Essen. Thyssenkrupp stellt Geschäfte mit rund 20.000 Mitarbeitern auf den Prüfstand. Für die Stahlsparte erwägt der Konzern erneut auch eine Fusion.
Der angeschlagene Essener Industriekonzern Thyssenkrupp stellt Geschäfte mit rund 20.000 Mitarbeitern auf den Prüfstand. Nach einer Aufsichtsratssitzung teilte das Unternehmen mit, ein Teil der bisherigen Aktivitäten werde künftig gesondert geführt. Dabei handle es sich um Konzernbereiche, in denen der Vorstand „keine nachhaltigen Zukunftsperspektiven“ innerhalb der Thyssenkrupp-Gruppe sehe. Betroffen sind unter anderem der Anlagenbau, die Grobblech-Produktion in Duisburg, Teile der Autosparte, das Bautechnik-Geschäft sowie ein italienisches Edelstahlwerk.
Nach einer Aufsichtsratssitzung teilte Thyssenkrupp mit, die Geschäfte des Konzerns würden künftig „in zwei Kategorien unterteilt“ – zum einen Unternehmensbereiche, die Thyssenkrupp „allein oder gemeinsam mit Partnern entwickeln wird“ und zum anderen Geschäfte, „für die das Unternehmen vorrangig Entwicklungspfade außerhalb der Gruppe verfolgen wird“. Letztere sollen in einem Segment namens „Multi-Tracks“ gebündelt werden. Ab dem kommenden Geschäftsjahr werde es für diesen Bereich auch eine eigene Finanzberichterstattung geben, kündigte Thyssenkrupp an.
Die Leitung von „Multi-Tracks“ übernimmt der Konzernmanager Volkmar Dinstuhl, der bisher schon im Konzern für Firmenverkäufe und Übernahmen zuständig ist. Denkbar seien Partnerschaften mit bisherigen Konkurrenten oder Firmenverkäufe. Für die Bereiche Bautechnik, Grobblech und Battery Solutions (Produktionsanlagen zur Batteriemontage) prüft Thyssenkrupp neben einem Verkauf auch die Schließung von Standorten. Insgesamt geht es um Geschäfte, die zuletzt einen Jahresumsatz von rund sechs Milliarden Euro erwirtschaftet haben.
„Wir haben in den vergangenen Monaten jeden Stein umgedreht“
Derzeit gehören weltweit rund 160.000 Mitarbeiter zu Thyssenkrupp. Mehr als 50.000 Beschäftigte verlassen das Unternehmen durch den Verkauf der Aufzugsparte. Weitere 20.000 Mitarbeiter gehören künftig zu den Bereichen auf dem Prüfstand.
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„Wir haben in den vergangenen Monaten jeden Stein umgedreht und uns das individuelle Entwicklungspotenzial der Geschäfte für Thyssenkrupp sehr genau angesehen“, erklärte Thyssenkrupp-Vorstandschefin Martina Merz in einer Mitteilung, die der Konzern am Montagabend verschickte. „Wesentlich war dabei, in welcher Konstellation die Einheiten die besten Zukunftsperspektiven haben – unter dem Dach von Thyssenkrupp, in Partnerschaften oder außerhalb des Unternehmens. Mit dieser Neubewertung des Portfolios haben wir schwierige und längst überfällige Entscheidungen getroffen, die wir jetzt konsequent umsetzen.“ Thyssenkrupp werde „kleiner, aber stärker aus dem Umbau hervorgehen“, betonte Merz.
IG Metall hofft auf Perspektive für die betroffenen Beschäftigten
Für die IG Metall erklärte Vize-Aufsichtsratschef Jürgen Kerner, die Arbeitnehmerseite trage eine Neuordnung des Konzerns mit. Es gehe nun im Bereich „Multi-Tracks“ darum, „neue, gute Eigentümer oder Partner zu finden, die bestehenden Sozial- und Arbeitsstandards zu sichern und den betroffenen Beschäftigten wieder eine Perspektive zu geben“.
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Beim Werkstoffhandel und bei den Industriekomponenten (Schmiedegeschäft und Großwälzlager) sehe Thyssenkrupp „aufgrund der eigenen Marktposition und Wettbewerbsstärke unverändert gutes Entwicklungspotenzial“, teilte das Unternehmen mit. Diese Geschäfte werde Thyssenkrupp auch künftig im Unternehmen „aus eigener Kraft weiterentwickeln“. Das Automobilzuliefergeschäft werde Thyssenkrupp innerhalb der Gruppe weiterführen. „Dem Branchentrend zu übergreifender Zusammenarbeit folgend sind selektiv auch Allianzen oder Entwicklungspartnerschaften vorstellbar“, betonte der Konzern. In der Stahlsparte sowie bei der Schiffbausparte Marine Systems erwäge das Management auch Partnerschaften oder Fusionen.
