Gelsenkirchen. Viele verzichten auf Bestellungen bei Online-Giganten, um den Handel vor Ort zu unterstützen. Andere haben Shoppen im Internet schätzen gelernt.
Corona ein Glücksfall? Nein, dieser Gedanke käme den Gelsenkirchener Einzelhändlern nun wirklich nicht in den Sinn. Aber es gibt sie, die Kaufleute, die von der Pandemie profitieren und tatsächlich mehr Umsatz machen als vor dem Lockdown - eben weil sich das Einkaufsverhalten der Kunden zum Teil verändert hat. Freilich gilt das nicht für jeden Geschäftsinhaber und in jeder Branche.
Es sind offenbar einige inhabergeführten Läden mit jahrelang gepflegter Stammkundschaft, die bessere Umsätze machen als zuvor. Beispiel Vorort Horst: Werbegemeinschafts-Chef Bernd Strickling, Mit-Inhaber des gleichnamigen Textilhauses, berichtet von "guten und gezielten Einkäufen" einer nach der Pause geradezu "ausgehungerten" Kundschaft. "Offenbar wissen die Leute den stationären Einzelhandel mehr zu schätzen, wo man auch mal Zeit für einen Schnack hat. Hoffen wir mal, dass das so bleibt."
Gelsenkirchener Buchhandlung verzeichnet Umsatzplus von 20 Prozent
Dirk Niewöhner, Inhaber der Buchhandlung Kottmann in Buer, kann das nur bestätigen: "Wir verzeichnen etwa 20 Prozent mehr Umsatz als im Vorjahresmonat. Das macht die Einbußen vom Lockdown zwar nicht wett, zeigt aber, dass es sich gelohnt hat, während der Zeit der Geschäftsschließung in einen Bringservice zu investieren. Das honorieren die Leute, zumal die Stammkunden. Im Ergebnis wird unser Onlineshop rege frequentiert."
Von einer generellen Hinwendung zum stationären Einzelhandel mag Ole Siemienski, Chef der Werbegemeinschaft Buer, allerdings nicht sprechen. "Besonders die Textilhändler leiden, weil sie in der Zwischensaison nichts verkaufen konnten. Die Waren liegen jetzt in den Läden, so dass etliche mit satten Rabatten locken."
Einige Kunden sind bei Online-Handel auf den Geschmack gekommen
In Sachen Internet-Bestellungen seien viele Kunden im Lockdown erstmals auf den Geschmack gekommen. "Da besteht die Gefahr, dass sie endgültig für uns weg sind." Im Ergebnis fehle den Kaufleuten das Geld vor Ort. "An größere Investitionen traut sich kaum jemand ran. Das Bummeln hat sich ohnehin erledigt. Wer hat schon Spaß am Shoppen mit Maske?" Die Verweildauer in den Läden sei erheblich gesunken, sagen Siemienski, Niewöhner und Strickling unisono.
Davon berichtet auch Angela Bartelt, Citymanagerin in Gelsenkirchen. "Die Frequenz auf der Bahnhofstraße steigt nur langsam wieder an." Die Maske sei vielen eben lästig. Während zahlreiche Textilhändler mit sinkender Nachfrage zu kämpfen hätten, würden Parfümerie-Produkte und Schuhe vermehrt gekauft.
IHK sieht Änderung im Konsumverhalten
"Vor dem neu eröffneten Snipes-Laden haben sich gar lange Schlangen gebildet. Gerade junge Leute haben offenbar Nachholbedarf." So erklärt sie sich auch den guten Zulauf bei Olymp und Hades sowie Tacco. Und dass Deichmann seine Filiale nach einer Grundsanierung wiedereröffnet habe, sei als echtes Standortbekenntnis in der Coronakrise nicht hoch genug einzuschätzen.
Dass sich etwas am Konsumverhalten geändert hat, ist auch für Dr. Jochen Grütters, Leiter des Standorts Emscher-Lippe der IHK Nord Westfalen in Gelsenkirchen, unstrittig. Allein: "Die Lage ist sehr heterogen." Um einen eindeutigen Trend in Gelsenkirchen auszumachen, sei es noch zu früh.
