Düsseldorf. Was machen Textilhändler mit der ganzen Herbst- und Winterware, wenn der Lockdown mal endet? Verramschen und verbrennen, lautet wohl die Antwort.

Weihnachten ist längst vorbei, doch für Schnäppchenjäger steht im Textileinzelhandel ein „Fest“ bevor, das es so im Handel noch nie gab - nur das Datum steht noch nicht fest. Sollte der Lockdown demnächst enden, ist eine Rabattschlacht zu erwarten. Viel deutet aber auch darauf hin, dass Unmengen unverkaufter Textilien aus der Herbst-/Winter-Saison auf den Müll wandern werden.

Nach Schätzungen der deutschen Textilhandels-Verbände haben sich im stationären Handel bei uns eine halbe Milliarde unverkaufter Modeartikel aufgetürmt – Kleidung, Schuhe, Lederwaren. „Die Menge unverkaufter Ware liegt wegen Corona bei 50 bis 70 Prozent. Vor Corona waren etwa zehn Prozent die übliche Größenordnung“, sagt Ole Schartl, Partner des Bielefelder Beratungsunternehmens H+P Hachmeister. „Je später das Ende des Lockdowns, desto schwieriger wird es, für die aktuelle Saison-Ware noch Käufer zu finden“, meint Schartl.

Lockdown: Bleibt für viele Textilien nur noch die Verbrennung?

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„Für einen Teil der Ware bleibt sicher nur die Entsorgung, und dabei reden wir über Verbrennung“, glaubt Markus Muschkiet, Professor für Textillogistik an der Fachhochschule Niederrhein in Mönchengladbach. Textilrecycling sei wohl kaum ein Ausweg, weil moderne Kleidung sehr oft aus Geweben und Materialien besteht, die nicht sauber zu trennen sind. Malervlies sei da vielleicht noch ein möglicher Verwendungszweck, aber auch da sei das Angebot an Material wohl weit größer als der Bedarf, glaubt Muschkiet.

So führt der Lockdown die Auswirkungen unseres stark auf „Fast Fashion“ ausgerichteten Konsumverhaltens vor Augen. Ketten wie Zara oder H&M sollen inzwischen jede Woche sogenannte Mikrokollektionen in ihre Läden bringen - auf raschen Konsum produzierte Wegwerfmode, die nun auf einen Schlag in nie dagewesenen Mengen zu vernichten sein dürfte?

Handelsverband: "Fast-Fashion-Ketten sind im Vorteil"

Beim Handelsverband Textil glaubt Sprecher Axel Augustin, dass Fast-Fashion-Ketten womöglich sogar im Vorteil sind: "Sie können schneller auf den Lockdown reagieren, weil sie nah dran sind an den Produktionsstätten etwa in Asien und dort die Kleidungsproduktion runterfahren können". Zudem hätten gerade international aufgestellte Ketten die Chance, Warenströme umzudirigieren: "Irgendwo auf der Welt ist ja auch gerade kein Lockdown...", sagt Augustin.

Händler aus dem sogenannten Multi-Label-Bereich, die nicht selbst produzieren lassen, hätten durch den Lockdown jedoch Probleme - vor allem dann, wenn ihre Häuser darauf angewiesen seien, dass die Kundenfrequenz hoch ist, sagt Augustin. Solche Einzelhandelsunternehmen zählt er zu den klaren "Verlierern" des Lockdowns.

Manche Kleidungsstücke könnten eingelagert werden – wenn es sich rechnet

„Es werden komplette Kollektionen von der Verkaufsfläche zurückgeführt werden müssen. Für diese Richtung sind die bisher etablierten Logistikprozesse nicht ausgelegt“, beschreibt Textillogistik-Experte Muschkiet die Lage. Selbst wenn manche zeitlose Markenware eingelagert werden könnte: Solche Lagerflächen „in ausreichender Größe, Ausstattung und Qualität“ müsse man erstmal finden, meint Muschkiet.

„Wer möchte Mitte Februar noch Daunenjacken und Winteraccessoires kaufen“, fragt Marcello Concilio, Sprecher des Coesfelder Modefilialisten Ernsting‘s family. Seine Antwort: „Ein derzeit noch zu ermittelnder Teil unserer modischen Ware wird seine Halbwertszeit überschritten haben.“ Zu einem „gewissen Maß“ gebe es die Möglichkeit, Filialware im „boomenden Online-Shop zu verkaufen“, sagt Concilio. Auch könnten manche Artikel womöglich „in anzumietenden Lagerhallen“ eingelagert und zu einem späteren Zeitpunkt wieder „eingesteuert“ werden – doch dabei müssten die Kosten berücksichtigt werden.

Ende des Lockdowns bringt eine Rabattschlacht

„Wir gehen davon aus, dass nach Ende des Lockdowns eine riesige Rabattschlacht beginnt“, heißt es daher bei Ernsting’s. „Ob dies aus pandemischen Gesichtspunkten schlau ist, sei dahingestellt...“, mein Concilio. Eine Sprecherin der Düsseldorfer Modehandelskette Peek & Cloppenburg (P&C) drückt es so aus: „Sobald die Verkaufshäuser wieder geöffnet werden dürfen, werden wir unseren Kunden selbstverständlich attraktive Aktionen bieten“.

