Essen. . RAG-Stiftungschef Werner Müller im Interview: Er will an den Aktien des Chemiekonzerns Evonik festhalten.
Als Chef der RAG-Stiftung ist Werner Müller auch beim Chemiekonzern Evonik ein einflussreicher Mann. Die Stiftung ist Mehrheitsaktionär – und Müller Evonik-Aufsichtsratschef. Wie er die Lage des Konzerns sieht, sagt Müller im Gespräch mit Ulf Meinke.
Herr Müller, Sie sind im Frühjahr 70 geworden. Andere Menschen sind in diesem Alter längst im Ruhestand. Warum wollen Sie bis Ende 2022 bei der RAG-Stiftung weitermachen?
Müller: Weil mir die Arbeit Spaß macht. Die RAG-Stiftung ist ja sozusagen auch mein Kind. Das Kind ist inzwischen halbstark, aber noch nicht erwachsen. Daher möchte ich es noch einige Zeit begleiten.
Was meinen Sie mit halbstark?
Müller: Es zeichnet sich deutlich ab, dass der vordringliche Stiftungszweck, die Lasten des Steinkohlenbergbaus dauerhaft ohne öffentliche Hilfen bezahlen zu können, erreicht wird. Dadurch, dass ich nun für weitere sechs Jahre an die Stiftung gebunden bin, erlebe ich das Jahr 2019 mit, in dem zum ersten Mal die Kosten des geschlossenen Bergbaus anfallen – jährlich rund 220 Millionen Euro. Gleichzeitig hoffe ich, dass wir 2019 und in den Folgejahren rund 400 Millionen Euro einnehmen. Ich bin also zuversichtlich, dass das Stiftungsmodell funktioniert.
Viel hängt vom Essener Chemiekonzern Evonik ab. Der Anteil von knapp 70 Prozent ist die wichtigste Beteiligung der Stiftung. Aber bei Umsatz und Ergebnis gibt Evonik nach. An der Börse hat der Konzern an Wert verloren.
Müller: Ich verhehle nicht, dass der Evonik-Kurs zur Zeit deutlich steigerungsfähig ist. Gleichwohl ist Evonik mit Blick auf die Dividendenstärke ein stabiler Baustein in unserem Portfolio.
Sie sind Aufsichtsratschef von Evonik. Schadet Evonik, dass der Konzern bei Investoren den Ruf eines Staatsunternehmens hat?
Müller: Ich höre immer wieder, dass Evonik als Staatskonzern gesehen wird, was für mich einigermaßen unverständlich ist. Mit Sicherheit müssen wir das auch gegenüber internationalen Investoren noch deutlicher zurechtrücken. Die Stiftung als solche ist schon kein Staatsunternehmen. Und ich fühle mich keineswegs als Staatsangestellter. Ich habe Evonik aufgebaut. Und das alles ziemlich staatsfrei.
Mit ihrem 70-Prozent-Anteil hat die Stiftung einen gewaltigen Einfluss bei Evonik. Können Sie, wie es einst Alfried Krupp seinem Bevollmächtigten Berthold Beitz mit auf den Weg gegeben hat, „handeln wie ein Eigentümer“?
Müller: Nein. Neben mir sitzen noch 19 Persönlichkeiten im Aufsichtsrat. Das sind sehr eigenständige Leute. Zuletzt hat der Aufsichtsrat beschlossen, sich noch einmal zu verstärken. Er schlägt Linde-Chef Professor Aldo Belloni der Hauptversammlung zur Wahl vor. Nebenbei bemerkt: Auch ich als Vorsitzender habe nur eine Stimme.
Da wir gerade beim Thema Personalien sind. Es gibt Spekulationen, Vize-Vorstandschef Christian Kullmann soll Nachfolger von Klaus Engel an der Spitze von Evonik werden. Wäre Kullmann geeignet?
Müller: Das ist ein Thema, das ich erst einmal mit Herrn Engel und mit dem hierfür zuständigen Aufsichtsrat erörtern würde.
In der Satzung der RAG-Stiftung steht das Ziel, den Anteil an Evonik auf 25,1 Prozent zu reduzieren. Aber Sie halten sich zurück. Wollen Sie den Anteil auf ewig halten?
Müller: Die 25,1 Prozent sollten schon vor Ablauf der Ewigkeit erreicht werden. Die Satzung sagt allerdings nicht, wann die 25,1 Prozent erreicht werden sollen, was auch logisch ist, denn die Satzung regelt ja Ewigkeitsaufgaben.
Konkreter geht es nicht?
Müller: Wir beabsichtigen keine Anteilsverkäufe. Das hat Gründe. Evonik ist ein renditestarkes Unternehmen mit einer sicheren Dividende. Allein in diesem Jahr haben wir rund 365 Millionen Euro erhalten.
Es kann also gut sein, dass die Stiftung auch Ende 2022 immer noch 70 Prozent an Evonik hält?
Müller: Hier würde alles, was ich dazu sage, zu grundlosen Spekulationen führen. Fakt ist: Für den Fall, die Stiftung würde Evonik-Aktien abgeben, wäre die vergleichbar gute Wiederanlage des Kapitals ein sehr schwieriges Unterfangen.
Aber es ist riskant, zu abhängig von einem Konzern zu sein. Wie steht es um die Beteiligungen an weiteren mittleren und größeren Unternehmen?
Müller: Wir investieren durchaus kräftig in sehr vielen Bereichen außerhalb der Chemie. Da sind weitere Zukäufe geplant. Ich rechne damit, dass wir in 2018 mit den Mehrheitsbeteiligungen über eine Milliarde Euro Umsatz machen. Wir werden versuchen, diesen Wert bis 2021 zu verdoppeln. Unter dem Strich – Evonik eingerechnet – haben wir uns bemüht, auch in diesem Jahr alles in allem eine Rendite von vier Prozent zu erreichen, was angesichts des Kapitalmarktumfelds schwieriger wird.
Bleibt es bei dem großen Anteilsbesitz der Stiftung, käme Evonik allerdings nicht in den Deutschen Aktienindex Dax. Denn dafür wäre mehr Streubesitz erforderlich.
Müller: Sicher wäre es schön, wenn Evonik eines Tages auch im Dax sein würde. Ich hatte das früher auch etwas dynamischer gesehen. Aber eine Dax-Aufnahme ist ja kein Selbstzweck.
Noch eine persönliche Frage: Ist Berthold Beitz für Sie ein Vorbild, der mit fast 100 Jahren an der Spitze einer Stiftung stand?
Müller: Mit allem Respekt vor der sehr langen Lebensleistung von Herrn Beitz: Das ist nicht mein Ziel. Außerdem weiß ich nicht, ob ich mit dieser Gesundheit beglückt bin, die er ja offensichtlich gehabt haben muss.