Essen. Thyssenkrupp vertagt die Zäsur: Eine Abspaltung der Stahlsparte soll es in diesem Jahr „definitiv nicht mehr“ geben, berichtet der Vorstand.
Wenn sich Thyssenkrupp-Finanzchef Klaus Keysberg via Telefonkonferenz zu Wort meldet, erinnert es an den Sound von Piloten, die kurz nach dem Start Daten zur Flughöhe durchgeben. Keysberg indes trägt am Dienstagmorgen mit knarzender Stimme vor, wohin die Reise für Thyssenkrupp geht. Vorstandschefin Martina Merz hat kurz zuvor in einer schriftlichen Mitteilung zur Halbjahresbilanz kommunikativ die Richtung vorgegeben. Thyssenkrupp habe „weiter Boden gut gemacht“, urteilt sie.
Thyssenkrupp hat die Verluste begrenzen können. So lautet die gute Nachricht, die schlechte ist: Unter dem Strich erwartet der Vorstand weiterhin einen beträchtlichen Jahresfehlbetrag. Ein „mittlerer dreistelliger Millionen-Euro-Betrag“ als Verlust sei wahrscheinlich. Zuvor ist von einem Nettoverlust „im hohen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich“ die Rede gewesen. Die Prognose für das Geschäftsjahr 2020/2021 hat Thyssenkrupp entsprechend angehoben.
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„Die Neuausrichtung von Thyssenkrupp bleibt ein Weg der vielen kleinen Schritte“, sagt Merz. Veränderungen sind der Stoff, der die Aktienmärkte antreibt. Erwartungen hat die Thyssenkrupp-Führung insbesondere mit Plänen für eine Abspaltung der traditionsreichen Stahlsparte geschürt. Daher dürften die Anleger genau registriert haben, was Finanzchef Keysberg nun zum Stand der Dinge sagt, insbesondere zum Zeitplan. In diesem Jahr jedenfalls werde es eine Verselbstständigung der Stahlsparte „definitiv nicht mehr“ geben, berichtet er. Es gebe keinen Zeitdruck. „Wir haben auch nicht entschieden, wann wir es machen“, fügt der Manager noch hinzu. Nach der Telefonkonferenz gibt der Aktienkurs von Thyssenkrupp deutlich nach, zwischenzeitlich um mehr als zehn Prozent.
IG Metall knüpft Zustimmung zur Abspaltung an Bedingungen
Eine Herauslösung der Stahlsparte mit ihren großen Standorten in NRW wäre eine Zäsur für Thyssenkrupp. Etwa 27.000 der rund 100.002 Beschäftigten im Konzern arbeiten im Stahlgeschäft. Mit großen Standorten unter anderem in Duisburg, Bochum und Dortmund gehört Thyssenkrupp Steel zu den wichtigsten industriellen Arbeitgebern in NRW.
Die IG Metall knüpft ihre Zustimmung zu einer möglichen Abspaltung an Bedingungen – insbesondere zur finanziellen Ausstattung der neuen Firma. Keysberg kommentiert dies mit dem Hinweis, das Unternehmen sei noch weit entfernt von Entscheidungen.
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Zentral für die Zukunft von Thyssenkrupp Steel ist die Perspektive einer klimaneutralen Stahlproduktion. Keysberg betont, Thyssenkrupp sei bereit, „unternehmerische Verantwortung zu übernehmen“. Gleichzeitig setzt das Management auf Unterstützung durch den Staat. Politische Entscheidungen noch vor der Bundestagswahl im September, also kurz vor Ablauf des Thyssenkrupp-Geschäftsjahres, bezeichnet Keysberg als „wünschenswert“.
Es fließt mehr Geld aus der Konzernkasse als reinkommt
Durch den Verkauf des Aufzuggeschäfts mit mehr als 50.000 Mitarbeitern verfügt der Essener Konzern trotz einer zwischenzeitlich existenzbedrohenden Lage wieder über finanzielle Reserven. Keysberg erklärt, es gebe „freie Liquidität von über elf Milliarden Euro“. Aber das Polster ist merklich dünner geworden. In den vergangenen Monaten ist mehr Geld aus der Konzernkasse abgeflossen als hinzugekommen. Dass Thyssenkrupp wieder mehr einnehme als ausgebe, nennt Keysberg „unser höchstes Ziel“. Wann dies erreicht werden könne, ließ er indes ebenso offen wie den Zeitplan zur Rückkehr von Dividendenzahlungen an die Aktionäre, darunter die Essener Krupp-Stiftung, die auf Gewinnausschüttungen angewiesen ist, um ihre Förderprojekte zu finanzieren.
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Das Thyssenkrupp-Management verweist darauf, dass die Sanierung zunächst einmal Geld kostet, sich aber auszahlen werde. In NRW schließt der Konzern Werke in Olpe und Duisburg-Hüttenheim. Betroffen sind mehrere hundert Beschäftigte in der Autozulieferer- und Stahlsparte. Insgesamt sollen nach Planungen des Vorstands rund 12.000 Stellen gestrichen werden. Davon sind nach Angaben des Unternehmens bereits 5400 Arbeitsplätze abgebaut.