Essen. Doch keine Aufspaltung bei Thyssenkrupp. Stattdessen kommt eine harte Sanierung. Der Konzern will 6000 Jobs abbauen, davon 4000 in Deutschland.
Der Essener Industriekonzern Thyssenkrupp sagt seine geplante Aufspaltung in zwei Teile ab. Auch die geplante Stahl-Fusion mit Tata ist vom Tisch, wie das Unternehmen am Freitagmittag mitteilte. Stattdessen steht Thyssenkrupp eine harte Sanierung bevor. Konzernchef Guido Kerkhoff kündigte am Freitag an, dass nun 6000 Stellen gestrichen werden sollen – 4000 davon in Deutschland. Für die Aufzugsparte plant Kerkhoff einen Börsengang.
„Wir bauen ein völlig neues Thyssenkrupp“, sagte der Vorstandschef in einer Telefonkonferenz. „Wir werden vieles verändern. Es wird kein leichter Weg“, fügte er hinzu. Einsparungen plant der Vorstand insbesondere in der Essener Konzernzentrale. Hier sollen die Kosten innerhalb der nächsten zwei Jahre von derzeit 380 Millionen Euro auf unter 200 Millionen Euro sinken.
Betriebsbedingte Kündigungen nicht ausgeschlossen
Personalvorstand Oliver Burkhard sagte, er könne betriebsbedingte Kündigungen nicht ausschließen. Er strebt möglichst rasche Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern an. 2000 der 6000 Arbeitsplätze, die wegfallen sollen, befinden sich in der Stahlsparte. Stellenabbau in dieser Größenordnung war bereits im Zuge der Stahlfusion verkündet worden.
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Standort-Garantien, die im Zusammenhang mit dem Tata-Deal unter anderem für das Bochumer Werk sowie Duisburg-Hüttenheim vereinbart worden sind, gelten einstweilen nicht mehr. Burkhard sagte, er strebe eine neue Grundlagenvereinbarung mit den Arbeitnehmervertretern an.
Massive Kritik an den Stellenabbauplänen kam von der IG Metall. „Der angekündigte Abbau von 6000 Stellen ohne Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen ist der Hammer“, sagte Markus Grolms, der die Gewerkschaft als stellvertretender Aufsichtsratschef im Kontrollgremium des Konzerns vertritt. „Wir wissen, dass es bei Thyssenkrupp nicht so weitergehen kann wie bisher. Wir sind zu Veränderungen bereit. Aber ein personeller Kahlschlag ist mit uns nicht zu machen. Wir werden um jeden Arbeitsplatz kämpfen.“
Krupp-Stiftung will „die neuen Vorschläge bewerten“
Vorstandschef Kerkhoff schraubt zugleich die Gewinnerwartungen für das laufende Geschäftsjahr nach unten. Er erwartet sogar nunmehr einen Fehlbetrag in der Bilanz. Belastend werde sich auch eine zu erwartende Strafe durch das Bundeskartellamt im Zusammenhang mit einem Verfahren aus dem Geschäft mit Grobblechen auswirken.
Die Krupp-Stiftung erklärte, sie werde „die neuen Vorschläge bewerten“. Ziel der Stiftung sei, „dass das Unternehmen in allen Geschäftsfeldern wettbewerbsfähig aufgestellt ist, mit zukunftssicheren Arbeitsplätzen und einer nachhaltigen Dividendenfähigkeit“. Die Stiftung stehe „nach wie vor an der Seite des Unternehmens und seiner Mitarbeiter“.
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Der Thyssenkrupp-Großaktionär Cevian forderte tiefgreifende Veränderungen im Unternehmen. „Es darf keine historischen oder politischen Tabus mehr geben, wenn Thyssenkrupp die langjährige Underperformance ernsthaft angehen und die Geschäfte zurück auf Wachstumskurs bringen will“, sagte Cevian-Gründungspartner Lars Förberg. „Es ist klar, dass Thyssenkrupp mit seiner bisherigen Strategie gescheitert ist.“
NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) sprach von einem „überraschenden Aus für die Stahlfusion“. Die Landesregierung werde in den kommenden Wochen und Monaten besonders darauf achten, dass die Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Standorte in NRW „gewahrt werden und neue Wege zur künftigen Stärkung der Kerngeschäftsbereiche“ entwickelt werden. „Hier stehen wir im engen Kontakt mit Vorstand, Gewerkschaften und Betriebsrat“, sagte Pinkwart.
