Essen. Die 920 Essener Beschäftigten von Thyssenkrupp Business Services fürchten Kündigungen. Aus Protest hissten sie ein Banner mit roter Wut-Ente.
Auf dem kleinen Platz vor der alten Krupp-Hauptverwaltung ist es ungemütlich an diesem Donnerstag. Es ist windig, nass und kalt. Genauso ungemütlich wie bei Thyssenkrupp selbst. Hundert Beschäftigte der Sparte „Business Services“ haben ihre Büros verlassen, um in der Mittagspause gegen drohenden Stellenabbau zu demonstrieren. Um Punkt fünf vor zwölf – eine symbolisch gemeinte Uhrzeit.
Je länger sich die quälende Ungewissheit in die Länge zieht, desto mehr Spekulationen schießen in der Belegschaft ins Kraut. „Wir wollen vom Vorstand endlich wissen, was er mit uns vorhat“, sagt Betriebsratschef Holger Hollnack. Der beklemmende Abstieg des stolzen Technologie- und Stahlriesen Thyssenkrupp – festzumachen an hohen Schulden und Pensionszahlungen sowie dem Rauswurf aus dem Dax – schlägt mit voller Wucht auf die Belegschaft durch.
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Betriebsratschef warnt Kollegen: „Dann können wir uns warm anziehen“
Mindestens 6000 Arbeitsplätze sollen wegfallen, davon etwa 2000 Verwaltungsjobs. Bei „Thyssenkrupp Business Services“, das sich um die Entgeltabrechnung der gut 20.000 deutschen Thyssenkrupp-Beschäftigten, die Finanzdienstleistungen und das konzernweite Immobilienmanagement kümmert, sind 1600 Menschen beschäftigt, davon allein 920 am Standort Essen. Die offene Frage: Wie viele von ihnen müssen gehen?
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Auch über die neue Konzernzentrale auf der anderen Straßenseite, dem Thyssenkrupp-Quartier, ziehen dunkle Wolken, nicht nur an diesem nasskalten Januartag. Im „Q1“, intern nur „der Würfel“ genannt, sollen von 800 Verwaltungsjobs rund 400 abgebaut oder verlagert werden. Ergebnis: Der Würfel stünde halb leer. „Wenn das der Maßstab ist“, warnt der Betriebsratsvorsitzende, „dann können wir uns warm anziehen.“
Eine der Hundert, die gegen „betriebsbedingte Kündigungen“ und für den Stahltarif protestiert, ist Katharina Vocale aus Dinslaken. Die 28-Jährige gehört erst seit 2011 – mit Beginn des Dualen Studiums“ – zur Thyssenkrupp-Familie, streng genommen gehört sie jedoch schon seit ihrer Geburt dazu. „Mein Vater arbeitet im Stahlwerk Duisburg, er hat schon mit 14 dort angefangen.“ Die Tochter des Stahlkochers hängt an Thyssenkrupp. „Aber im Zweifel sind meine Tage hier gezählt“, sagt die Gewerkschafterin, die auch dem Betriebsrat angehört.
Tochter des Stahlkochers hat Angst: „Im Zweifel sind meine Tage hier gezählt“
Die Krise des Konzerns droht Lebensentwürfe zu zerstören. Auch den von Mike Zorawik (22) aus Bochum. Als er nach dem Abitur die Lehrstelle bekam, waren auch seine Eltern stolz. „Letztes Jahr habe ich meine Ausbildung zum Informatikkaufmann abgeschlossen, jetzt muss ich mich schon umorientieren.“ In der Nachbarstadt spielt er Fußball und hat viele Freunde. „Ich will nicht weg aus dem Ruhrgebiet.“
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Einen großen Umzug hat Kerstin Gießler schon hinter sich. Weil sie in ihrer thüringischen Heimat keine blühenden Landschaften fand, zog sie vor 20 Jahren ins Ruhrgebiet, um bei Thyssenkrupp Steel in Bochum in die Lehre zu gehen. „Jetzt habe ich Angst, den Job zu verlieren und nichts Neues zu finden, weil meine Vermittlungschancen nicht mehr die besten sind.“
Holger Hollnack, der IG Metaller, stellt klare Forderungen auf: Den Stahltarif über 2022 hinaus verlängern, keine betriebsbedingten Kündigungen, kein Outsourcing, und wenn Stellenabbau, dann sozialverträglich. Er erinnert daran, dass schon vor knapp sechs Jahren drastische Einschnitte drohten – etwa die Verlegung von Jobs nach Berlin inklusive einer schlechten Bezahlung nach Handwerk-Ost-Tarifen.
Für die Metall-Gewerkschafter ist die Ente das Symbol des erfolgreichen Widerstandes
Als im Februar 2014 rund 5000 Beschäftigte vor dem Würfel demonstrierten, setzten Betriebsrat und Gewerkschafter rund 10.000 gelbe Plastikenten in die Wasserachse vor Q1. Der Kampf endete aus Sicht der Belegschaft mit einem Erfolg. Seitdem genießt die Ente bei Thyssenkrupp Kultstatus, sie ist eine Maskottchen geworden. Hollnack: „Die Ente ist für uns Symbol des Widerstandes und Symbol für eine erfolgreiche Form, sich zu wehren.“
Heute, so fügt Holger Hollnack zynisch hinzu, könne sich der hoch verschuldete Konzern nicht einmal mehr das Wasser für die Wasserachse leisten. Da die Protest-Ente jetzt nicht mehr schwimmen könne, ersannen sich die Gewerkschafter eine neue Symbolik. Sie lassen die Ente jetzt im Wind fliegen. Um viertel nach zwölf zogen sie am Fahnenmast ein Banner mit einer roten Wut-Ente hoch. „Die Ente bleibt so lange am Mast, bis wir eine gute Lösung erzielt haben“, warnt Hollnack.