Duisburg. Thyssenkrupp-Stahlchef Bernhard Osburg pocht auf zusätzlichen Stellenabbau. Die bisher vereinbarte Beschäftigungssicherung stellt er in Frage.

Viele Mitarbeiter sind im Homeoffice, aber Thyssenkrupp-Stahlchef Bernhard Osburg ist in der Duisburger Zentrale von Thyssenkrupp Steel – in Reichweite der riesigen Hochöfen. Er wolle sehen können, ob die Anlagen laufen, erzählt der Manager. Die Lage ist ohnehin ernst, wieder einmal. In wenigen Wochen will die Thyssenkrupp-Spitze über einen möglichen Verkauf der traditionsreichen Stahlproduktion entscheiden. Warum Osburg gerade jetzt von der Belegschaft weitere Zugeständnisse verlangt, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion.

Herr Osburg, in wenigen Wochen steht bei Thyssenkrupp die Entscheidung zu einem möglichen Verkauf der Stahlsparte an. Gerade jetzt fordern Sie zusätzlichen Stellenabbau. Wollen Sie die Belegschaft unter Druck setzen?

Osburg: Nein. Wir gehen ordentlich miteinander um, auch in schwierigen Situationen. Wohlgemerkt: Wir haben ja nicht nur angekündigt, dass wir Kosten senken müssen. Gleichzeitig investieren wir auch erheblich an unseren Standorten in Duisburg und Bochum.

Es läuft schon ein Programm zum Abbau von 3000 Stellen in der Stahlsparte. Reicht das nicht aus?

Osburg: Dieser Stellenabbau ist Teil unserer Strategie, die wir gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern vor der Corona-Krise entwickelt haben. Die Entscheidungen sind vor zirka einem Jahr gefallen. Seitdem hat sich unsere Situation dramatisch verändert. Im letzten Sommer haben wir teilweise fünf Millionen Euro pro Tag verloren. Darauf haben wir reagiert und müssen das auch weiter entschieden tun. Geschieht das nicht, sehe ich kaum Chancen, die im Tarifvertrag vereinbarte Beschäftigungssicherung zu halten.

Aber das Stahlgeschäft ist doch schon wieder angesprungen, wie die aktuellen Geschäftszahlen zeigen.

Osburg: An den Quartalszahlen lässt sich ablesen, wie zyklisch unser Geschäft ist. Das ist nicht neu. Hinzu kommt aber ein immenser finanzieller Schaden durch Corona. Wir müssen über einige Jahre hinweg von einem geringeren Absatz ausgehen, insbesondere bei unseren Kunden in der Autoindustrie. Wenn wir unsere Ergebnisziele halten wollen – und davon weichen wir nicht ab – müssen wir mit Kostensenkungen gegensteuern.

Wie viele Arbeitsplätze wollen Sie zusätzlich abbauen?

Osburg: Das gilt es auszuloten. Zunächst einmal haben wir die Mitbestimmung aufgefordert, mit uns in Verhandlungen darüber einzutreten, wie wir den durch Corona entstandenen Schaden beheben. Das wird kein Spaziergang, aber einen anderen Weg gibt es nicht. Wir wollen das Unternehmen so aufstellen, dass es auf Dauer wettbewerbsfähig ist und eine Spitzenposition im Markt hat.

Denken Sie über betriebsbedingte Kündigungen nach?

Osburg: Es war und ist immer unser Anspruch beim Stahl keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen. Das bleibt auch unser Ziel. Ob wir das halten können, hängt aber auch von den Ergebnissen ab, die wir jetzt gemeinsam mit der Mitbestimmung erarbeiten müssen.

Aber es ist doch noch nicht einmal beschlossen, ob die Stahlsparte mit ihren 27.000 Beschäftigten ein Teil von Thyssenkrupp bleibt. Warum sollten Betriebsrat und IG Metall mitziehen, wenn es keine Klarheit zur Zukunft gibt?

Osburg: Noch einmal: Wir können es uns nicht leisten, einfach abzuwarten. Das wäre fatal. Ganz gleich, welches Szenario in einigen Wochen Realität wird: Wir müssen unser Unternehmen so aufstellen, dass es läuft. Wir können den Fuß nicht vom Gas nehmen. Das gibt die Lage nicht her.

In der Vergangenheit sind Stahlarbeiter auf die Straße gegangen, wenn Stellenabbau anstand. Rechnen Sie mit Widerstand aus der Belegschaft?

Osburg: Es wird mit Sicherheit Druck aufkommen. Mir ist es sehr wichtig, dass wir alle fair miteinander umgehen. Alle Beteiligten tragen eine sehr große Verantwortung. Mir geht es darum, dass der Stahl im Ruhrgebiet und in Duisburg eine Überlebenschance hat. Daher hoffe ich, dass wir gemeinsam eine Lösung finden.

Könnten Sie auch mit Liberty Steel und dem Stahlunternehmer Sanjeev Gupta als Eigentümer leben

Osburg: Es geht hier nicht um mich. Wenn eine neue Eigentümerstruktur der beste Weg ist, dann werden wir diesen Weg unterstützen. So oder so: Wir müssen daran arbeiten, möglichst wettbewerbsfähig zu sein.

Konzernchefin Martina Merz hegt Pläne für eine Abspaltung des Stahlgeschäfts. Wäre Thyssenkrupp Steel robust genug für einen eigenständigen Auftritt an der Börse?

Osburg: Auch für dieses Szenario gilt: Wir brauchen ein solides Fundament. Daher ist es ja so wichtig, dass wir gleichzeitig investieren und unsere Kostensituation verbessern.

Wenn Sie Zugeständnisse von den Beschäftigten erwarten – was haben Sie im Gegenzug zu bieten?

Osburg: Es ist ein starkes Signal, dass wir in der aktuellen Situation das größte Investitionsprogramm bei Thyssenkrupp Steel seit fast 20 Jahren auf den Weg gebracht haben. Das zeigt: Wir glauben an den Stahl, und wir wollen das Unternehmen gemeinsam mit der Belegschaft zum Erfolg führen. Das ist jetzt der eine Schuss, den wir noch haben. Der muss sitzen. Das ist das Einzige, was zählt.