Mülheim/Essen. . Der Chefsanierer der Awo Mülheim glaubt, dass weitere Wohlfahrtsverbände Insolvenz in Eigenregie durchlaufen. Sie hätten ähnliche Finanzprobleme.
Seit fünf Jahren bietet der Gesetzgeber Unternehmen die Chance, sich über das Instrument „Insolvenz in Eigenverwaltung“ selbst zu sanieren. Als einer der ersten Wohlfahrtsverbände bundesweit geht die Awo in Mülheim diesen Weg. Experten rechnen damit, dass weitere Wohlfahrtsverbände dem Beispiel folgen werden, um chronische Finanzierungsengpässe zu überwinden.
Die Düsseldorfer Anwalts- und Unternehmensberatungs-Kanzlei Buchalik Brömmekamp ist nach eigenen Angaben Marktführer in Deutschland und hat mehr als 100 Unternehmen durch die Insolvenz in Eigenregie geführt. Auch im Fall der Mülheimer Awo griff das Duisburger Insolvenzgericht auf die Kanzlei zurück und setzte Volker Schreck als Sanierungs-Geschäftsführer ein. Er soll mit dem langjährigen Chef Lothar Fink die Awo mit ihren 220 Beschäftigten aus ihrer Schieflage befreien.
Arbeitsagentur zahlt die Gehälter
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Schreck erwartet, dass von der Sanierung in Eigenverwaltung in Mülheim Signalkraft ausgehen könnte: „Wir gehen davon aus, dass es nicht das letzte Verfahren für einen Wohlfahrtsverband sein wird. Viele Anbieter haben ähnliche Probleme.“ Die Mülheimer Awo konnte im Dezember die Gehälter nicht mehr zahlen und entschied sich für das Schutzschirm-Verfahren, das bereits die Gliederungen des Roten Kreuzes in Dessau, Vorderpfalz und Holzminden sowie die Awo Gesundheitsdienste in Hannover durchlaufen haben.
Es bietet der Awo, die in Schuldner- und Schwangerschaftskonfliktfragen berät, Behinderte betreut und Altenbegegnungsstätten betreibt, die Gelegenheit, finanziell Luft zu holen. Drei Monate lang zahlt die Agentur für Arbeit die Gehälter. Die Awo könnte bis zu 1,5 Monatsmieten einbehalten sowie mit Zulieferern und Banken über bessere Konditionen verhandeln – ebenso mit ihren Zuschussgebern, dem Landschaftsverband Rheinland und der Stadt Mülheim.
Zuschüsse sind gekürzt worden
„Unser Ziel ist es, alle Dienstleistungen und die 220 Arbeitsplätze zu erhalten“, gibt sich der Interims-Geschäftsführer optimistisch. Wenngleich er die Rolle des Wohlfahrtsverbandes betont, die eine Sanierung nicht leichter mache: „Bei der Awo ist im Gegensatz zu einem Unternehmen nicht alles wirtschaftlich zu betrachten. Es gibt auch einen sozialen Auftrag.“ Nach drei Wochen hat sich der Unternehmensberater einen Überblick verschafft, sein Urteil: „Die Mülheimer Awo ist nicht überschuldet. Sie hat vielmehr seit rund 20 Jahren ein Liquiditätsproblem.“
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Mit einer Ursache haben alle Kreisverbände zu kämpfen: „Land NRW und Kommunen haben in den vergangenen Jahren die globalen Zuschüsse gekürzt“, sagt Jürgen Otto, Geschäftsführer des Awo-Bezirksverbands Niederrhein, zuständig für Mülheim und 15 weitere Kreisverbände. Ein Beispiel: Die Awo-Pauschale für Kitas sei bis Sommer 2016 um jährlich 1,5 Prozent gewachsen. „Allein die Lohnkosten steigen aber stärker, weil wir als Awo unsere Mitarbeiter nach Tarif bezahlen.“
Immer mehr Kreisverbände, so Awo-Revisor Jörg Otterbein, litten darunter, dass die Zuschüsse der öffentlichen Hände zu spät fließen. „Zum Beispiel bei der ambulanten Behinderten-Betreuung müssen wir in eine Vorfinanzierung treten. Das ist eine Belastung“, so Otterbein. Es könne Monate dauern, bis die Awo alle Gutachten und Unterlagen beisammen habe, um sie beim Landschaftsverband einzureichen. In dieser Zeit betreue man die Menschen aber bereits.
Sanierung ist angestrebt
Angesichts der angespannten Finanzlage in den Kommunen hat man bei der Awo aber wenig Hoffnung, dass die Zuschüsse signifikant steigen werden. Um die Finanzprobleme in den Griff zu kriegen, setzt Niederrhein-Geschäftsführer Otto deshalb auf Kooperationen oder gar Fusionen. Er weiß aber auch um die Vorbehalte vor Ort. „Der Wunsch der Vorstände in den Kreisverbänden, selbstständig zu bleiben, ist sehr groß. Es wäre ein Kraftakt, das zu ändern. Das macht es so schwierig“, sagt Otto. Und: „Der Kreisverband Mülheim war bislang nicht bereit, seine Eigenständigkeit über Kooperationen hinaus aufzugeben.“
Das könnte sich nun ändern. Als er sein Amt 1998 antrat, erzählt Mülheims Geschäftsführer Fink, habe der Duisburger Schwesterverband eine Fusion abgelehnt, „weil wir keine schöne Braut waren. Jetzt streben wir eine Sanierung an und haben die Hoffnung, nach dem Insolvenzverfahren nicht mehr so hässlich zu sein.“ Fink betont, keine Vorbehalte gegen Kooperationen oder Fusionen zu haben. Noch für diesen Januar hat er sich mit dem Geschäftsführer der Awo Essen verabredet.