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Vergleichsweise froh sind derzeit stationäre Händler mit eigenem Online-Shop. Lag der Online-Anteil beim Warenverkauf vor Corona bei etwa 25 Prozent, dürfte er inzwischen je nach Statistik und Betrachtungsweise auf 30 bis 40 Prozent gestiegen sein, sagt Berater Schartl. Langfristig dürfte er sich bei 35 Prozent einpendeln, glaubt er. Der stationäre Handel werde jedenfalls noch unter den Folgen der Krise leiden, wenn die Corona-Pandemie bewältigt sei, meint Schartl.

Aktueller Lockdown trifft Handel in wichtigster Phase des Geschäftsjahres

Der Online-Anteil sei 2020 um 50 Prozent gewachsen, sagt die P&C-Sprecherin, aber: „Die Verluste durch geschlossene Warenhäuser kann das nicht im Ansatz abfedern.“ 85 Prozent seines Umsatzes mache P&C in seinen Kaufhäusern. So lockt man die Kunden nun mit Sonderrabatten in den Online-Shop und betont: „Eine Vernichtung von Ware ist nicht vorgesehen.“ Auch ein Sprecher der Textilhandelskette C&A bekräftigt auf Nachfrage: „Unser Ziel ist es, sämtliche Waren zu verkaufen. Sollten dennoch Produkte übrigbleiben, werden diese bei C&A nicht vernichtet.“ Was statt dessen damit gemacht wird, verrät der Sprecher jedoch nicht.

Für Peek & Cloppenburg ist die Corona-Pandemie „die größte Herausforderung seit dem zweiten Weltkrieg“. Zumal die Winterware „hohe Bedeutung im Geschäftsjahr“ hat, sagt die Sprecherin - wie wohl im gesamten Modeeinzelhandel: „Im letzten Quartal des Jahres machen wir üblicherweise rund ein Drittel unseres Umsatzes, den größten Teil davon im Weihnachtsgeschäft", heißt es bei P&C. "Aber auch die Tage zum Jahresanfang sind wichtige Verkaufstage“ – im Zeichen des allumgreifenden „Sale“.

Modehändler Sinn: Eine Million Euro Verlust pro Woche

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Beim Hagener Modehändler Sinn – ehemals SinnLeffers - konnten nach eigenen Angaben etwa 50 Prozent der Herbst-Winterware bisher nicht verkauft werden wegen des Lockdowns. Im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 hatte das Unternehmen Insolvenzantrag stellen müssen, im September darauf meldete man die Sanierung als geglückt. Durch Lockdown Nr. 2 ist die Lage wieder angespannt. Ein Sinn-Sprecher beziffert die Verluste pro Lockdown-Woche derzeit auf etwa eine Million Euro. Vernichten wolle man unverkaufte Ware aber nicht und spricht von „sehr vielen verschiedenen Lösungen je nach Produkt“.

Ernsting’s family-Sprecher Concilio sagt, „wir können es kaum erwarten, dass unsere Filialen wieder öffnen“. Als „nicht fremd finanziertes Unternehmen“ sei „glücklicherweise“ die Liquidität „nicht zwangsläufig mit der verkauften Ware der Vormonate garantiert“. Doch bei vielen Unternehmen ist das womöglich anders, fürchtet Berater Ole Schartl.

Sonder-Abschreibungen helfen großen Textilhandelsketten nicht weiter

Staatliche Hilfe ist für die Großen in der Branche offenbar auch keine Lösung: „Die vom Wirtschafts- und Finanzministerium vollmundig angekündigten Abschreibungen helfen uns nicht weiter, da wir mit einem Jahresumsatz von rund 1,2 Mrd. Euro durch jedes Raster fallen und nicht einen Cent stattliche Unterstützung bekommen“, sagt etwa Ernsting’s-Sprecher Concilio.

Der BTE macht zudem auf ein grawierendes Problem im Steuerrecht aufmerksam. Sollte Bekleidung tatsächlich vernichtet werden müssen, würde das deutsche Steuerrecht den Weg in die Müllverbrennung gar noch belohnen. Wollten Händler ihre unverkaufte Neuware karitativen Zwecken spenden, müssten sie dafür "sogar noch Geld auf den Tisch legen, und zwar mehr, als die Müllverbrennung kosten würde", sagt BTE-Sprecher Augustin. Grund: Auf jedes gespendete Bekleidungsstück muss der Händler Mehrwertsteuer zahlen, berechnet nach dem "fiktiven Wiederbeschaffungspreis". Dadurch könnte laut Berechnungen eines ARD-Magazins das Verschenken zehnmal mehr kosten als das Vernichten.

Doch die Folgen des Lockdowns könnten für den Handel ohnehin noch schlimmer werden, warnten jüngst die deutschen Textilhandels-Verbände: „Da die Kosten und vor allem der Wareneinkauf durch die langen Vorlaufzeiten in der internationalen Lieferkette kaum angepasst werden konnten, stehen viele Geschäfte nunmehr vor dem endgültigen Aus.“