Essen. Krupp-Stiftungschefin Ursula Gather im großen Interview zur Krise von Thyssenkrupp. Die Lage ist ernst. Die Stiftung will rasche Entscheidungen.
Wie ernst ist die Lage bei Thyssenkrupp? Im Interview mit unserer Redaktion steht Krupp-Stiftungschefin Ursula Gather Rede und Antwort. Sieht Gather den Essener Traditionskonzern in seiner Existenz bedroht? Wie soll es in der Stahlsparte weitergehen? Welchen Einfluss hat Gather im Thyssenkrupp-Aufsichtsrat? Wie schaut sie auf das Bieterverfahren für die Aufzugsparte und eine mögliche Beteiligung der Essener RAG-Stiftung? Welche Rolle spielt NRW-Ministerpräsident Armin Laschet? Mit Blick auf die geplante milliardenschwere Elevator-Transaktion fordert Gather Tempo. Es komme „nun auf Schnelligkeit an“, sagt sie. Und: „Nach der Elevator-Transaktion erwarte ich eine schnelle Entscheidung zum Einsatz der Mittel, auch in der Stahlsparte.“ Hier das Interview im Wortlaut:
Frau Gather, Thyssenkrupp schreibt Verlust, hat immense Schulden, kaum Eigenkapital – wie groß ist Ihre Sorge um die Firma?
Ursula Gather: Die Zahlen sprechen ja für sich, deshalb kommt es nun auf Schnelligkeit an. Und so handelt der Vorstand auch. Frau Merz informiert den Aufsichtsrat engmaschig über die Schritte im Elevator-Prozess. Ich bin sehr zuversichtlich, dass er die richtigen Entscheidungen treffen und das Unternehmen wieder arbeitsplatzsichernd und dividendenfähig aufstellen wird.
Wenn Sie sagen, es komme nun auf Schnelligkeit an: Haben die turbulenten und verlustreichen Jahre Thyssenkrupp nah an den Abgrund gebracht?
Gather: Natürlich stünde das Unternehmen heute womöglich anders da, wenn manche Entscheidungen anders gefallen wären. Nachher ist man immer schlauer. Eine Abrechnung mit der Vergangenheit steht jetzt aber nicht an. Der Vorstand hat jetzt als Aufgabe die wertmaximierende Verselbstständigung der Aufzugsparte Elevator vor sich, um mit den Einnahmen die anderen Geschäftsbereiche stärken zu können. Um das aber einmal klar zu sagen: Als Aktionärin führt die Stiftung das Unternehmen nicht. Die Stiftung ist kein Nebenvorstand.
Auch interessant
Immerhin sind die Aufzüge der einzige verlässliche Gewinnbringer. Elevator zu veräußern, klingt nach einem Notverkauf. Sie haben noch Ende Oktober gesagt, es wäre gut für den Konzern, auch bei einer Veräußerung möglichst viele Anteile zu halten.
Gather: Natürlich wäre eine weitere Beteiligung an Elevator für das Unternehmen ertragreich. Es sind sehr viele Aspekte bei der anstehenden Entscheidung zu berücksichtigen, für die ein Mehrheits- oder ein Komplettverkauf Optionen sind. Aber noch einmal: Diese Entscheidung liegt beim Vorstand. Wir müssen endlich mit dem Mythos aufräumen, die Stiftung bestimme die Strategie von Thyssenkrupp. Sie ist ein großer Minderheitsaktionär ohne Sperrminorität, der sich als Ankerinvestor verantwortungsbewusst einbringt. Nicht mehr, nicht weniger.
Aber Sie sind immerhin größter Einzelaktionär und haben zwei Sitze im Aufsichtsrat. Gemeinsam mit der IG Metall haben Sie sogar eine Mehrheit im Aufsichtsrat.
Gather: Herr Steinebach und ich sind die von der Stiftung entsandten Aufsichtsratsmitglieder. Wir nehmen
Die Nachfolgerin von Berthold Beitz
Die Mathematikerin Ursula Gather (66) trat 2013 als Kuratoriumsvorsitzende der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung die Nachfolge des verstorbenen Berthold Beitz an, dem Kuratorium gehört sie seit 2011 an.
Die gebürtige Mönchengladbacherin ist seit 2008 Rektorin der Technischen Universität Dortmund, wo sie seit 1986 den Lehrstuhl für Mathematische Statistik und industrielle Anwendungen innehatte.
