Essen. Durch Corona rechnet der Handel mit bis zu 40 Milliarden Euro Umsatzverlust und Tausenden Pleiten. In NRW sehen sich vier von zehn Läden bedroht.

Auch zehn Wochen nach Wiedereröffnung aller Geschäfte herrscht im deutschen Einzelhandel alles andere als Normalität. Einer Umfrage des Handelsverbands HDE zufolge schaffen es gerade einmal 20 Prozent der Läden, an das Niveau der Zeit vor der Corona-Krise anzuknüpfen. Und die Prognosen bis zum Jahresende sehen Umsatzausfälle von bis zu 40 Milliarden Euro voraus.

Zehn Jahre in Folge hatte Stefan Genth vom Aufwärtstrend im deutschen Einzelhandel berichtet. Mit dem Coronavirus ist plötzlich alles anders. „Wir leiden unter einem historischen Umsatzrückgang“, sagt der HDE-Hauptgeschäftsführer. Allein während des Shutdowns von Mitte März bis Ende April haben die Händler, die keine Lebensmittel im Sortiment haben, nach seinen Angaben 15 Milliarden Euro Umsatz verloren. Aber auch nach der Wiedereröffnung der bundesweit rund 200.000 Läden verbessere sich die Lage nur langsam.

Pandemie verstärkt den Trend zum Geldsparen

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„Der private Konsum ist weggebrochen. Es gibt nur ganz begrenzt Nachholeffekte“, sagt Genth und verweist auf den während der Pandemie wachsenden Trend, das Geld besser zu sparen. Der Handels-Manager spricht von einer „Konsumverweigerungsquote“. Daran ändere auch das Konjunkturprogramm der Bundesregierung wenig. „Der Kinderbonus kann den Konsum stärken. Die gesenkte Mehrwertsteuer wird aber keinen Wums nach vorn bringen“, meint Genth.

So hat Corona die Umsätze im Handel verändert.
So hat Corona die Umsätze im Handel verändert. © funkegrafik nrw | Selina Sielaff

Wie in jeder Krise gibt es Gewinner und Verlierer. „Der Onlinehandel ist während der Pandemie massiv gewachsen“, so der HDE-Geschäftsführer. Laut Verband habe das Umsatzplus bislang 20 Prozent betragen. Der stationäre Handel brach dagegen um zehn Prozent ein. Käufe im Internet können den Verlust im Handel insgesamt bei Weitem nicht ausgleichen.

Genth nennt auch die Gründe dafür: „Es wird weniger gekauft, und das Konsumverhalten ändert sich“, hat er beobachtet. Auch wegen der Maskenpflicht gingen die Menschen gezielt in die Stadt oder ein Center, um einen konkreten Bedarf zu decken.

Lebensmittelhandel gehört zu Gewinnern

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Unter dem geänderten Verhalten leiden der HDE-Umfrage zufolge vor allem Modehäuser, Schuh-, Schmuck-, Spielwaren- und Möbelhändler. Sie sind auf Laufkundschaft angewiesen, die es in Corona-Zeiten aber kaum gibt. Obwohl Lebensmittelhändler und Drogerieketten zum Teil ein zweistelliges Umsatzplus verzeichneten, warnt Genth davor, aus dem Ansturm auf Supermärkte und Discounter die falschen Schlüsse zu ziehen. Er verweist auf die immensen Kosten für Hygienemaßnahmen und Logistik und die zuweilen zu Tage getretenen Lieferengpässe. „Die Margen sind im Einzelhandel ohnehin gering“, sagt der HDE-Geschäftsführer. Bei Modeanbietern liege sie in normalen Zeiten bei gerade einmal drei bis fünf Prozent.

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Mit Prognosen zu möglichen Pleitezahlen hält sich der Handelsverband noch zurück. „Es hängt alles davon ab, ob es eine zweite Infektionswelle geben wird“, meint Genth. Laut HDE sehen sich bundesweit rund 50.000 Geschäfte in ihrer Existenz bedroht. Bereits im Herbst könne es zu einem spürbaren Anstieg der Insolvenzzahlen kommen, sagt Genth. In NRW gaben rund 40 Prozent der Händler an, sie sähen ihre Läden in akuter Gefahr.

Erst 2022 wird das Umsatzniveau des Vorkrisenjahres 2019 wieder erreicht

Und die wirtschaftlichen Aussichten sind nicht rosig. Der Einzelhandel rechnet wegen der anhaltenden Corona-Krise mit einer langen Durststrecke. Voraussichtlich werde erst 2022 wieder das Umsatzniveau des Vorkrisenjahres 2019 erreicht, meint Genth – vorausgesetzt, dass eine neuerliche große Ansteckungswelle ausbleibe. „Der Einzelhandel wird sich erholen, aber es wird eine langsame Erholung sein, nicht das schnelle Aufleben des Konsums“, sagte er.

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Im Herbst und vor allem im Advent machten die Einzelhändler in der Vergangenheit die größten Umsätze. Um den erwarteten Ansturm auch in Corona-Zeiten zu bewältigen, fordert Genth mehr verkaufsoffene Sonntage. Damit könnten die verkaufsstarken Samstage entzerrt werden. Der Vorstoß ist bei der Gewerkschaft Verdi aber hoch umstritten. Um die Innenstädte angesichts drohender Ladenschließungen attraktiv zu halten, schlägt der HDE einen Fonds vor, den Kommunen nutzen können, um leerstehende Handelsimmobilien selbst kaufen oder anmieten zu können.