Essen. Eon- und Lufthansa-Aufsichtsratschef Karl-Ludwig Kley im Interview: Kley hat einen Erfahrungsbericht über seine Arbeit im Spitzenamt geschrieben.
Da Karl-Ludwig Kley die Aufsichtsräte von Eon und Lufthansa führt und zudem noch stellvertretender Aufsichtsratschef von BMW ist, taucht er in den Ranglisten von Deutschlands mächtigsten Managern weit oben auf. In einem Buch, das Kley gemeinsam mit dem früheren Bundesinnenminister Thomas de Maizière geschrieben hat, legt der 69-jährige Manager nun einen Erfahrungsbericht über seine Arbeit in Spitzenämtern vor. „Es geht uns darum, unsere Erfahrungen aufzuschreiben und damit weiterzugeben“, schreiben Kley und de Maizière („Die Kunst guten Führens“, Verlag Herder). In unserem Interview spricht Kley über sein Verhältnis zu Macht, über Fehler, die Bedeutung von Vorstandsgehältern und das aktuelle Corona-Krisenmanagement. Und Kley sagt, warum es aus seiner Sicht unmöglich sei, „nur mit Moral“ zu führen.
Herr Kley, in einem Ranking sind Sie kürzlich zu „Deutschlands mächtigstem Aufsichtsrat“ gekürt worden. Wie wichtig ist Ihnen Macht?
Kley: Zunächst einmal betrachte ich derartige Rankings mit einer gewissen Skepsis. Sie beeinflussen auch nicht mein Verhalten. Aber unabhängig davon sage ich: Ja, Macht ist wichtig. Führen und Verändern ist ohne Macht unmöglich. Das gilt für die Politik ebenso wie für die Wirtschaft. Entscheidend ist, worauf Macht basiert. Idealerweise begründet sich Macht neben ihrer institutionellen Legitimation mit der eigenen Persönlichkeit.
Macht hat aber auch ihre Schattenseiten.
Kley: Absolut. Daher gilt es Macht einzuengen und zu kontrollieren, in der Politik etwa durch Gewaltenteilung oder den föderalen Staatsaufbau, in der Wirtschaft durch Gremien und Transparenz. Es gibt sehr ausgefeilte Systeme, um Machtmissbrauch zu verhindern. Meistens funktionieren sie auch.
In ihrem Buch, das Sie mit dem früheren Innenminister Thomas de Maizière geschrieben haben, erwähnen Sie, dass Sie das Wort „Fehlerkultur“ nicht mögen.
Kley: Unser aller Anspruch beim Arbeiten muss sein, keine Fehler zu machen. Das gilt für jeden Beruf. Natürlich passieren Fehler, bei jedem Menschen. Das Wort Fehlerkultur drückt aber aus, dass wir diese Fehler hinnehmen, und das dürfen wir nicht. Ich spreche lieber von Lernkultur: Was lernen wir daraus, wenn wir etwas falsch gemacht haben? So können wir verhindern, dass bestimmte Fehler wieder passieren.
Ihr Buch trägt den Titel „Die Kunst guten Führens“. Wie lassen sich Ihre Führungsprinzipien auf die Situation der Corona-Krise übertragen?
Kley: In einer Krise ist es erforderlich, Entscheidungen zu zentralisieren, Nebenthemen auszublenden, fokussiert zu sein. Das erleben wir auch gerade bei der Lufthansa. Der Vorstand muss viel schneller Entscheidungen treffen, nicht selten bis in kleinste Details hinein. Das wird sich später wieder ändern. Aber in der Krise geht das nicht anders.
Was raten Sie der Politik?
Kley: Ich denke schon, die Politik könnte bei der Umsetzung – nicht bei den Entscheidungsprozessen – von Unternehmen lernen. Bei der Terminkoordination für die Corona-Impfungen oder der Beschaffung und Verteilung von Masken, Schutzkleidung oder Tests hätte ich beispielsweise viel stärker die Kompetenz des privaten Sektors genutzt. Unternehmen können so etwas.
Fühlen Sie sich gut durch die Corona-Krise geführt?
Kley: Unabhängig von der Tagespolitik stelle ich mir die Frage, warum unser Land nicht wirklich auf eine Pandemie vorbereitet war. Das Szenario war bekannt und auch in einer Bundestagsdrucksache detailliert beschrieben. Warum gab es dennoch so wenig Krisenvorsorge? Die Frage treibt mich um. Insgesamt können wir aber froh sein, in Deutschland zu leben, wenn man sich so umsieht.
Sie schreiben, ein Konzernlenker müsse verstehen, dass sein Alltag nicht „das wirkliche Leben“ sei. Was meinen Sie damit?
Kley: Ein Vorstand verkörpert eine Rolle. Er wird in aller Regel wegen seiner Position zu Veranstaltungen eingeladen oder interviewt. Um bodenständig zu bleiben, ist es enorm wichtig zu verstehen, dass es ein Leben in der Rolle und eins außerhalb dieser Rolle gibt. Daher sind Familie und Freunde sehr wichtig.
Als Aufsichtsratschef sind Sie maßgeblich damit befasst, die Regeln für Vorstandsvergütungen zu formulieren. Welche Rolle spielt Geld bei der Führung eines Unternehmens?
