Brüssel. Als die US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 Pleite machte, traf das die Finanzwelt völlig unerwartet. Kaum jemand in Politik und Wirtschaft hätte vermutet, dass die amerikanische Regierung die Bank fallen lassen könnte. Doch genau das geschah - mit fatalen Folgen.

Freitagabend – am 12. September 2008 – waren Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) und Bundesbank-Chef Axel Weber noch guter Dinge. Gewiss, an der amerikanischen Wall Street gab es Gerüchte über Schieflagen großer Geldinstitute. Aber die US-Regierung hatte doch bewiesen, dass sie Investmentbanken wie Bear Stearns nicht fallen ließ, da dies sonst andere Geldhäuser in den Abgrund ziehen könnte. Zudem zeigten sich die meisten deutschen Banken krisenfester als US-Investmentboutiquen wie Merrill Lynch oder Lehman Brothers – jene Geldhäuser, um die sich die Gerüchte rankten.

Der Konkurs kam unerwartet

Vielleicht hätte es die Journalisten, die an diesem Abend von Steinbrück und Weber auf den Stand der Dinge gebracht wurden, stutzig machen müssen, dass der Bundesbankchef noch nach Mitternacht mehrfach auf seinem Handy angerufen wurde. Drei Tage später – am Montag, dem 15. September 2008 – wurde klar, warum einige Anrufer so dringend mit Weber sprechen wollten.

Lehman musste Konkurs anmelden. Die Bank hatte sich in der Finanzkrise gründlich verspekuliert. Ein Notverkauf war misslungen. Erstens, weil die Bank of America zeitgleich eine andere Wall-Street-Zockerbude vor der Pleite rettete: Merrill Lynch. Zweitens, weil die US-Regierung nicht länger Milliarden in die Rettung von Investmentbanken pumpen wollte. Die US-Regierung musste später erkennen, dass die Steuerzahler eine doppelt und dreifach so hohe Rechnung zahlen mussten, da die Lehman-Pleite weltweit ein Banken-Beben auslöste.

Rasend schnell in den Ruin

Für Banker und Börsianer war der 15. September ein Schwarzer Montag. Lehmans Aus, die Notrettung von Merrill Lynch und Hiobsbotschaften des global verflochtenen US-Versicherers AIG erschütterten weltweit das Vertrauen in die Solidität der Banken.

An den Börsen verloren Bankaktien prozentual zweistellig an Wert. Alle großen Adressen hatten Geschäfte mit Lehman gemacht – und mussten nun Forderungen oder getroffene Absicherungen in den Wind schreiben.

Wie schnell eine Bank deshalb in den Ruin getrieben werden konnte, bekam bereits Ende September Belgiens Großbank Fortis zu spüren. „Am Freitagmittag hatten wir noch genug Finanzzusagen, aber am Freitagnachmittag bekam ich dann immer mehr Anrufe von Risikomanagern anderer Banken, die ihre Risikopositionen uns gegenüber schließen wollten”, berichtete der konsternierte Fortis-Finanzchef Lars Machenil, nachdem er das Geldhaus in aller Eile noch am selben Wochenende an die Benelux-Staaten verkauft hatte.

"Kein zweites Lehman!"

Europas Regierungen registrierten mit wachsender Sorge, in welch rasantem Tempo das Vertrauen selbst in vermeintlich feste Größen der Finanzbranche schwand. Frankreichs Regierungschef Nicolas Sarkozy rief daher mehrfach Europas Finanz- und Premierminister zusammen, um sie vor laufender Kamera schwören zu lassen: Kein zweites Lehman! Europa werde dafür sorgen, dass keine „systemrelevante Bank“ klamm werde.

Nach Berechnungen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich gaben die großen Länder in Nordamerika und Europa mittlerweile mehr als fünf Billionen Euro für Rettungshilfen und Garantien aus. Dafür allerdings haben sie tatsächlich eine weitere unkontrollierte Bankenpleite verhindert.

Eine solche Pleite hätte – wegen der bis heute angespannten Situation auf den weltweiten Geldmärkten – womöglich nicht nur einen Domino-Effekt, sondern eventuell sogar einen Lichterketten-Effekt ausgelöst: Falls eine Birne durchbrennt, wird es auf einen Schlag zappenduster.