Essen. Die RAG-Stiftung baut beharrlich ihr Beteiligungsgeschäft aus. Auch bei Thyssenkrupp Elevator verfolgt die Essener Stiftung ein klares Ziel.
Schon häufiger ist RAG-Stiftungschef Bernd Tönjes auf Thyssenkrupp angesprochen worden – so auch im Juni 2019, als Tönjes im Stiftungsgebäude auf dem Essener Welterbe-Areal Zollverein seine Jahresbilanz präsentierte. Ob er sich den Kauf von Thyssenkrupp-Aktien vorstellen könne, wird Tönjes gefragt. „Wir prüfen natürlich alle Optionen“, antwortete Tönjes. „Wir haben aber im Moment nicht die Absicht, bei Thyssenkrupp einzusteigen.“
Nun bietet sich ein neues Bild, vielleicht auch, weil mit der Aufzug-Sparte das Tafelsilber von Thyssenkrupp zum Verkauf steht. Ein Bieterwettstreit um das lukrative Geschäft mit mehr als 50.000 Mitarbeitern zeichnet sich ab. Der finnische Thyssenkrupp-Rivale Kone hat reges Interesse signalisiert. Mehrere global agierende Finanzinvestoren wollen mitbieten – und auch die RAG-Stiftung schaltet sich ein. Wie unsere Redaktion aus informierten Kreisen erfuhr, beteiligt sich die Essener Stiftung mit weiteren Investoren an einem Bieterkonsortium, das von den Finanzinvestoren Advent und Cinven geführt wird. Auch für Thyssenkrupp-Insider kommt der Vorstoß der RAG-Stiftung überraschend.
RAG und Thyssenkrupp verbindet lange Vorgeschichte
Die Vorgeschichte indes ist lang: Schon 2013 hat der damalige, mittlerweile verstorbene RAG-Stiftungschef Werner Müller ein Bündnis der RAG-Stiftung mit der Krupp-Stiftung ins Gespräch gebracht. Seinerzeit ging es darum, der Krupp-Stiftung durch ein Darlehen eine Sperrminorität von 25,1 Prozent im Konzern zu ermöglichen. Als die Idee wenige Monate nach dem Tod des Stiftungspatriarchen Berthold Beitz öffentlich thematisiert wurde, reagierte der damalige Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger ablehnend. Die RAG-Stiftung könne ja „unsere Aktien am freien Markt kaufen“, sagte er kühl. Dazu kam es nie.
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Einst gehörte Thyssenkrupp neben Eon, RWE und ArcelorMittal zu den Aktionären des Kohlekonzerns RAG – das Verhältnis war nicht immer frei von Spannungen. Werner Müller sagte einmal, es sei „ein gutes Stück Arbeit“ gewesen, die Anteilseigner von seinen Plänen zum Umbau der RAG und der damit verbundenen Gründung des Nachfolgekonzerns Evonik zu überzeugen. Während Evonik heute hoch profitabel ist und den Mehrheitsaktionär RAG-Stiftung mit auskömmlichen Dividenden versorgt, hat Thyssenkrupp dividendenlose Jahre hinter sich und schreibt abermals rote Zahlen.
„Wir sind ein Stiftungskonzern“
Mit einem Gesamtvermögen von mehr als 18 Milliarden Euro ist die RAG-Stiftung nach eigenen Angaben an rund 20.000 Unternehmen beteiligt. Gestärkt durch Geld aus Aktienverkäufen und Dividenden von Evonik sind Müller und sein Nachfolger Tönjes in den vergangenen Jahren auf Einkaufstour gegangen. „Wir sind ein Stiftungskonzern“, sagt Tönjes. „Das müssen wir auch sein. Wenn wir unser Geld einfach aufs Bankkonto legen würden, bekämen wir keine Zinsen und müssten im schlimmsten Fall noch draufzahlen.“ Nach dem Ende der Zechen in Deutschland ist es Aufgabe der Stiftung, die Ewigkeitskosten wie das Abpumpen von Grubenwasser in den ehemaligen Schachtanlagen zu finanzieren, damit dafür kein Steuergeld benötigt wird.
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Um Geld in die Kasse zu kommen, hat die Stiftung eine Beteiligungsgesellschaft namens RSBG gegründet. Die Tochtergesellschaft investiert eigenen Angaben zufolge insbesondere in Unternehmen, deren Produkte und Dienstleistungen für die globalen Veränderungen in den Bereichen Bevölkerungsentwicklung, Klimawandel und neue Technologien von hoher Bedeutung sind. Die RSBG ist selbst ein Konzern im Konzern und hat vier Sparten, darunter ein Bereich, in dem Geschäfte rund um Infrastruktur gebündelt sind. Hier ließe sich Thyssenkrupp Elevator einsortieren.
Laschet ist Mitglied in Kuratorien von RAG- und Krupp-Stiftung
Im Umfeld der RAG-Stiftung wird betont, auch bei einer möglichen Beteiligung am Aufzuggeschäft von Thyssenkrupp gehe es darum, Geld zu verdienen. Eine Hilfsaktion sei nicht beabsichtigt. Mit einem Investment werden allerdings auch Mitsprachemöglichkeiten erwartet.
Das Kuratorium der RAG-Stiftung ist unter anderem mit hochrangigen Politikern besetzt. Mitglieder sind zum Beispiel Finanzminister Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Peter Altmaier und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Laschet hat auch einen Sitz im Kuratorium der Krupp-Stiftung, die größte Einzelaktionärin von Thyssenkrupp ist. Im Zusammenhang mit einem möglichen Verkauf der Aufzug-Sparte forderte Laschet: „Erlöse eines Börsengangs oder aus möglichen Veräußerungen müssen in die Zukunftsfähigkeit von Thyssenkrupp insgesamt investiert werden, damit der überwiegende Teil der Arbeitsplätze gesichert werden kann.“
„Für die Bieter-Rallye ist das gut“
Eine wichtige Rolle spielt die IG Metall. Wenn Unternehmen von Thyssenkrupp verkauft oder verselbstständigt werden, kann die Gewerkschaft eine „Fair-Owner-Vereinbarung“ („fairer Eigentümer“) verlangen. Investoren wie der Großaktionär Cevian pochen indes auf einen möglichst hohen Preis für Elevator. „Für die Bieter-Rallye ist das gut“, sagt ein Aufsichtsratsmitglied mit Blick auf den Vorstoß der RAG-Stiftung. Eine Bewertung der Angebote sei aber erst möglich, wenn alles auf dem Tisch liege. Den Bietern Advent und Cinven jedenfalls könnte der gute Ruf der RAG-Stiftung helfen.
Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz hat angekündigt, vor Ende März zu entscheiden. „Im Moment habe ich alle Bieter gleich gern“, sagte Merz vor wenigen Wochen. Der Satz habe nach wie vor Bestand, wird in ihrem Umfeld betont.