Duisburg. Bei Thyssenkrupp soll die Stahlproduktion eigentlich klimaneutral werden. Jetzt investiert der Konzern aber viel Geld in einen alten Hochofen.
Es ist eine millionenschwere Investition in eine Technologie, die in einigen Jahren der Vergangenheit angehören soll. Im Sommer erneuert Thyssenkrupp in Duisburg noch einmal einen der größten Hochöfen Europas. Zwischen Juli und September will Deutschlands wichtigster Stahlkonzern den Hochofen 1 modernisieren. Einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag investiert das Unternehmen eigenen Angaben zufolge in die Anlage, die jährlich bis zu 3,6 Millionen Tonnen Roheisen produzieren kann. Seit dem Jahr 2008 ist der Ofen in Betrieb. Nach der anstehenden Erneuerung ist eine zusätzliche Laufzeit von rund 15 Jahren wahrscheinlich.
Dabei ist es das erklärte Ziel von Thyssenkrupp, künftig ohne Hochöfen auszukommen. Die Stahlindustrie gehört zu den größten Verursachern von klimaschädlichem Kohlendioxid. Allein aus den Hochöfen von Thyssenkrupp stammen Unternehmensangaben zufolge rund 2,5 Prozent des bundesweiten Kohlendioxid-Ausstoßes. Mehr Klimaschutz soll die Produktion von Stahl auf Basis von Wasserstoff statt Kohle bringen. Der Ruhrgebietskonzern hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 die CO2-Emissionen um 30 Prozent zu reduzieren. Dafür ist der Bau sogenannter Direktreduktionsanlagen erforderlich, mit denen Thyssenkrupp die Hochöfen ersetzen will.
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Der Druck, der auf Thyssenkrupp lastet, ist hoch. Vor wenigen Tagen hat die Bundesregierung ein neues Klimaschutzgesetz mit ehrgeizigeren Zielen auf den Weg gebracht. Bis 2045 soll Deutschland treibhausgasneutral sein – fünf Jahre früher als bislang geplant.
Grünen-NRW-Chefin Neubaur spricht von „notgedrungener Bypass-Operation“
Mona Neubaur, die Landeschefin der NRW-Grünen, urteilt, die Investition von Thyssenkrupp in einen Hochofen könne „nicht mehr und nicht weniger als eine notgedrungene Bypass-Operation sein, um den schon langwährenden Investitionsstau anzugehen“. Die Entscheidung, „jetzt in alte Technologien“ zu investieren, sei „eine verpasste Chance für den Klimaschutz“, betont Neubaur gegenüber unserer Redaktion. Generell habe Thyssenkrupp aber „das einzigartige Potenzial, ein globaler Vorreiter in Sachen klimaneutraler Stahlproduktion zu werden“. Dieser Weg müsse „auch politisch unterstützt werden, damit das Unternehmen und seine Beschäftigten eine zukunftsfähige Perspektive erhalten“.
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Durch ein Regelwerk der Europäischen Union könnten die Stahlhersteller ebenfalls in Zugzwang geraten. Die sogenannte EU-Taxonomie sieht unter anderem neue Offenlegungspflichten für Unternehmen und Finanzmarktteilnehmer vor. Das soll bei Banken und Versicherern die Finanzierung nachhaltiger Projekte befördern. Der Umkehrschluss: Stecken sie Geld in klimaschädliche Vorhaben, könnten sie an der Börse abgestraft werden.
Brandbrief an Umweltministerin Schulze von IG Metall und HKM
Die Stahlindustrie und die IG Metall sehen durch das neue EU-Regelwerk, das Ende 2021 in Kraft treten soll, die Umstellung der Betriebe auf eine weitgehend klimaneutrale Produktion gefährdet. „Die Politik nimmt den Unternehmen den Zugang zur Finanzierung ihrer Geschäfte“, warnt Gerhard Erdmann, Geschäftsführer der Hüttenwerke Krupp-Mannesmann (HKM) in Duisburg. „Es droht die konkrete Gefahr, dass die von den Unternehmen gewollte Klimaneutralität nicht erreicht wird, weil die Finanzierung der Zwischenschritte scheitert“, sagte Erdmann jüngst bei einem Besuch von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) auf der Hütte im Duisburger Süden.
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Mit auf den Weg erhielt die Ministerin einen Brief, in dem auch Knut Giesler, der Chef der IG Metall NRW, warnt, die Stahlindustrie würde „in ihrer Existenz bedroht“, wenn die Branche Probleme bei der Finanzierung ihrer Projekte bekomme. HKM-Manager Erdmann berichtet, die Unsicherheit über die Zukunft der Stahlindustrie erschwere schon seit längerem die Verhandlungen mit Banken. Bei HKM in Duisburg muss voraussichtlich im Jahr 2027 einer der beiden Hochöfen erneuert werden. Das erfordert mindestens 120 Millionen Euro. „Wenn wir das nicht finanziert bekommen, ist die Hälfte der Produktion weg“, rechnet Erdmann vor.
Thyssenkrupp will Hochöfen schrittweise abstellen
Auch Thyssenkrupp will den Stahlstandort Duisburg Schritt für Schritt umbauen, um im Jahr 2050 klimaneutral zu sein. Mit Blick auf die Investition in den Hochofen 1 erklärt der Konzern: „Wir können nicht warten, bis eine erste Direktreduktionsanlage mit gleichem Produktionsvolumen steht.“ Die Transformation sei mit hohen Investitionen verbunden. „Um die entsprechenden Mittel zu investieren, müssen wir diese auch erwirtschaften. Auch deshalb verfolgen wir den schrittweisen Umstieg.“
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Die Reihenfolge, in der Thyssenkrupp die Hochöfen abschalten wird, lässt sich nur erahnen. Die Anlagen in Duisburg sind unterschiedlich alt. Der Hochofen 8 wurde im Jahr 2007 neu gebaut und in Betrieb genommen. Der Ofen 1 wurde zuletzt im Jahr 2008 modernisiert, die Öfen 9 und 2 zuletzt in den Jahren 2013 und 2014.
Im Jahr 2025 soll die erste Direktreduktionsanlage von Thyssenkrupp in Betrieb gehen. Bis 2030 will der Konzern zwei der Hochöfen durch neue Anlagen ersetzen – und spätestens 2050 den letzten Ofen.