Gather ist seit 2018 Mitglied im Thyssenkrupp-Aufsichtsrat. Seit 2014 gehört sie dem Kontrollgremium des Rückversicherers Munich Re an. Sie ist zudem Beirätin der NRW Bank.
unser Mandat pflichtbewusst und gewissenhaft im Interesse des Unternehmens wahr. Für den Prozess der Elevator-Transaktion hat der Aufsichtsrat dem Vorstand übrigens grünes Licht gegeben. Er wird in Kürze dazu einen Vorschlag vorlegen.
Mit dem Stahl soll nun ein Geschäft wieder Kern des Konzerns sein, das Vorstandschef Hiesinger loswerden wollte. Auch die von seinem Nachfolger Kerkhoff geplante Zweiteilung wurde nicht verwirklicht. Wie erklären Sie dieses Hin und Her?
Gather: Die Entscheidungen waren zu ihrer Zeit jeweils nachvollziehbar, auch der Plan, den Stahl in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Tata einzubringen. Und die Teilung des Konzerns hätte immerhin die Aufzugsparte innerhalb von Thyssenkrupp gehalten. Die Stahlfusion ist letztlich am Veto der Wettbewerbshüter aus Brüssel gescheitert. Und weil die Teilung des Konzerns am Ende wirtschaftlich nicht mehr darstellbar war, hat Herr Kerkhoff sie zurückgenommen. Das waren zum jeweiligen Zeitpunkt also nachvollziehbare Entscheidungen.
Gerade im Stahl gibt es nun aber große Probleme, weil zu wenig in die Werke investiert worden ist.
Gather: Nach der Elevator-Transaktion erwarte ich eine schnelle Entscheidung zum Einsatz der Mittel, auch in der Stahlsparte.
Thyssenkrupp verbrennt Geld, die Ratingagentur Moody’s hat die Aktie aufs „hochspekulativ“ herabgestuft und der finnische Konkurrent Kone nennt sogar eine „Insolvenzgefahr“ als Grund dafür, dass er nicht mehr für die Aufzugsparte biete. Sehen Sie den Konzern in seiner Existenz bedroht?
Gather: Nein. Die Lage ist zwar herausfordernd, aber ich gehe fest davon aus, dass der Vorstand dem
Unternehmen wieder Wasser unter den Kiel verschafft. Das Unternehmen hat zweifellos das Potenzial, wieder wettbewerbsfähig zu werden.
Martina Merz ist Interimschefin und soll wieder in den Aufsichtsrat zurückkehren. Das würde den dritten Wechsel an der Vorstandsspitze binnen zwei Jahren bedeuten. Wäre es nicht besser, Merz auf dem Chefsessel zu lassen?
Gather: Dazu wird der Personalausschuss des Aufsichtsrats, dem ich im Übrigen nicht angehöre, zu gegebener Zeit den richtigen Vorschlag machen.
Es gab in den vergangenen zwei Jahren aber sehr viele Wechsel im Vorstand wie auch im Aufsichtsrat, Russwurm ist nach Lehner, Pellens und Merz der vierte Aufsichtsratschef in diesem Zeitraum. Ist Thyssenkrupp kaum steuerbar?
Gather: Das halte ich für ziemlich übertrieben. Herr Pellens zum Beispiel ist nach 15 Jahren ausgeschieden, ein völlig normaler Vorgang.
Mit welcher Motivation sind Sie selbst Anfang 2018 in den Thyssenkrupp-Aufsichtsrat gegangen?
Gather: Das Kuratorium hatte mich gebeten, das Mandat zu übernehmen. Es ging zu diesem Zeitpunkt unter anderem darum, im Thyssenkrupp-Aufsichtsrat die Frauenquote zu erfüllen.
Bei Ihrem Amtsantritt 2013 haben Sie es aber noch als „eine gute und notwendige Entflechtung“ bezeichnet, dass Mitglieder des Kuratoriums der Krupp-Stiftung nicht mehr im Kontrollgremium des Konzerns sind.
Gather: Die Rahmenbedingungen hatten sich seither erheblich verändert und ich habe die Verantwortung angenommen.
Bei der Hauptversammlung sind auch Sie persönlich angegriffen worden. Bereuen Sie den Wechsel in den Aufsichtsrat?
Gather: Nein, denn die Aufgabe liegt mir am Herzen und ich werde meiner Verantwortung gerecht. Die Angriffe sind daher meines Erachtens haltlos.
