Duisburg. Thyssenkrupp-Stahlchef Osburg setzt beim Umbau der Werke auf staatliche Unterstützung. Schwarze Zahlen strebt er fürs Geschäftsjahr 2020/21 an.
Aus seinem Büro im zehnten Stock der Stahlzentrale in Duisburg hat Bernhard Osburg bei gutem Wetter einen fantastischen Blick auf die gigantischen Ausmaße des Thyssenkrupp-Werksgeländes mit seinen Hochöfen und einem Gewirr aus Pipelines und Bahnschienen. Es sind schwere Zeiten für den Konzern, doch Osburg, der neue Chef der Stahlsparte, präsentiert sich mit einer Mischung aus Zuversicht und Entschlossenheit. „Wir wissen, was wir können, und haben schon viele Krisen gemeistert“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise – in den Monaten April bis Juni – hat Thyssenkrupp mit dem Stahl pro Tag durchschnittlich fast vier Millionen Euro Verlust gemacht. Doch Osburg zeigt sich überzeugt, dass der Konzern die Kurve kriegen wird. „Im Geschäftsjahr 2021/22 wollen wir wieder schwarze Zahlen schreiben“, kündigt er an. Beim dringend erforderlichen Umbau von Europas größtem Stahlstandort müsse allerdings der Staat helfen, betont der Thyssenkrupp-Stahlchef. Am Freitag kommender Woche erwartet das Unternehmen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zu einem Besuch. Hier lesen Sie unser Interview mit Bernhard Osburg im Wortlaut:
Herr Osburg, die Corona-Pandemie bringt Thyssenkrupp in Bedrängnis. Von April bis Juni hat die Stahlsparte täglich im Schnitt 3,78 Millionen Euro verloren, das klingt beängstigend. Wie lange hält der Konzern aus, dass derart viel Geld abfließt?
Osburg: Die Situation trifft uns nicht unerwartet, aber brutal. In der Corona-Krise hat die Autoindustrie, an die wir etwa die Hälfte unseres Stahls liefern, eine Vollbremsung hingelegt. Daher mussten wir auch, so gut es geht, unsere Produktion zurückfahren. Mittlerweile sehen wir eine leichte Erholung. Vor allem aber verlieren wir nicht die Nerven. Wir wissen, was wir können, und haben schon viele Krisen gemeistert.
Wann wird Thyssenkrupp wieder Geld mit der Stahlproduktion verdienen?
Osburg: Wir arbeiten hart daran. Das tun wir auf Basis eines Plans, der nicht in rosaroten Farben gemalt ist. Im Geschäftsjahr 2021/22 wollen wir wieder schwarze Zahlen schreiben. Dafür müssen wir einiges tun. Wir bauen unser Standort-Netzwerk um und senken unsere Kosten, auch durch Stellenabbau. Gleichzeitig benötigen wir einen gewissen konjunkturellen Rückenwind. Viel hängt von der Automobilindustrie ab.
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Wie stark haben Sie die Stahlproduktion zurückgefahren?
Osburg: Im Schnitt produzieren wir etwas mehr als elf Millionen Tonnen pro Jahr in unseren Stahlwerken. Wegen Corona werden wir in diesem Jahr voraussichtlich bei knapp über neun Millionen Tonnen landen. Bei einem solchen Volumen können wir derzeit nicht profitabel sein.
Wie viele Beschäftigte sind aktuell in Kurzarbeit – und wie lang werden sie es noch sein?
Osburg: Derzeit befinden sich noch rund 15.000 unserer 27.000 Mitarbeiter in Kurzarbeit – mehr als in der Finanzkrise 2008. Das wird mindestens bis Ende des Jahres so sein. Wie es danach weitergeht, werden wir sehen.
Sie haben angekündigt, bis zum Jahr 2026 rund 3000 Arbeitsplätze in der Stahlsparte abzubauen, viele davon im Ruhrgebiet. Kommt aufgrund der Corona-Krise weiterer Stellenabbau hinzu?
Osburg: Mit den 3000 Arbeitsplätzen, die wegfallen, verkleinern wir in den nächsten sechs Jahren unsere Belegschaft um mehr als zehn Prozent. Das ist der Plan, der gilt. Natürlich beobachten wir, wie Corona die Situation verändert und ob weiterer Handlungsbedarf entsteht.
In Bochum wollen Sie einen Ihrer zwei Standorte schließen. Das Bochumer Elektroband-Werk soll zum Thyssenkrupp-Stahlstandort in Sichtweite der A40 verlagert werden, die dortige Warmband-Produktion nach Duisburg wechseln, alles in den Jahren 2023 bis 2026. Können Sie den Umbau aufgrund der Corona-Krise beschleunigen?
Osburg: Wir haben in Erwägung gezogen, den Umbau vorzuziehen. Aber wir sprechen von einem riesigen Veränderungspaket. Allein der Bau der neuen Warmbandstraße in Duisburg ist ein Großprojekt, das gründlich umzusetzen ist. Daher bleiben wir beim bisherigen Zeitplan.
Das Grobblech-Werk in Duisburg-Hüttenheim wollen Sie schließen, wenn sich kein Käufer findet. Können Sie den Beschäftigten Hoffnungen auf einen Standort-Erhalt machen?
