Stahl in Serienfahrzeugen. Vorstandsmitglied Markus Schäfer betonte, Mercedes-Benz gehe es dabei um einen „wichtigen Impuls, um den Wandel in der Stahlbranche zu beschleunigen und die Verfügbarkeit von CO2-freiem Stahl zu erhöhen“. Die erst im vergangenen Jahr gegründete Firma H2GS will in Nordschweden eine fossilfreie Stahlproduktion in großem Maßstab aufbauen. H2GS plant, fünf Millionen Tonnen fossilfreien Stahl bis zum Jahr 2030 zu produzieren. Zum Vergleich: Deutschlands Branchenprimus Thyssenkrupp Steel stellt jährlich etwa elf Millionen Tonnen Rohstahl her. Ab 2030 will Thyssenkrupp pro Jahr rund drei Millionen Tonnen CO2-neutralen Stahl produzieren.
Thyssenkrupp rechnet mit Investition von zwei Milliarden Euro bis 2030
Thyssenkrupp-Arbeitnehmervertreter Nasikkol sieht mit Blick auf den Umbau der deutschen Stahlindustrie auch die Bundesregierung in der Verantwortung. „Seit einem Jahr gibt es ein Handlungskonzept Stahl aus dem Wirtschaftsministerium, aber konkret umgesetzt wurde noch nichts Nennenswertes“, sagte Nasikkol an die Adresse von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gerichtet. „Wenn wir ein Industriestandort bleiben wollen und Klimaschutz wirklich ernstnehmen, dann darf nicht länger gewartet werden. Noch vor der Bundestagswahl müssen die Weichen gestellt werden.“
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Um im Jahr 2030 drei Millionen Tonnen grünen Stahl produzieren zu können und damit 30 Prozent der bisherigen CO2-Emissionen einzusparen, seien Investitionen von rund zwei Milliarden Euro nötig, erklärte Thyssenkrupp-Stahlchef Bernhard Osburg. „Aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht dürften wir die Transformation unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht starten“, erläutert Osburg. „Aber die Bekämpfung des Klimawandels ist mehr als das: Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“
Ruf nach staatlicher Unterstützung wie bei der Elektromobilität
In der Stahlindustrie könne besonders effektiv Klimaschutz betrieben werden, wird bei Thyssenkrupp betont. „Eine Tonne Wasserstoff, die in der Stahlproduktion eingesetzt wird, vermeidet 26 Tonnen CO2“, rechnet Osburg vor. „Verglichen mit diesem Effekt sind die Investitionen zum Bau der dafür notwendigen Anlagen überschaubar.“ Aber der Aufbau der neuen Anlagen ist komplex. „Unsere Investitionszyklen sind lang. 2030 heißt für uns im Grunde morgen“, sagt Osburg. „Daher müssen wir jetzt starten.“ Auch der Thyssenkrupp-Stahlchef betont, er hoffe auf Entscheidungen der Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode: „Wir brauchen jetzt die Sicherheit, dass die Politik unseren Transformationspfad verlässlich und konkret über die nächsten Jahre begleitet. Aus Plänen müssen Fakten werden.“
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Damit sich die Investitionen für Thyssenkrupp und andere Stahlhersteller in Deutschland lohnen, müsse es an einigen Stellen Veränderungen geben, erklärte das Unternehmen. Damit grüner Stahl mit „wettbewerbsfähigen Preisen“ auf den Markt komme, sei unter anderem staatliche Unterstützung „vergleichbar mit der Förderung für Elektroautos“ notwendig. Thyssenkrupp fordert auch die „Schaffung eines Transformationsfonds“: Dieser sollte nach Ansicht des Unternehmens alle Industriebranchen umfassen, die vor einem grundlegenden Wandel stehen.
„Während Deutschland noch redet, sind andere Länder schon weiter“
Unterstützung für die Forderungen erhält der Konzernchef von Arbeitnehmervertreter Nasikkol. „Am Beispiel des Stahls wird sich die Fähigkeit zur Dekarbonisierung der Industrie zeigen“, sagt der Gesamtbetriebsratschef. Der Wandel der Branche dürfe nicht an den politischen Rahmenbedingungen scheitern. Die IG Metall hatte sich dafür ausgesprochen, den „Transformationsfonds“ mit zehn Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 für die Stahlindustrie auszustatten.
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Angesichts der Investition von Mercedes-Benz in das schwedische Stahl-Start-up sagte Nasikkol: „Während Deutschland noch redet, sind andere Länder schon weiter. Wieder einmal scheinen wir in Deutschland nur die Rücklichter eines Zuges zu sehen, weil nicht konsequent gehandelt wird.“ Er gehe davon aus, dass mit der Produktion von fünf Millionen Tonnen Stahl in Schweden rund 1500 Arbeitsplätze entstehen. „Hier wird uns vorgemacht wie Klimaziele erreicht und Arbeitsplätze geschützt, ja sogar ausgebaut werden.“