Essen. Thyssenkrupp-Chefin Merz bereitet die Beschäftigten auf harte Zeiten vor. Sie will sparen und sanieren. In Sachen Corona sieht sie neue Risiken.

Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz bereitet die rund 100.000 Mitarbeiter des Essener Industriekonzerns auf eine harte Sanierung vor. „Die nächsten Monate sind entscheidend für den Umbau von Thyssenkrupp“, wird die Vorstandsvorsitzende in einem internen Schreiben an die Belegschaft zitiert, das unserer Redaktion vorliegt. Merz mahnt, angesichts der aktuellen Situation sei „hoffentlich mittlerweile auch im allerletzten Winkel des Unternehmens angekommen, dass ,weiter so‘ nicht funktioniert“.

Nach dem Abbruch der Gespräche mit dem britischen Konkurrenten Liberty Steel zu einem möglichen Verkauf der Stahlsparte pocht Konzernchefin Merz auf Kostensenkungen im Unternehmen. Im Stahlgeschäft müsse Thyssenkrupp „noch hart an der eigenen Leistungsfähigkeit arbeiten“, betont die Managerin. Aktuell gebe es zwar generell Rückenwind für die Stahlhersteller, da die Nachfrage in der Branche insgesamt gestiegen sei. Dies macht die Sparte von Thyssenkrupp nach Einschätzung der Konzernchefin aber „noch nicht für sich stabil genug“, falls es wieder einen Abschwung gebe.

Mit Blick auf die beendeten Gespräche mit dem britisch-indischen Stahlunternehmer Sanjeev Gupta, der bei Liberty Steel das Sagen hat, betont Merz, Thyssenkrupp sei „zu dem eindeutigen Ergebnis gekommen, dass die Weiterentwicklung des Stahls aus eigener Kraft die bessere Lösung ist“.

Gupta, der über sein Unternehmen GFG Alliance Group den Liberty-Konzern kontrolliert, ist ins Zwielicht geraten, da er enge Verbindungen zum Bankhaus Greensill pflegt, das in dieser Woche durch die deutsche Finanzaufsicht wegen drohender Überschuldung geschlossen worden ist. In einer Sonderprüfung hat die Bafin eigenen Angaben zufolge festgestellt, dass die Greensill Bank nicht in der Lage sei, „den Nachweis über die Existenz von bilanzierten Forderungen zu erbringen“, die sie von Guptas Konzern GFG Alliance angekauft habe.

Konzernchefin Merz will Stahlgeschäft „verselbstständigen“

Obwohl es nun nicht zum Verkauf der Stahlsparte kommt, stehen weitreichende Veränderungen beim traditionsreichen Thyssenkrupp-Geschäft mit rund 27.000 Beschäftigten und großen Werken in NRW bevor. Ihr Ziel sei, „das Stahlgeschäft zu verselbstständigen“, erklärt Konzernchefin Merz in dem Informationsschreiben an die Belegschaft. Dieses Vorhaben sei zwar „sehr anspruchsvoll“, aber „machbar“. Merz betont, die Stahlsparte müsse „so robust aufgestellt sein, dass es keine Zuschüsse mehr aus der Zentrale braucht“.

Eine Herauslösung der Stahlsparte aus dem Thyssenkrupp-Konzern wäre nach dem unlängst erfolgten Verkauf der Aufzugsparte mit mehr als 50.000 Beschäftigten ein weiterer tiefer Einschnitt im Unternehmen. Thyssenkrupp galt jahrelang als klassisches Konglomerat mit unterschiedlichen Geschäften rund um den Bau von Autoteilen, Industrieanlagen und U-Booten. Merz argumentiert, es sei „strategisch sinnvoll“, die Bereiche zu trennen, da der Stahl mit seinen klassischen Aufs und Abs andere Zyklen habe als die „typischen Industriegeschäfte“ innerhalb der Thyssenkrupp-Gruppe.

Für den 12. März geplante Aufsichtsratssitzung von Thyssenkrupp abgesagt

Wie das Modell eines selbstständigen Duisburger Konzerns Thyssenkrupp Steel genau aussieht, ist Teil von Planspielen des Managements. Wahrscheinlich ist, dass der Essener Mutterkonzern weiterhin am Stahlgeschäft beteiligt sein dürfte. Ein selbstständiger neuer Stahlkonzern könnte auch als Plattform für die Zusammenarbeit mit anderen deutschen Herstellern wie Salzgitter oder Saarstahl dienen.

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Eine für den 12. März geplante außerordentliche Sitzung des Thyssenkrupp-Aufsichtsrats ist mittlerweile abgesagt worden, wie das Unternehmen auf Anfrage bestätigt. Nach der Beendigung der Gespräche mit Liberty Steel sei das Treffen „nun nicht mehr erforderlich“, da die „Richtungsentscheidung zum Stahl“ bereits gefallen sei.

Allerdings zeichnen sich bei Thyssenkrupp harte Verhandlungen zu weiteren Stellenstreichungen in der Stahlsparte ab. Bisher hat die Konzernleitung mit den Arbeitnehmervertretern den sozialverträglichen Abbau von 3000 Stellen vereinbart. Spartenchef Bernhard Osburg hat bereits erklärt, es hänge auch von neuen Verhandlungen ab, ob betriebsbedingte Kündigungen bei Thyssenkrupp Steel vermieden werden können.

„Gerade schließen Kunden wieder Werke, wegen erhöhter Covid-19-Infektionszahlen“

Konzernchefin Merz verweist auf weiterhin große Unsicherheiten in der Corona-Krise. „Wir wissen nicht mit Sicherheit, wie sich die Corona-Lage weiterentwickelt“, schreibt sie den Beschäftigten. „Die Werte gehen wieder nach oben, die Impfungen haben gerade erst begonnen und ein Gegenmittel gibt es noch nicht. Gerade schließen Kunden wieder Werke, wegen erhöhter Covid-19-Infektionszahlen.“ Daher müsse sich das Unternehmen wappnen und die Kosten senken.

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Für Thyssenkrupp könne insgesamt noch „keine Entwarnung“ gegeben werden, betont Merz. „Die Markterholung, aber auch unsere bisher eingeleiteten Initiativen zur Kostensenkung haben uns geholfen.“ Aber dies reiche noch nicht aus, „um Thyssenkrupp dauerhaft zu einer leistungsfähigen Gruppe zu machen“.

Sparkurs auch für die Essener Thyssenkrupp-Zentrale

Auch die Beschäftigten in der Essener Hauptverwaltung dürften den Sparkurs zu spüren bekommen. Es müssten „noch weitere Maßnahmen dazu kommen“, kündigt Merz an, ohne ins Detail zu gehen. Auch in der Zentrale müssten „noch Beiträge kommen und damit die Kosten weiter deutlich gesenkt werden“.

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Thyssenkrupp müsse „so schnell wie möglich beweisen, dass wir Geld verdienen können – und zwar dauerhaft und nachhaltig“, so Merz. „Wenn uns eine spürbare Kostensenkung in der gesamten Gruppe aber jetzt nicht gelingt, laufen wir Gefahr, dass das zulasten der langfristigen Zukunftsfähigkeit geht. Das kann niemand wollen.“

Ihr sei bewusst, dass der Umbau von Thyssenkrupp allen Beteiligten viel abverlange. „Dazu kommt noch die Pandemie mit ihren Folgen auch im Privaten. Die Belastung ist für die meisten derzeit besonders groß“, schreibt Merz. „Wir sind zwar noch nicht da, wo wir hinmüssen, aber wir kommen voran.“