Essen. Handel und Gastgewerbe hatten Lockdown-Verlängerung erwartet. Sie fordern Hilfe und befürchten Pleitewelle. Creditreform sieht sie noch nicht.

Mit einer Verlängerung des Lockdowns haben Einzelhändler und Gastronomen schon gerechnet, als er kurz vor Weihnachten beschlossen wurde. Denn rechnen können sie - und wussten deshalb, dass die Corona-Fallzahlen bei einer zweiwöchigen Verzögerung auf Schutzmaßnahmen nicht bis zum 10. Januar so weit sinken können, wie von der Politik vorgegeben. Zumal diese mit den Lockerungen um Weihnachten einen weiteren Infektionsschub eingepreist hatte. Die Vorbereitungen auf eine Wiedereröffnung am 11. Januar hielten sich daher in Grenzen.

Noch ungeduldiger als auf die Öffnung warten viele auf die Hilfsgelder für November und Dezember, die einen Großteil der Umsatzverluste in den Branchen ausgleichen sollen, die seit mehr als zwei Monaten Zwangspause machen. Ab Januar, obwohl der nun ebenfalls ein vollständiger Lockdown-Monat wird, greifen wieder die "normalen" Überbrückungshilfen, die vor allem die Fixkosten wie Mieten und Kreditraten anteilig auffangen. Der Einzelhandel, der mit Ausnahmen wie Lebensmitteln erst am 16. Dezember schließen musste, erhält auch für Dezember allenfalls Überbrückungshilfe.

Verbände befürchten Massenpleiten

Ob das reicht, wann die befürchtete Pleitewelle anrollt und wie sie noch aufgehalten werden könnte, ist daher das Thema der Stunde in den Branchenverbänden. Der Einzelhandel befürchtet 50.000 Pleiten und den Verlust von 250.000 Arbeitsplätzen, ähnlich düster beschreibt der Gastro-Verband Dehoga die Lage. In NRW befürchtet er nach der jüngsten Umfrage das Aus für jeden dritten Betrieb.

Die Insolvenzexperten von Creditreform halten solche Horrorzahlen für übertrieben, gehen aber auch davon aus, dass viele Betriebe die Corona-Krise nicht überleben werden. Die Politik werde in diesem Superwahljahr aber alles daran setzen, die Pleitewelle so weit wie möglich zu strecken, sagte Patrik-Ludwig Hantzsch unserer Redaktion, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform.

Handelsverband: Überbrückungshilfe kommt nicht an

"Die Betriebe brauchen schnellstmöglich die versprochenen Auszahlungen", fordert Kurt Wehner, Landesgeschäftsführer des Dehoga NRW. Dann brauche das Gastgewerbe "eine klare Perspektive, wie wir aus dem Lockdown heraus kommen". Viele Fragen zur Überbrückungshilfe im Januar seien noch offen. Der Verband fordert "eine angemessene Entschädigung für das Sonderopfer der Gastronomen".

Peter Achten, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands NRW, klingt nicht viel anders:„Wenn wir als Handel weiterhin ein Solidaropfer für die Gesellschaft durch Schließung unserer Geschäfte erbringen sollen, muss der entstehende existenzgefährdende Schaden auch ersetzt werden", sagte er unserer Redaktion. Ohne schnelle und unbürokratische Hilfe drohe "alleine in NRW das Aus für bis zu 15.000 Geschäfte mit rund 100.000 Mitarbeitern und damit auch eine Verödung der Innenstädte", warnt er. Die Überbrückungshilfe III reiche nicht aus, weil das Geld "wegen zu hoher und zu komplizierter Zugangshürden nicht beim Handel ankommt".

Abschläge für Dezemberhilfe starten

Das Bundeswirtschaftsministerium gab am Dienstagmorgen den Start der Abschlagszahlungen für die Dezemberhilfen bekannt. Sie sind für jene gedacht, die seit November schließen mussten, allen voran Gastronomie, Kulturschaffende, Fitnessstudios und Veranstalter. Mit der Regelung, 75 Prozent des Vorjahresumsatzes zu ersetzen, waren sie grundsätzlich zufrieden. Das Problem ist die Verzögerung bei den Auszahlungen. Selbst die für November wird in voller Höhe nicht vor Ende Januar fließen. Deshalb wurde die Pflicht zur Insolvenzanzeige ein weiteres Mal verlängert, nun bis Ende Januar.

Die Lage im Handel ist viel differenzierter. Insgesamt hat er 2020 laut der aktuellen Hochrechnung des Statistischen Bundesamts sogar kräftig zugelegt - preisbereinigt stiegen die Umsätze um 4,1 Prozent. Doch während Branchen wie der Möbel- und Elektronikhandel (plus 6,0 Prozent von Januar bis November) sogar von der Pandemie profitierten, litt insbesondere der Textil- und Schuhhandel (minus 21,5 Prozent).

Creditreform: Die Pleitewelle kommt, aber später

"Aktuell sehen wir wegen der Staatshilfen und der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht noch keinen eklatanten Anstieg an Insolvenzen", sagt Creditreform-Experte Hantzsch. Klar sei aber, dass viele Betriebe, vor allem kleine Textilhändler, sehr geschwächt seien und viele nicht dauerhaft überleben könnten. Die Wirtschaftsauskunftei rechnet nun frühestens im März mit der befürchteten Welle, die irgendwann kommen müsse.

Dies schon deshalb, weil die Hilfen auch Pleiten von Unternehmen verzögert hätten, die es auch ohne Pandemie nicht geschafft hätten. Für sie komme das Aus, wenn die durch die Staatshilfen ausgehebelten Kräfte des Marktes wieder wirkten. Auch für alle anderen schlage die Stunde der Wahrheit nach der Rückkehr zur Normalität. Denn viele kämen mit höheren Schulden und arg geschrumpftem Eigenkapital aus der Krise.

Verdi und NGG fordern Mindestkurzarbeitergeld

Die Gewerkschaften Verdi und Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) fordern derweil mehr Unterstützung für die betroffenen Beschäftigten. Von der Fortsetzung des Lockdowns seien besonders die Mitarbeiter im Hotel- und Gaststättengewerbe, dem
Veranstaltungswesen, dem Handel und dem Friseurgewerbe betroffen - sämtlich Branchen, in denen vergleichsweise niedrige Löhne gezahlt würden. Die Bundesregierung solle deshalb das Kurzarbeitergeld für Beschäftigte mit einem Nettoentgelt unter 2500
Euro auf 90 Prozent bzw. 97 Prozent (für Eltern) aufstocken, mindestens aber auf ein Mindestkurzarbeitergeld von 1200 Euro pro Monat.