Plan für Konzernteilung wird beerdigt
Am Vormittag hatte Thyssenkrupp in einer Mitteilung verkündet: „Nach einem heutigen Gespräch mit der Wettbewerbskommission gehen Thyssenkrupp und Tata Steel davon aus, dass das geplante Joint Venture ihrer europäischen Stahlaktivitäten aufgrund der weiter fortbestehenden Bedenken der Kommission nicht zustande kommen wird.“
„Weitere Zusagen oder Nachbesserungen würden aus Sicht von Thyssenkrupp und Tata Steel die angestrebten Synergieeffekte des Zusammenschlusses in einem Umfang beeinträchtigen, dass die wirtschaftliche Logik des Joint Ventures nicht mehr gegeben wäre“, erklärte das Unternehmen. Angesichts der neuen Entwicklung beim Stahl habe der Thyssenkrupp-Vorstand „die strategischen Optionen für das Unternehmen neu bewertet und wird dem Aufsichtsrat vorschlagen, die geplante Teilung in zwei eigenständige, unabhängige Unternehmen abzusagen“.
Stattdessen plant Konzernchef Guido Kerkhoff nun eine Holding-Struktur mit der Möglichkeit, die Aufzugssparte abzuspalten oder an die Börse zu bringen.
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Der Essener Traditionskonzern war in den vergangenen Tagen an der Börse massiv unter Druck geraten. Am Donnerstag fiel die Thyssenkrupp-Aktie auf den tiefsten Stand seit 15 Jahren. „Der Aktienkursverfall ist besorgniserregend“, hatte Thomas Hechtfischer von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) gesagt. Der Tiefpunkt war zwischenzeitlich mit 11,17 Euro erreicht. Über ein Jahr betrachtet summierte sich das Kursminus der Thyssenkrupp-Aktie auf rund 50 Prozent.
Aktie von Thyssenkrupp springt in die Höhe
Nach der Ankündigung zum Neustart des Unternehmen sprang die Thyssenkrupp-Aktie am Freitag zwischenzeitlich um rund 20 Prozent in die Höhe.
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Die britische „Financial Times“ hatte bereits am vergangenen Wochenende unter Berufung auf Insider berichtet, eine Untersagung der Pläne zur Stahlfusion durch die EU-Wettbewerbskontrolleure werde wahrscheinlicher, es sei denn, Thyssenkrupp und Tata würden mehr Zugeständnisse machen.
Thyssenkrupp-Chef Guido Kerkhoff hatte unlängst die Bedeutung eines möglichen Scheiterns der Stahlfusion relativiert. „Bringt es uns um, wenn es nicht stattfindet? Nein“, sagte er.
Aktionäre mussten Verwässerung ihrer Anteile fürchten
Die Pläne für die Zweiteilung des Konzerns sahen vor, dass zwei selbstständige Unternehmen entstehen sollten: Thyssenkrupp Materials (TKM) und Thyssenkrupp Industrials (TKI). Geplant war, dass der Konzern TKM vorübergehend an TKI beteiligt werden sollte. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hatte vermutet, ohne die Stahlfusion ginge TKM bilanziell deutlich geschwächt in die historische Firmenteilung. Um dies aufzufangen, müsste die Beteiligung von TKM an TKI höher ausfallen als ohnehin geplant. Bislang war von einer sogenannten Rückbeteiligung in Höhe von bis zu 30 Prozent die Rede. Schon damit würden die Anteile der Thyssenkrupp-Aktionäre am künftigen Industrials-Konzern mit seiner lukrativen Aufzugsparte deutlich verwässert.
Die FAZ berichtete zudem, auch die neue Aufsichtsratschefin Martina Merz sei laut Insidern noch nicht von den Plänen überzeugt. Bei einem Treffen des Aufsichtsrats am 21. Mai werde es wohl „noch mal eine Grundsatzdebatte geben“, hieß es.
Hohe Kosten für Aufteilung
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„Bei der Aufspaltung ist nicht klar, was sie bringen soll“, sagte auch Thomas Hechtfischer von der DSW. „Sie kostet viel, führt aber nicht automatisch zu besseren operativen Geschäften.“ Schätzungsweise fast eine Milliarde Euro hätte die Konzernteilung angesichts von Aufwendungen für Steuern, Berater und Anwälte gekostet. Andererseits wollte Thyssenkrupp im Zuge des Neustarts stille Reserven heben.
Am kommenden Dienstag (14. Mai) legt Konzernchef Kerkhoff die Zahlen zum ersten Halbjahr des Geschäftsjahres 2018/19 vor.
Investoren sahen Spaltungsplan kritisch
Investoren haben die Spaltungspläne von Thyssenkrupp ebenfalls kritisch gesehen. „Der Aktienkurs zeigt deutlich, dass die Anleger dem eingeschlagenen Weg nicht vertrauen“, urteilte Ingo Speich von der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka. In der Liste der Dax-30-Unternehmen ist Thyssenkrupp derzeit das Unternehmen mit dem geringsten Börsenwert. „Eine Spaltung sehen wir eher kritisch“, sagte Speich. „Die Nachteile würden überwiegen. Die Doppelstrukturen werden nicht zu einer deutlichen Kostenentlastung führen.“
Auch Analysten der Bank of America legten dem Thyssenkrupp-Management bereits nahe, einen „Plan B“ zu entwickeln, um den Wert der Aufzugsparte zu heben.