Bringdienste werden stärker nachgefragt
Da gebe es einerseits die Kunden, die verstärkt den stationären Handel nutzten, um die Kaufleute vor Ort zu unterstützen und einer Verödung der Innenstädte durch Leerstände entgegenzuwirken. "Andererseits ordern mehr Leute online Waren als vorher, ob nun aus Bequemlichkeit und Zeitersparnis, oder weil sie aus Sorge vor einer Coronavirus-Infektion Menschenansammlungen meiden. Man muss sehen, wie sich das weiterentwickelt."
Was neu sei bzw. stärker genutzt werde, seien Bringdienste stationärer Einzelhändler - nicht nur bei Lebensmitteln. "Daran erkennt man, wie wichtig es für Kaufleute vor Ort ist, einen Online-Shop als zweites Standbein vorzuhalten."
Um den Handel in den Citys wieder anzukurbeln, sei es wichtig, ein Einkaufserlebnis zu schaffen. Und dazu leiste die Gastronomie einen wichtigen Beitrag. "Ganz wesentlich sind nicht zuletzt Frequenzbringer wie Galeria Karstadt Kaufhof an der Bahnhofstraße", freut sich Grütters, dass die Filiale eben nicht auf der Schließungsliste steht.
Lust auf ausgedehnte Shopping-Touren hat kaum jemand
Und die Kunden selbst? "Die" eine Gruppe gibt's nicht, wie sich bei einer nicht repräsentativen Befragung auf dem Wochenmarkt in Buer herausstellte. Da ist etwa die 54-Jährige, die ihr Einkaufverhalten durch die Coronakrise bewusst geändert hat. "Ich kaufe bis auf wenige Ausnahmen nur noch alles auf dem Wochenmarkt in Buer ein. Dass das teurer ist, ist mir egal, ich gehe ja nicht mehr Kleidung shoppen", erzählt die Selbstständige aus Marl.
Den Großeinkauf für Konserven, WC-Papier & Co erledigt sie nur noch alle zwei Wochen. Speziellere Artikel - vom PC-Kabel bis zu Nähutensilien - bestellt sie online. "Das ist meine Reaktion darauf, dass viele Firmen so etwas nicht mehr vorhalten."
Im Lockdown online ein Abo für Babymilchpulver und -windeln abgeschlossen
Auch Janin und Patrick Pliska (32, 35) erledigen ihre Einkäufe durch Corona anders als zuvor: "Wir kaufen so gut wie nichts mehr online. Nachdem wir die vielen Hilferufe stationärer Händler in den sozialen Medien registriert haben, kaufen wir viel mehr auf dem Wochenmarkt, bei einem Bauern in Resse und bei Kaufleuten vor Ort ein. Sogar die Kleidung für unsere kleine Tochter lassen wir uns von einem Händler aus Essen liefern", und eben nicht von einem Online-Giganten.
Auch Marvin Tidili (33), Inhaber des gleichnamigen Fischhandels auf dem Wochenmarkt Buer, bevorzugt nun eher den stationären Handel vor Ort. Ausnahme: "Als im Lockdown Windeln und Babymilchpulver vergriffen waren, haben wir online ein Abo für mehrere Monate abgeschlossen. Und das behalten wir bei."
Besonders ältere Kunden schätzen die Belieferung
Als Händler hat er gemeinsam mit dem Düsseldorfer Obst- und Gemüsehändler Schneiders, Beschicker in Buer, sowie dem Ausliefer-Unternehmen Sterntor in der Zeit des Lockdowns einen Bringdienst auf den Weg gebracht, der immer noch rege genutzt werde. "Gerade ältere Stammkunden schätzen das", hofft er, dass dieser positive Effekt die Pandemie überdauert.
Da sind aber auch Ottilie Mucha (88) oder Barbara Schüten (68), für die sich der Einkauf wenig geändert hat - abgesehen davon, dass sie kaum mehr bummeln gehen. "Ich meide Menschenansammlungen. Das Virus kann jeden treffen", so Ottilie Mucha.