Essen. Am Mittwoch sinkt die Mehrwertsteuer. In Auto- und Möbelhäusern fällt das kaum auf, Aldi & Co. runden Rabatte auf, Wirte behalten sie für sich.
Mit der Senkung der Mehrwertsteuer werben Autohändler, Möbelhäuser und Elektronikmärkte schon seit Wochen, die Discounter Lidl und Aldi sind ebenfalls vorgesprescht – am Mittwoch wird die Mehrwertsteuer nun tatsächlich gesenkt. Doch die einzelnen Branchen gehen sehr unterschiedlich damit um: Der normale Einzelhandel wird die Steuersenkung weitgehend weiterreichen, wobei das etwa bei Textilhändlern oder in den Möbelhäusern in der sommerlichen Rabattschlacht fast untergeht. Supermärkte, Discounter und Drogerien legen teils noch ein paar Cent drauf, die Gastronomie dagegen wird die Steuersenkung weitgehend für sich behalten. Der Branchencheck:
Im Lebensmittelhandel hat der Discounter Lidl die Steuersenkung um zehn Tage vorgezogen. Konkurrent Aldi ist vergangenen Samstag nachgezogen, nimmt die Herausforderung des härtesten Discount-Konkurrenten an und die Steuersenkung zum Anlass für die nächste Preisrunde: Der Marktführer hat alle Lebensmittelpreise um drei Prozent gesenkt – weit mehr als der Steuererlass eigentlich hergibt.
Aldi und Roßmann runden Rabatt auf drei Prozent auf
Aldi verzichtet wie etwa auch die Drogeriekette Roßmann darauf, den Kunden die Preisarithmetik im Dreisatz erklären zu müssen. Die Senkung des allgemeinen Mehrwertsteuersatzes von 19 auf 16 Prozent auf den Nettopreis bedeutet rechnerisch eine Bruttopreissenkung um 2,52 Prozent. Beim ermäßigten Satz, von nun fünf statt sieben Prozent sind es 1,87 Prozent. Obwohl auf die allermeisten Lebensmittel (außer Luxusartikel wie Austern oder Weinbergschnecken) nur der ermäßigte Satz fällig wird, reduzieren Aldi und Roßmann pauschal um drei Prozent. Aldi kostet das nach eigenen Angaben einen dreistelligen Millionenbetrag, das ist dem Discountriesen der Kampf um Marktanteile aber allemal wert.
„Dumm nur, dass der Lebensmittelhandel diesen Konsumimpuls überhaupt nicht benötigt“, sagt Handelsexperte Michael Gerling, Geschäftsführer des Kölner EHI Retail Instituts. Die Supermärkte und Discounter verzeichneten in den Corona-Monaten April und Mai deutlich höhere Umsätze. Schon bei der Einführung des Euro 2002 hätten die Discounter mehr in die Preise investiert als rechnerisch nötig gewesen wäre und dies kräftig beworben, erinnert sich Gerling. Er erwartet, dass die Vollsortimenter nun mitziehen, um nicht wie damals erneut Marktanteile an die Discounter zu verlieren.
Steuersenkung als Marketing-Instrument
„Der Lebensmittelhandel nutzt die Steuersenkung auch als Marketing-Instrument“, sagt auch Peter Achten, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands NRW. Dabei sei dies ein durchaus „herausforderndes Thema“, weil die Senkung nur temporär, nämlich bis Jahresende gilt, die Kassensysteme und Preisauszeichnungen entsprechend hin und her geändert werden müssten. Für kleine, unabhängige Kaufleute, die nur einen Markt betreiben, falle der Aufwand deutlich mehr ins Gewicht als in Filialen der großen Discounter.
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Von kleinen Händlern außerhalb der Lebensmittelbranche hört der Handelsverband aber häufig, dass sie den Aufwand der Umetikettierung scheuen und die Steuerersparnis für sich behalten wollen. „Ob die Jeans 99,90 Euro kostet oder 97,50, ist dem Kunden buchstäblich Jacke wie Hose“, sagt Achten. Doch der in der Corona-Krise in akute Existenznot geratene Händler könne eine etwas höhere Ertragsspanne gut gebrauchen. „Wenn einzelne Händler die Steuersenkung aus gutem Grund nicht weitergeben, ist das nicht verwerflich“, wirbt Achten um Verständnis. Es komme den Kunden schließlich auch zu Gute, wenn so einige Läden überleben und die Vielfalt im Handel erhalten.
Möbelhandel startet schon Sommerschlussverkauf
Im Möbelhandel und in den Elektronikmärkten wird derzeit ohnehin bereits mit hohen Rabatten um die wochenlang so schmerzlich vermissten Kunden gebuhlt. „Die Nonfood-Händler werben längst mit hohen zweistelligen Rabattaktionen um die Gunst der Kunden. Da ist die Senkung der Umsatzsteuer um zwei bzw. drei Prozentpunkte überflüssig oder nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Handelsexperte Gerling. Tatsächlich haben etwa Möbelketten wie XXXLutz oder Poco bereits den Sommerschlussverkauf ausgerufen.
Im Kampf um die Kunden winken auch die Autohäuser im Grunde permanent mit Rabatten, die weit über die Mehrwertsteuer-Senkung hinaus gehen. „So lag bei den Internetvermittlern im Mai bei den 30 meistverkauften Neuwagen der Durchschnittsrabatt bei 18,9 Prozent“, sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Car-Instituts. VW, Opel und Renault etwa nutzen die Steuersenkung trotzdem für ihr Verkaufsmarketing, versprechen freilich, dem Kunden die Mehrwertsteuer von 16 Prozent für Neuwagen mit Verbrenner-Motoren ganz zu „schenken“. Dudenhöffer glaubt, dass wegen der schlechten Verkaufszahlen die Rabatte noch steigen werden.
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann sagte unlängst im Interview mit unserer Zeitung zur Mehrwertsteuer-Senkung: „Die Autohersteller werden damit vor allem SUV und großräumige Fahrzeuge bewerben, weil sie die größten Gewinnmargen bringen.“ Die Mehrwertsteuersenkung fördere „vor allem Autos der höheren Preisklasse.“
Eher nicht beim Kunden ankommen wird die Steuersenkung im Gastgewerbe. Eine Umfrage des Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) NRW ergab unlängst: Acht von zehn Wirten und Hoteliers (81,4 Prozent) wollen die Steuersenkung zur Stärkung der eigenen Erträge nutzen, um überleben zu können. Jeder siebte gab an, die Entlastung sowohl für sich selbst als auch für die Gäste nutzen zu wollen, also die Preise leicht zu senken. Nur zwei Prozent der Gastronomen wollen den vollen Spielraum für Preissenkungen nutzen, um mehr Gäste anzulocken.
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Das spiegelt die aktuelle Lage der Wirte wider: Trotz der seit Mai wieder erlaubten Öffnung unter Corona-Auflagen verdienen die allermeisten (88 Prozent) damit noch kein Geld, wie eine Abfrage Mitte Juni ergab. Zwei Drittel der Gastronomen gaben an, nach wie vor mehr höchsten die Hälfte des normalen Umsatzes zu machen. Die Hygieneauflagen und die fortlaufenden Mieten und Pachten halten gleichzeitig die Kosten hoch. „Ein Teil der Steuersenkung wird sicher auf die Preise umgelegt“, sagt Dehoga-Geschäftsführer Knut Wehner. Das sei für die Gäste nur nicht immer zu erkennen, weil die Preisfindung eine Mischkalkulation sei. Und gerade die Preise für frische Lebensmittel wie Obst und Gemüse seien in der Corona-Krise deutlich angestiegen.