Gespräche zu einer möglichen Stahlfusion
Thyssenkrupp werde „für den Stahl auch mögliche Konsolidierungslösungen prüfen und hält sich alle Optionen offen“, hieß es in der Mitteilung des Konzerns. „Gespräche finden mit Kenntnis des Aufsichtsrats bereits statt.“
Die nordrhein-westfälische IG Metall plädiert dabei für eine Fusion deutscher Stahlhersteller. „Die mittel- und langfristigen Herausforderungen, um die Stahlunternehmen zukunftsfähig aufzustellen, sind groß: Stichwort grüner Stahl“, sagte Knut Giesler, der NRW-Bezirksleiter der IG Metall, unserer Redaktion. Die Investitionen, die für CO2-freien Stahl nötig seien, werde ein Unternehmen alleine nicht stemmen können. „Darum braucht es Kooperationen in der Stahlbranche. Wir favorisieren dabei Kooperationen der deutschen Hersteller.“ Giesler ermunterte Thyssenkrupp damit zu Gesprächen mit dem niedersächsischen Konkurrenten Salzgitter sowie den Stahlherstellern aus dem Saarland.
IG Metall NRW plädiert für „deutsche Lösung“
Die IG Metall in NRW würde „eine deutsche Lösung“ bevorzugen, betonte Giesler. Der Gewerkschaft gehe es dabei um Beschäftigungssicherung, Investitionen, Innovationen und den Erhalt der Mitbestimmung. Zuvor hatte das „Handelsblatt“ berichtet, Thyssenkrupp unternehme einen neuen Anlauf zur Fusion seiner Stahlsparte. Mit Vertretern anderer Stahlfirmen seien Sondierungsgespräche über einen möglichen Zusammenschluss aufgenommen worden, berichtete die Zeitung unter Berufung auf Kreise des Unternehmens und der Branche. Zu den Interessenten zählen demnach der chinesische Konzern Baosteel, SSAB aus Schweden und Tata Steel Europe. Eine Fusion von Thyssenkrupp mit dem europäischen Ableger des indischen Großkonzerns Tata war allerdings unlängst nach monatelangen Verhandlungen gescheitert.
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Nachdem in den vergangenen Tagen Gespräche von Thyssenkrupp-Vorstandschefin Martina Merz mit Salzgitter-Chef Heinz Jörg Fuhrmann bekannt geworden waren, äußerte sich der niedersächsische Stahlkonzern in einer Mitteilung. „Frau Merz und Herr Prof. Fuhrmann kannten und schätzten sich bereits persönlich, bevor Frau Merz Vorstandsvorsitzende der Thyssenkrupp AG wurde“, hieß es in einer Ende vergangener Woche verschickten Mitteilung. „Insofern ist es wenig verwunderlich, dass beide miteinander sprechen.“ Zwischen den Unternehmen gebe es allerdings keine Verhandlungen.
Thyssenkrupp steht massiv unter Druck. Die Folgen der Corona-Pandemie treffen den Konzern derzeit mit voller Wucht. Im ersten Halbjahr des Geschäftsjahres 2019/2020 verbuchte der Essener Industriekonzern einen Verlust von mehr als 1,3 Milliarden Euro, wie das Unternehmen vor wenigen Tagen mitteilte. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres hatte Thyssenkrupp bereits rote Zahlen geschrieben. Deutschlands größter Stahlkonzern leidet unter anderem darunter, dass große Autobauer wie VW wegen der Pandemie zwischenzeitlich ihre Werke geschlossen hatten.
Was geschieht mit den Milliarden aus dem Elevator-Deal?
Frisches Geld soll im Sommer durch den Verkauf des Aufzuggeschäfts in die Kasse von Thyssenkrupp kommen. Nach der Unterschrift Anfang März zum Verkauf der Sparte Elevator für mehr als 17 Milliarden Euro hatte Vorstandschefin Merz angekündigt, im Mai wolle das Management über die konkrete Mittelverwendung entscheiden. Zuletzt dämpfte die Konzernchefin die Erwartungen. „Je länger Corona dauert, umso mehr werden die Mittel aus der Elevator-Transaktion aufgezehrt“, erklärte Merz unlängst. „Damit werden unsere Spielräume für Investitionen in die Zukunft kleiner.“ Dies solle auch Thema der Sitzung des Thyssenkrupp-Aufsichtsrats sein. Das Management arbeite gerade an „Lösungen und Optionen“.
Krupp-Stiftung: „Wir glauben fest an das Potenzial des Unternehmens“
Die Ankeraktionärin Krupp-Stiftung teilte am Abend nach der Aufsichtsratssitzung mit, sie unterstütze die vorgestellte Strategie. „Angesichts der äußerst herausfordernden Lage tragen wir auch schwierige Entscheidungen zum Wohle des Unternehmens mit“, so die Krupp-Stiftung. „Wir haben Vertrauen in den Vorstand und gehen davon aus, dass er und alle Führungsteams den angekündigten Kurs mit Nachdruck verfolgen. Thyssenkrupp hat keine Zeit zu verlieren.“ Als Ankeraktionärin gehe die Stiftung „Seite an Seite mit Management und Beschäftigten durch diese schwierige Zeit“, hieß es weiter in der Mitteilung. „Wir glauben fest an das Potenzial des Unternehmens, wieder wettbewerbs- und dividendenfähig zu werden.“