Dortmund. Nur drei von vier Fernverkehrszügen kommen pünktlich an. Das kratzt an der Bahner-Ehre. Jetzt schickt die Bahn Experten, um die Probleme zu beheben.

  • Mit Teams von Spezialisten versucht die Bahn, Verspätungen zu bekämpfen
  • "Knotenkoordinatoren" identifizieren Fehler, die zu Verspätungen führen
  • Dortmunder Team kann erste Erfolge verbuchen

Verspätungen sind das große Thema im Staatskonzern Deutsche Bahn. Der Ärger ihrer täglich sechs Millionen Kunden sitzt tief. ICE und IC sind besonders betroffen. Im Fernverkehr ist die Pünktlichkeitsquote 2015 auf unter 75 Prozent gesunken, in Stationen wie Köln sogar auf 46 Prozent. Hat Bahn-Vorstand Volker Kefer auch deshalb den Job verloren? Im Aufsichtsrat brodelt es. Vielen Mitarbeitern gehen Verspätungen „an die Bahner-Ehre“, sagt Jörg Blöcher am Dortmunder Bahnhof.

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Blöcher gehört dem „StartPlan“-Team an. Das soll seit März vermeidbare Verspätungen in den zehn Knotenbahnhöfen des bundesweiten Netzes aufspüren und bekämpfen. In Nordrhein-Westfalen sind Köln und Dortmund Einsatzorte. Das Team kann erste Erfolge verbuchen. Wo liegen die Ursachen für die Verspätungen? Und: Gibt es tatsächlich Methoden, die Züge in kurzer Frist wieder pünktlicher zu machen? Welche sind das dann?

1) Baustellen und Gleise

Das 30 000 Kilometer umfassende Schienennetz ist vielfach ramponiert. Bis zu 850 Baustellen täglich gibt es in diesem Sommer. Darunter sind fünf Totalsperrungen, die sich auf mehrere Wochen erstrecken - so auf der Strecke Oberhausen-Emmerich bis 24. Juli und Köln-Hagen bis 21. August. Teilweise verlängern sich Fahrzeiten um 60 Minuten, Bahnhöfe werden nicht angefahren. Auch der Abbau von Überholgleisen, beschlossen in der Ära Mehdorn, sorgt für Verspätungen.

2) Fahrzeuge

Viele der IC-Waggons sind bis zu 40 Jahre alt. Sie werden erst langsam ersetzt. Auch ICE sind anfällig. Der Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel (Grüne) hat jetzt eines der frühmorgendlichen „Betriebsanlauf“-Protokolle der Bahn veröffentlicht. Ein Montag im Januar. „Fünf ICE fallen aus, drei Ersatzzüge verfügen über kein Bordbistro, in 31 neu eingesetzten Zügen fällt die Sitzplatzreservierung aus, an 35 neu eingesetzten Zügen fehlen Wagen, in 19 Zügen ist das WC für Menschen im Rollstuhl defekt“. Gastel rechnet aus, acht bis zehn Milliarden Euro seien für neue Züge nötig.

3) Brände und Unwetter

Sie haben dazu beigetragen, der Bahn zum Beispiel die Bilanz 2015 zu verhageln. Das Feuer im Stellwerk Mülheim/Ruhr Anfang Oktober hat die Ruhr-Strecke teilweise lahmgelegt. Erst in diesem Frühjahr konnte das neue Stellwerk in Betrieb gehen. Stürme wie „Elon“ und „Felix“ fegten durchs Land, im August folgte die Hitzeperiode mit Unwettern, ab September mussten Züge für Flüchtlingstransporte bereit gestellt werden. Die Instabilität des Wetters setzt sich derzeit fort.

4) Suizide

Kein Thema, das die DB gerne kommuniziert. Doch seit Jahren ist die Zahl der Selbstmorde auf hohem Niveau. 834 solcher Todesfälle gab es 2013, knapp 800 im Jahr 2014. Nach einem Suizid, den Fahrgäste im Lautsprecher als „Personenschaden“ kennen lernen, erscheinen Polizei und Staatsanwaltschaft am Gleis. Die rechtlich unvermeidbare Ermittlungsarbeit dauert, tatsächlich sind die Fahnder schon einmal so einem vertuschten Mord auf die Spur gekommen. Der Betrieb wird unterbrochen. Der ICE vom Revier nach Berlin muss dann via Bremen geschickt werden und erreicht glatte drei Stunden verspätet die Hauptstadt.