Die Essener RAG-Stiftung bietet aktuell für die Thyssenkrupp-Aufzugsparte mit. Schon während seiner Zeit an der RAG-Stiftungsspitze hatte Werner Müller angeboten, sein Haus könnte die Krupp-Stiftung finanziell unterstützen. Halten Sie heute eine Art Bündnis der Stiftungen im Ruhrgebiet für denkbar?
Gather: Die Krupp-Stiftung handelt unabhängig. Für die RAG-Stiftung wäre dies ein ganz normales Finanzinvestment in einem Konsortium. Ich bin mir sicher, dass der Vorstand von Thyssenkrupp alle Gebote nach denselben Kriterien bewerten wird.
Auch interessant
Ministerpräsident Laschet ist in den Kuratorien beider Stiftungen vertreten. Ist es hilfreich, den Ministerpräsidenten an der Seite zu haben?
Gather: Herr Laschet ist persönliches Mitglied in unserem Kuratorium und leistet wie jedes andere Mitglied einen wertvollen Beitrag dazu, dass die Krupp-Stiftung ihren Auftrag erfüllen kann. Als Ministerpräsident ist er in der Rolle des Landesvaters.
Als es Spekulationen zu einer möglichen Sonderdividende nach einem Verkauf der Thyssenkrupp-Aufzugsparte gab, bezog Laschet Position, um das Geld im Unternehmen zu halten. Gut so?
Gather: Forderungen von Aktionären nach einer Sonderausschüttung hat es nicht gegeben. Daher war kein Machtwort notwendig, um „gierige“ Aktionäre daran zu hindern, das Unternehmen zur Ader zu lassen.
Es gab zuletzt mehrere Jahre mit geringen oder gar keinen Dividendenzahlungen. Hat die Stiftung noch genug Geld, um wie in der Vergangenheit gemeinwohlorientierte Projekte zu fördern?
Gather: Wir sind sehr schlank aufgestellt. Die Stiftung hat gerade einmal 18 Beschäftigte. Unsere derzeitige Zukunftsplanung berücksichtigt die Situation des Unternehmens. Wir haben entsprechend vorgesorgt; unsere Förderzusagen für die kommenden Jahre sind ausfinanziert.
Welche Förderprojekte sind das?
Gather: Die Stiftung engagiert sich in der Region, zum Beispiel begleitet sie seit 20 Jahren Schülerinnen und Schüler aus Essen bei ihrer beruflichen Entwicklung mit Betriebspraktika im Ausland. Darüber hinaus fördert sie den wissenschaftlichen Nachwuchs überregional und international und unterstützt Pionierprojekte.
Der Konzern muss auch für den Unterhalt der Villa Hügel, des Hügelparks, des Stiftungsgebäudes und des Krupp-Archivs sorgen. Ist das angesichts knapper Kassen gewährleistet?
Gather: Davon gehen wir aus. Das Unternehmen kommt seinen vertraglichen Verpflichtungen nach.
Stellen Sie sich angesichts der schwierigen Situation des Unternehmens hin und wieder die Frage, wie Ihr Vorgänger Berthold Beitz nun gehandelt hätte?
Gather: In dieser Form frage ich mich das nicht. Berthold Beitz hat seinerseits erzählt, dass er sich gelegentlich die Frage stelle, wie Alfried Krupp entschieden hätte. Mich prägt vor allem ein Ratschlag von Beitz. Er sagte mir: „Bleiben Sie immer unabhängig, machen Sie sich nicht abhängig.“ Das ist ein sehr wichtiger Rat für mich.
Die Stiftung hatte vor einiger Zeit mitgeteilt, dass Ihre Bestellung zur Kuratoriumsvorsitzenden bis Mitte 2022 läuft. Möchten Sie danach weitermachen?
Gather: Das wird das Kuratorium zu gegebener Zeit entscheiden. Ich nehme meine Aufgabe mit Herzblut und Verantwortungsbewusstsein wahr.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Welcher wäre es?
Gather: Natürlich wünsche ich mir vor allem, dass die Elevator-Transaktion schnell gelingt und Thyssenkrupp wieder wettbewerbsfähig wird. Das ist im Interesse aller Beteiligten: Die Arbeitnehmer brauchen Sicherheit und der Kapitalmarkt Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens. Darüber hinaus wünsche ich mir, dass das Unternehmen diesen Weg weiterhin mit Redlichkeit und Empathie beschreitet.