Essen. . Der designierte Evonik-Chef Christian Kullmann hat große Pläne für den Essener Chemiekonzern.
Als Werner Müller bei Christian Kullmann anrief, war es ein lauer, warmer Sommertag im Jahr 2003. Kullmann war gerade mit seinem Dienstwagen der Dresdner Bank irgendwo im Großraum Frankfurt unterwegs, da klingelte das Handy. „Hier Müller aus Essen.“ Ob Kullmann, wenn er zufällig im Ruhrgebiet sei, bei ihm vorbeischauen möge, fragte Müller. Dann könne man mal eine Tasse Kaffee trinken und sich kennenlernen. Falls es passe, solle Kullmann doch gleich übermorgen um 14 Uhr vorbeikommen. Es folgte tatsächlich ein mehrstündiges Gespräch in Essen – und der Anfang war gemacht. So erinnert sich Christian Kullmann an eine ziemlich wichtige Entscheidung in seinem Berufsleben.
Müller war zu diesem Zeitpunkt Chef des Kohlekonzerns RAG, aus dem das heutige Chemieunternehmen Evonik hervorgegangen ist. „Ich wollte zeigen, dass ich in einem großen Konzern ein guter Stabschef sein könnte“, erzählt Kullmann. Es ist mehr daraus geworden: Schon in wenigen Wochen – unmittelbar nach der Hauptversammlung am 23. Mai – soll Kullmann die Führung als Evonik-Chef übernehmen. Der Präsidialausschuss des Aufsichtsrats hat bereits eine entsprechende Empfehlung abgegeben, am heutigen Mittwoch soll das Kontrollgremium offiziell entscheiden. Der frühere Wirtschaftsminister Müller ist nun Aufsichtsratsvorsitzender.
Ziel ist Spitzenplatz in der Champions-League
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Schon seit einiger Zeit gilt Kullmann als Kronprinz im Konzern. Stufe für Stufe war der gebürtige Gelsenkirchener in der Evonik-Hierarchie aufgestiegen – Kommunikationschef, Generalbevollmächtigter, Vorstand. Seit Mai vergangenen Jahres ist der 47-Jährige stellvertretender Vorstandsvorsitzender. Im September feiert Evonik das zehnjährige Bestehen des Unternehmens. Dann wird Kullmann aller Voraussicht nach schon einige Monate im Amt sein.
Für den Essener Chemiekonzern, in dem Traditionsfirmen wie Degussa, Goldschmidt und Hüls aufgegangen sind, hat Kullmann ehrgeizige Pläne. „Wir werden aus Evonik den besten Spezialchemiekonzern der Welt machen“, sagt er. „In der Welttabelle der Spezialchemie wollen wir auf einen Spitzenplatz in der Champions-League.“ Als Strategievorstand war Kullmann bereits maßgeblich für die unlängst verkündeten milliardenschweren Firmenübernahmen von Evonik in den USA verantwortlich.
„Den Dax nicht im Wald suchen“
Knapp 70 Prozent der Evonik-Anteile liegen derzeit bei der Essener RAG-Stiftung, die von Werner Müller geführt wird. „Ich verhehle nicht, dass der Evonik-Kurs zur Zeit deutlich steigerungsfähig ist“, hatte Müller Ende vergangenen Jahres betont. Mit rund 30 Euro ist die Evonik-Aktie weit entfernt vom Spitzenwert 37 Euro aus dem Sommer 2015. In seiner Rolle als Konzernchef wird Kullmann wohl auf eine konsequente Wachstumsstrategie setzen, auch um die Fantasie von Investoren zu beflügeln.
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Derzeit befindet sich Evonik im MDax – also eine Liga unterhalb des wichtigsten deutschen Börsensegments. Mit rund 14 Milliarden Euro wird der Chemiekonzern allerdings höher bewertet als Dax-Unternehmen wie Thyssen-Krupp mit 13,3 Milliarden Euro oder RWE mit 8,1 Milliarden Euro. Voraussetzung für einen Aufstieg von Evonik in den Dax wäre eine breitere Streuung der Aktien. Dafür müsste die RAG-Stiftung Anteile verkaufen. Kullmann setzt offenbar auf die stabile Eigentümerstruktur. „Ich will keine Mitarbeiter, die den Dax im Wald suchen“, sagt er. „Aber eine Dax-Notierung ist kein Selbstzweck.“
„Ich renne nicht mit der Trillerpfeife durchs Haus“
Den Beschäftigten verspricht Kullmann Verlässlichkeit. Die führenden Arbeitnehmervertreter kennen den künftigen Konzernchef schon seit Jahren. „Auf sein Wort kann man sich verlassen“, lässt sich Evonik-Gesamtbetriebsratschef Ralf Hermann zitieren.
Kullmann selbst bezeichnet seinen Führungsstil als zeitintensiv. „Ich renne nicht mit der Trillerpfeife durchs Haus“, sagt er. „Führe, wie du geführt werden willst. Widerspruch ist die erste Regel. Nicht predigen, sondern vorleben.“ Er sei übrigens niemand, der nach Statussymbolen lechzt. „Im Dienstwagen muss ich auch nicht hinten rechts sitzen“, erzählt Kullmann. „Ich sitze immer vorn beim Fahrer. Der ist Schalke-Fan, da gibt es montags immer viel zu diskutieren.“ Evonik ist am Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund beteiligt und Trikotsponsor. Neben Werner Müller sitzt auch Kullmann im Aufsichtsrat der Borussen.
Man mag dies auch als Indiz dafür sehen, dass Kullmann durchaus bereits ist, mit bestimmten Traditionen zu brechen. Schließlich gehört ein gewisser Heinrich Kullmann, der Bruder seines Großvaters, zu den Mitbegründern des FC Schalke 04.