Essen. Der neue Eon-Chef Leonhard Birnbaum verbreitet bei der Hauptversammlung Aufbruchstimmung, kritisiert aber auch massiv Deutschlands Bürokratie.
Leonhard Birnbaum verbreitet bei seiner ersten Hauptversammlung als Chef des Essener Energiekonzerns Eon Aufbruchstimmung. „Wir stehen in der Energiewirtschaft vor Dekaden des Wachstums“, sagt Birnbaum beim virtuellen Aktionärstreffen. Für die Energiebranche gebe es enorme Potenziale durch Klimaschutz und Dekarbonisierung. „Fortschritt entsteht oft aus der Notwendigkeit sich anzupassen“, gibt Birnbaum zu bedenken. Auch sein Konzern habe sich „neu erfunden“ und werde sich weiter verändern.
Im kommenden Jahr sollen die letzten Eon-Kernkraftwerke vom Netz gehen. Nach einem historischen Tauschgeschäft mit dem Konzernnachbarn RWE konzentriert sich Eon auf das Geschäft mit Stromnetzen und Energiedienstleistungen sowie den Ausbau eines länderübergreifenden Vertriebsnetzes.
Birnbaum, der Anfang April die Führung des Konzerns vom langjährigen Vorstandschef Johannes Teyssen übernommen hat, skizziert während der Online-Hauptversammlung, wie er Eon künftig positionieren will. Allein in Deutschland hänge die Hälfte der Anlagen für erneuerbare Energien an den Netzen von Eon, berichtet der Vorstandschef. Durch den Bau neuer Windräder oder Solaranlagen seien Milliardeninvestitionen absehbar. Die Elektromobilität dürfte künftig ebenfalls an Bedeutung gewinnen.
Nachhaltigkeit soll „fester Teil der DNA“ von Eon werden
„Haushalte, Kommunen und Unternehmen – sie alle wollen und müssen ihren CO2-Ausstoß verringern“, sagt Birnbaum. Mit mehr als 50 Millionen Kunden werde Eon erheblich von der europaweiten Nachfrage nach Klimatechnologien profitieren: „CO2 hat einen Preis, nahezu überall. CO2 kann teuer werden. Das heißt im Umkehrschluss: CO2 für sich und für andere zu reduzieren, ist ein erfolgversprechendes Geschäftsmodell.“
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Im Zuge der Green-Deal-Strategie der EU-Kommission werde „eine wahre Gesetzes- und Maßnahmenlawine losgetreten“, so Birnbaum. Außerdem sei mit milliardenschweren Fördergeldern für den Aufbau der Wirtschaft nach der Corona-Pandemie zu rechnen. „Ökologische und ökonomische Zukunftschancen gehen Hand in Hand – gerade in der Energiewirtschaft“, zeigt sich Birnbaum überzeugt. Daher wolle er Nachhaltigkeit „zum festen Teil der DNA“ des Konzerns mit seinen rund 78.000 Beschäftigten machen.
„Nie in den letzten Jahren war Eon besser aufgestellt“
Deutschland müsse allerdings attraktiver werden für internationale Finanzgeber, mahnt der neue Eon-Chef. „Deutschland muss heute noch viel stärker in Netzinfrastruktur investieren. Sonst steuern wir in die volkswirtschaftliche Kostenfalle.“ Bis jetzt sei die Energiewende bewältigt worden, da es eine gute Infrastruktur mit Reserven gegeben habe – aufgrund von historischen Leistungen also. „Solche Leistungen braucht es jetzt wieder“, sagt Birnbaum. Mit Blick auf die Rechts- und Verwaltungspraxis formuliert er drastisch: „Wir verwalten uns zu Tode. Deutschland muss endlich an Tempo gewinnen, die Genehmigungspraxis vollständig entschlacken.“
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Eon befinde sich allerdings in hervorragender Verfassung, urteilt Birnbaum: „Nie in den letzten Jahren war Eon besser aufgestellt, nie waren die Aussichten besser.“ Sein Vorgänger Teyssen habe den Konzern „durch schwierige Zeiten geführt – raus aus der Kernkraft, raus aus der Kohle, rein in ein nachhaltiges Energiezeitalter“.
„Respekt vor den Eigentümern nicht weit oben in der Unternehmenskultur“
Aktionäre äußern sich hingegen durchaus kritisch. Thomas Deser von der Fondsgesellschaft Union Investment bemängelt, Teyssen habe das Unternehmen nach 17 Jahren im Vorstand vorzeitig verlassen, ohne der Hauptversammlung noch einmal Rede und Antwort zu stehen. Dies zeige, „dass der Respekt vor den Eigentümern nicht weit oben in der Unternehmenskultur steht“.
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In den vergangenen zwölf Monaten habe die Eon-Aktie eine unterdurchschnittliche Wertentwicklung im Vergleich zum Dax und zu anderen Energiekonzernen gehabt, merkt Deser an. „Aus Sicht des Kapitalmarkts ist Eon der klare Verlierer des Deals mit RWE und Innogy, weil ein Erfolg aus der strategischen Fokussierung auf das Netzgeschäft bisher nicht erkennbar ist.“ Deser fordert den neuen Konzernchef Birnbaum auf, Eon „zurück auf die Gewinnerstraße“ zu bringen.
Investoren enttäuscht von Entwicklung des Eon-Aktienkurses
Auch Thomas Hechtfischer von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) sagt, die Kursentwicklung der Eon-Aktie „konnte die Aktionäre in den letzten Jahren nicht begeistern“. Nun stamme nach dem Deal mit RWE ein Großteil des Eon-Ergebnisses aus dem staatlich regulierten Netzgeschäft. Große Wachstumssprünge seien damit nicht möglich. Birnbaum entgegnet, das regulierte Netzgeschäft lege mit dem Voranschreiten der Energiewende bis zum Jahr 2023 um jährlich vier bis fünf Prozent zu. Auch das „Dividendenversprechen“ von Eon werde um ein weiteres Jahr verlängert, so Birnbaum: „Wir streben nun einschließlich der Dividende für 2023 an, die Dividende pro Aktie um jährlich bis zu fünf Prozent zu steigern.“
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Winfried Mathes von der Fondsgesellschaft Deka Investment urteilt, die Ära Teyssen sei für Eon „eher zwiespältig“ gewesen. Der Deka-Experte erinnert unter anderem an die gescheiterte Expansion des Konzerns in Brasilien, die Abspaltung der Kraftwerkssparte Uniper, den Atomausstieg und den Deal mit RWE. Mit dieser Gemengelage habe sich der Aktienkurs in dieser Zeit von einst 25 Euro „nahezu halbiert“. Die Aufgabe von Birnbaum sei, Eon „mit neuen Ideen zu mehr Geltung zu verhelfen“.