Osburg: Ich rate zu Realismus. Es gibt Gespräche mit Interessenten und wir würden das Werk gerne in gute Hände geben. Aber wenn wir bis Ende des Jahres keinen Käufer haben, müssen wir die Notbremse ziehen und im September 2021 den Standort schließen.
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Durch den Verkauf der Aufzugsparte fließen mehr als 17 Milliarden Euro in die Kassen des Konzerns. Trotzdem fehlt Geld in der Stahlsparte für Zukunftsinvestitionen, insbesondere für den Bau von Werken für eine klimaneutrale Produktion. Läuft etwas falsch?
Osburg: Die Corona-Krise hat uns in einer ohnehin schwierigen Situation getroffen, klar ist aber auch: Kein Stahlhersteller kann den Aufbau einer klimaneutralen Produktion aus eigener Kraft schaffen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Mit unserem Standort in Duisburg sind wir für zwei Prozent der deutschen CO2-Emissionen verantwortlich. Heute sind wir ein großer Teil des Problems, mit Investitionen in den Klimaschutz können wir aber entscheidend zur Lösung des Problems beitragen. Duisburg, als größter Stahlstandort in Europa, hat das Potenzial zum Kern einer grünen Industriewende zu werden, mit Signalwirkung weit über das Ruhrgebiet hinaus.
Schon im Jahr 2030, also in zehn Jahren, will Thyssenkrupp die CO2-Emissionen um 30 Prozent reduziert haben. Ist das Ziel realistisch? Die erste Produktionsanlage auf Wasserstoffbasis ist schließlich noch nicht in Sicht.
Osburg: Wir können es schaffen, aber wir brauchen jetzt Entscheidungen. Wir reden von komplexen Projekten und immensen Investitionen, die den Standort Duisburg für Jahrzehnte prägen werden. Dazu gehört der Bau von Direktreduktionsanlagen, mit denen wir schrittweise unsere klassischen Hochöfen ersetzen. In den Jahren 2025 oder 2026 brauchen wir die erste dieser neuen Anlagen zur Stahlproduktion auf Basis von Wasserstoff, 2030 dann eine weitere. Hinzu kommt die Infrastruktur, zum Beispiel für die Versorgung mit Wasserstoff.
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Steht überhaupt genug grüner Wasserstoff für die Stahlproduktion zur Verfügung.
Osburg: Nein. Unsere Planungen sehen daher vor, dass wir zunächst einmal Erdgas einsetzen. Später können wir dann auf grünen Wasserstoff, der mit erneuerbarer Energie produziert worden ist, umstellen. Die Direktreduktionsanlage kann mit beiden Gasen betrieben werden, ohne großen Umbau.
Wird die Thyssenkrupp-Anlagenbausparte beim Umbau Ihrer Stahlproduktion unterstützen?
Osburg: Das wäre eine Option. Die Anlagebausparte der Thyssenkrupp-Gruppe verfügt über große Kompetenzen im Bereich der Elektrolyse, ein Verfahren, das für die Produktion von grünem Wasserstoff benötigt wird.
Die Bundesregierung hat angekündigt, die Wasserstoff-Wirtschaft mit neun Milliarden Euro zu unterstützen. Hoffen Sie auf Fördergelder?
Osburg: Aus unserer Sicht ist es sinnvoll, die in der Corona-Krise zur Verfügung gestellten Gelder für Zukunftsprojekte einzusetzen. Auch für die Energiewende war und ist eine milliardenschwere Förderung des Staates erforderlich. Ähnlich ist es in der Stahlindustrie. Wir leisten hier Pionierarbeit. Mit Klein-Klein wird der Umbau zur klimaneutralen Industrie nicht gelingen. Wie können als großer Standort einen wesentlichen Beitrag leisten.
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NRW-Ministerpräsident Laschet hat betont, die Stahlindustrie in Deutschland sei „systemrelevant“. Förderbescheide in nennenswertem Umfang hat es danach aber noch nicht gegeben. Fühlen Sie sich von der Landesregierung genug unterstützt?
Osburg: Wir sind sehr dankbar für den Einsatz des Ministerpräsidenten und der Landesregierung. Für die Branche steht viel auf dem Spiel, und wir haben keine Zeit zu verlieren. Wenn wir im Jahr 2030 unseren CO2-Ausstoß um ein Drittel reduziert haben wollen, müssen wir jetzt loslegen. Die Lage in der Rhein-Ruhr-Region ist dazu prädestiniert. Hier sitzen Energie- und Chemieunternehmen, hier haben wir Forschung, Logistik, Pipelines.
Thyssenkrupp-Vorstandschefin Martina Merz will die Chancen für eine Stahlfusion ausloten. Gehandelt werden der niedersächsische Wettbewerber Salzgitter sowie Saarstahl, der Europaableger des indischen Konzerns Tata und der schwedische Konzern SSAB. Haben Sie einen Wunschpartner?
Osburg: Generell sind wir offen für eine Konsolidierung. Entscheidend ist ein schlüssiges industrielles Konzept, mit dem wir langfristig wettbewerbsfähig sind. Die Stahlindustrie steht so stark unter Druck wie lange nicht. In einer solchen Situation ist es sinnvoll, das gesamte Spielfeld im Blick zu behalten. Wir arbeiten gerade hart daran, unsere Technologieführerschaft zu verteidigen und möglichst schnell wieder schwarze Zahlen zu schreiben.