Kley: Ich habe nur ganz wenige Vorstände getroffen, für die die eigene Vergütung handlungsleitend war. Geld ist meistens nicht der entscheidende Faktor, warum ein Vorstand nach links oder rechts geht. Ich erlebe das gerade jetzt in der aktuellen Krise wieder. Die Vorstände arbeiten noch mehr als sonst, werden aber weniger verdienen.
Gleichwohl sind es auf Vorstandsebene meist Millionengehälter, auch in der Corona-Krise. Lässt sich eine derartige Bezahlung rechtfertigen, wenn die Gräben innerhalb einer Gesellschaft größer werden?
Kley: Eine ethische Rechtfertigung für irgendein Gehalt zu finden, ist sehr schwierig. Grundsätzlich finde ich, das Verhältnis von Arbeit, Leistung, Verantwortung und Bezahlung in der deutschen Industrie ist angemessen. Für mich als Aufsichtsrat ist dazu noch entscheidend, dass wir mit der Bezahlung Anreize setzen, um bestimmte Ziele zu erreichen, die dem Unternehmen, aber auch der Gesellschaft zu Gute kommen, beispielsweise die Reduktion von CO2 im Luftverkehr.
Es sei nicht möglich, „nur mit Moral“ zu führen, ist auch eine Ihrer Thesen in Ihrem Buch. Das müssen Sie erläutern.
Kley: In einem weltweit tätigen Unternehmen stellt sich oft die Frage, wie es in Ländern agieren sollte, in denen ein Wertekanon vorherrscht, der überhaupt nicht dem westlicher Demokratien entspricht. Die moralische Antwort ist simpel: hier nicht tätig werden, dieses System abstrafen. Aber die deutsche Volkswirtschaft kann sich das schlicht nicht leisten. In der Automobilindustrie etwa ist ein Großteil des Geschäfts von China abhängig. Allein mit Moral lässt sich also kein Unternehmen führen. Übrigens auch kein Ministerium. Das heißt aber nicht, den moralischen Kompass komplett beiseite zu legen. Es gibt Grenzen, die wir nicht überschreiten dürfen.
Zum Beispiel?
Kley: Für uns alle muss es eine Mahnung sein, wie viele Unternehmer sich im Dritten Reich zu Handlangern des Regimes gemacht haben. So etwas darf sich niemals wiederholen. Für mich ist auch klar: In der eigenen Organisation darf es keine Menschenrechtsverletzungen geben. Aber kann ich die Präsenz meines Unternehmens in einem Land davon abhängig machen, dass dort keine Menschenrechtsverletzungen stattfinden? Ich fürchte nein.
Wie kritikfähig sind Sie?
Kley: Ich habe immer versucht, Kritik aufzunehmen und anzunehmen. Ich will nicht behaupten, dass mir das immer gelungen ist. Viel hängt von der Form ab, wie Kritik vorgetragen wird. Auf jeden Fall war es mir wichtig, dass meine Mitarbeiter das berechtigte Gefühl haben konnten, dass Sie mit konstruktiver Kritik zu mir kommen und Gehör finden konnten.
Gab es für Sie ein prägendes Erlebnis in diesem Zusammenhang?
Kley: Mehrere. In den 80er-Jahren wurde ich zum Beispiel fünf Jahre nach Japan entsandt. Mein Eindruck dort war: Die Chefs saßen in aller Regel sehr fest im Sattel. Weil die Hierarchie so gefestigt war, waren die Chefs viel besser in der Lage, Kritik als einen Beitrag aufzufassen, gemeinsam das Beste zu erreichen. Diese Beobachtung hat mich geprägt.
Wie wichtig ist Selbstbeherrschung in einer Führungsposition?
Kley: Sehr wichtig. Irgendwann bricht es aus jedem mal heraus. Ich erinnere Situationen in Vorstandssitzungen, in denen ich gespürt habe, dass ich kurz davor war. Da bin ich rausgegangen, um mich wieder abzuregen. Wer die Beherrschung verliert, wird meist verletzend und unfair. Das darf nicht sein.
Verfolgen Sie die Diskussion in den Sozialen Medien, auf Twitter beispielsweise?
Kley: Ja, und ich bin zunehmend beunruhigt darüber. Ich habe für mich entschieden, dass ich mich nicht an diesen Plattformen beteiligen werde. Wenn ich zehn oder 15 Jahre jünger wäre, weiß ich nicht, ob ich diese Einstellung beibehalten könnte, aber jetzt darf ich mir das erlauben. Wohlgemerkt: Vor einigen Jahren war ich noch begeistert über die Möglichkeiten der Teilhabe und den Informationsfortschritt durch die Sozialen Medien, inzwischen prägen die Schattenseiten doch sehr stark mein Bild. Als ein Beispiel nenne ich die Vereinigten Staaten. Die extensive Nutzung von Social Media als Mittel der Regierungspolitik in den vergangenen vier Jahren hat der Kultur des Landes nicht gut getan.
Sie vermeiden Ironie in Ihrer Kommunikation als Führungskraft. Warum?
Kley: Ich bin gerne ironisch und mache spontane Scherze. Aber die Grenze dessen, was Menschen als Ironie verstehen oder als Zynismus empfinden, ist fließend. Daher kann die Lehre nur sein: weniger Ironie, bitte.