In Dortmund zeigt die Bahn, wie Verspätungen vermieden werden 

Die Chefetage setzt auf Gegensteuern. Bis 2018 soll die Pünktlichkeits-Quote im Fernverkehr wieder über 90 Prozent liegen. In Dortmund sind erfahrene Bahner wie Thomas König, Jörg Blöcher, Klaus Rösler, Mike Balke und Ulrich Motzkeit entscheidend für das Vorhaben. Sie sind seit März „Knotenkoordinatoren“. Sie gehen Fehlern und Fehlerchen nach, die vor Ort in den zehn größten Knotenbahnhöfen spürbare Verspätungen verursachen. „Wenn ich planmäßig abfahre, habe ich die Chance, planmäßig anzukommen“, sagt Blöcher. Klingt banal. Ist aber richtig.

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Es gibt Probleme, die den Fahrgästen die Freude an der weltweit eigentlich gut beleumdeten Deutschen Bahn vergraulen, die aber durch kleinere Eingriffe beseitigt werden können. Die falsche Angabe auf der Anzeigetafel. Die zeitraubende Knubbelei an der Bahnsteigkante, wenn der Zug „in umgekehrter Wagenreihung“ eingelaufen ist. Heute hilft das Team in Dortmund beim Einsteigen. Auf den Anzeigetafeln heißt es klarer: „In der angezeigten umgekehrten Wagenreihung“.

Eine Verspätung führt zur nächsten

Woran liegt es zum Beispiel, dass der ICE von Dortmund nach München - Abfahrt stündlich immer um „25 nach“ in Dortmund - so oft so verspätet unterwegs ist? König, Blöcher und Co. haben schon kurz nach ihrer Arbeitsaufnahme die Spur des notorischen Sünders verfolgt. Sie haben sich dabei die ersten Bewegungen beim Zugeinsatz genauer angeschaut.

Treffer: Zwischen dem Betriebshof Spähenfelde und Dortmund Hauptbahnhof liegt, etwa ein Kilometer außerhalb der Bahnsteige nach Osten heraus, eine Kreuzung. Über die rollt kurz vor dem ICE immer ein IC nach Norden, der Richtung Münster abbiegt. Der hat schon eine Tour quer durch Deutschland hinter sich, ist selbst oft in Zeitverzug. Doch bis er die Kreuzung passiert hat, ist sie für unseren Münchener ICE gesperrt. Das sabotiert wiederum dessen pünktlichen Start. Der Ausweg: Der ICE fährt im Betriebshof früher los, nimmt die Kreuzung deshalb früher als der IC und bleibt die fünf Minuten bis zur regulären Abfahrt im Dortmunder Hauptbahnhof stehen. So kommt wenigstens der ICE in den Plan. Technische Pannen mal ausgenommen.

Wenn ein gerader Bahnsteig den Unterschied macht

In der Medizin würde man die Eingriffe von PlanStart minimalinvasiv nennen. In Dortmund lassen sie neuerdings verspätet ankommende Züge, die hier kehrt machen, gar nicht erst zum Auffrischen in den Betriebshof rollen. Service und Reinigungskolonnen gehen am Bahnsteig an Bord oder schon in Bochum. Das spart Zeit. Der Zug wendet im Bahnhof.

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Auch in Köln ist so ein Team an der Arbeit. Das hat herausgefunden, dass der IC nach Dresden, der in der Domstadt regelmäßig zu spät los fuhr, in einer Kurve bereit gestellt wurde. Zugbegleiter mussten in den hektischen Minuten vor der Abfahrt erst weit laufen, um beim Schließen der Türen die Übersicht zu wahren. Man hat den Fernzug, nach einigem organisatorischen Aufwand (die Wagenstandsanzeiger mussten neu gedruckt werden) nun an eine gerade Bahnsteigkante positioniert. Dem Zugchef reicht ein Blick. Es geht pünktlich nach Dresden.

Dortmunder Ehre teilweise wieder hergestellt

Köln durfte im Ranking hochrücken, so ist die Bilanz nach drei Monaten. Die Dortmunder „PlanStart“-Leute beziehen jetzt auch die Bahnhöfe Essen und Münster in ihr Beratungs-System ein. Dortmund aber zieht, was die Pünktlichkeit des Fernverkehrs betrifft, bundesweit auf Platz 1 der Knotenbahnhöfe davon. Man war mal die Nummer 2 - von hinten. „An fünf Tagen“, sagt Team-Mann Klaus Rösler stolz, „haben wir schon 100 Prozent Pünktlichkeit im Fernverkehr gehabt“. Ein Stück der Ehre ist wieder hergestellt.