Berlin/Duisburg. . Der Duisburger Stahlhändler Klöckner & Co will eine Art Amazon werden und auch Konkurrenten auf seine Plattform holen. Ein Gespräch mit dem Chef.
Der Duisburger Stahlhändler Klöckner & Co gehört zu den Pionieren der Digitalisierung in der Industrie. Über 20 Experten arbeiten seit einem Jahr im Innovationslabor „kloeckner.i“ in Berlin-Mitte an Visionen für den Stahlhandel. Klöckner-Chef Gisbert Rühl erläutert, wie sein Unternehmen eine Art Amazon des Stahlhandels werden will.
Wie kamen Sie auf die Idee, Ihr Unternehmen zu digitalisieren?
Gisbert Rühl: Die Stahlbranche steht durch Überkapazitäten seit Längerem unter Druck, was unser klassisches Geschäftsmodell schwierig macht. Deshalb bin ich ins Silicon Valley gereist, um ein Gefühl für das zu bekommen, was man machen kann. Danach fuhr ich nach Berlin und habe im Gründerzentrum betahaus einen Tisch gemietet.
Ein ungewöhnlicher Schritt für einen Stahlhändler.
Rühl: Ich wollte das mit Leuten machen, die nicht aus unserer Branche kommen. Deshalb war das betahaus in Berlin ein guter Startpunkt. Wir waren ein halbes Jahr dort, ich kam wochenweise oder immer mal wieder dazu. Die Frage war, wie man mit der Digitalisierung beginnt und wie man sein Geschäftsmodell verändern kann.
Wie funktioniert Stahlhandel?
Rühl: Stahl wird auslastungsgetrieben produziert. Das Stahlwerk weiß nicht genau, was der Handel braucht. Also packen die Produzenten und auch wir den Stahl in die Lager und warten, bis der Kunde sich per Telefon, E-Mail oder Fax meldet. Das ist eine mehrfach unterbrochene Wertschöpfungskette.
Wie wollen Sie das ändern?
Rühl: Im Silicon Valley habe ich gelernt, dass es auch für unsere Industrie Plattformen wie Amazon oder Google geben wird, über die alle Prozesse gesteuert werden. Die Frage war, wie man da hinkommt.
Was war hier Ihre größte Herausforderung?
Rühl: Die Frage, wo man anfängt. Wir haben die Kunden gefragt, was sie brauchen. Dann mussten wir die Produzenten überzeugen. Jetzt ist die große Herausforderung, die Kunden und unsere eigenen Leute davon zu überzeugen, dass das die Zukunft ist.
Ist das schwer?
Rühl: Vor allem unsere Kunden in den USA sind begeistert und interessiert. Sie können beispielsweise auf unserem Kontraktportal ihren Vertragsstand sehen und neue Bestellungen auslösen. Es geht um die Frage, wie wir unseren Kunden mit digitalen Werkzeugen die Arbeit erleichtern. Im Mittelpunkt steht die Serviceplattform. Der Kunde hat ein Eingangsportal, egal ob er einen Vertrag mit uns hat oder spontan Stahl im Webshop kauft. Das ist aber erst der Anfang.
Und danach?
Rühl: Auf der für 2017 geplanten Industrieplattform können dann nicht nur unsere Produkte gekauft werden, sondern auch Stahl unserer Wettbewerber. Für Kunden ist das ein Riesenvorteil in Bezug auf Angebotsvielfalt und Preistransparenz. Kleine und mittelständische Händler integrieren sich in unsere Plattform, wenn sie nicht eigenständig digitalisieren können.
Sie holen sich also die Konkurrenz ins Haus. Ist das nicht riskant?
Rühl: Möglicherweise kannibalisieren wir uns teilweise. Aber wenn wir es nicht machen, macht es jemand anders.
Sie wollen also eine Art Amazon des Stahlhandels werden?
Rühl: Ja, wobei die Anforderungen an unsere geplante Industrieplattform teilweise komplexer sind. So möchten Geschäftskunden beispielsweise häufig Stahl aus ihren Warenwirtschaftssystemen heraus bestellen, die wir über entsprechende Schnittstellen an uns anbinden müssen. Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter und planen hier in Berlin einen Coworking-Space aufzubauen, wo kleine und mittlere Unternehmen Digitalisierung lernen können – ähnlich wie das betahaus.
Welchen Rat geben Sie als Pionier auf diesem Gebiet Unternehmen, die nicht wissen, wie sie ihr Geschäftsmodell umstellen sollen? Da herrscht oft große Ratlosigkeit.
Rühl: Das erlebe ich auch oft. Diese Unternehmen sollen ihre Leute in den Coworking-Space schicken. Dort werden wir ihnen zukünftig zeigen, wie Digitalisierung geht und mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Wie schnell wird sich die Digitalisierung von Klöckner auszahlen?
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Rühl: Wir wollen innerhalb eines Jahres das unter anderem aus Vorräten bestehende Nettoumlaufvermögen, das sogenannte NWC, um zehn Prozent senken. Das setzt mehr als 100 Millionen Euro Kapital frei. Bis 2019 wollen wir das NWC dann um über ein Drittel reduzieren und mehr als 50 Prozent unseres Umsatzes über digitale Kanäle erzielen. Ähnlich wie Amazon werden wir durch Datenanalyse viel besser voraussagen können, was unsere Kunden benötigen. Wir können die Stahlwerke dann mit diesen Informationen versorgen, um eine bedarfsgerechtere Produktion zu ermöglichen.
Was ist ihre Vision?
Rühl: Wir managen die Wertschöpfungskette und sind nicht mehr der Händler im klassischen Sinn. Das ist die Idee. Und wir wollen uns auch branchenübergreifend weiter digital vernetzen. So sind wir beispielsweise Teil der Axoom Plattform des Maschinenbauers Trumpf. Durch die Partnerschaft können Maschinen künftig eigenständig Stahl bei uns bestellen. Das ist dann Industrie 4.0.
Ihr Unternehmen unterstützt auch zwei Kurse von ReDI, der Programmierschule für geflüchtete Menschen in Berlin, die kürzlich auch Facebook-Chef Mark Zuckerberg besuchte.
Rühl: Das ist eine sehr konkrete Super-Initiative, dass junge Leute so etwas hier in Berlin aufziehen. Damit sie kontinuierlich an dem Thema arbeiten können, wollen wir nicht nur einzelne Kurse fördern, sondern sie längerfristig für mindesten zwei Jahre unterstützen. Wir stellen auch unsere Kontakte zur Verfügung, damit die ausgebildeten Flüchtlinge später eine Beschäftigung finden.
Können Sie den Betrag beziffern?
Rühl: Es ist ein höherer Betrag.
Sehen Sie da auch Chancen für Ihr Unternehmen?
Rühl: Auf jeden Fall. Um die digitale Führerschaft in unserer Branche weiter auszubauen, werden wir die Personalstärke von „kloeckner.i“ im laufenden Jahr auf mindestens 40 Mitarbeiter verdoppeln. Dabei setzen wir zukünftig auch auf Absolventen der ReDI-School. Das ist eine Win-Win-Situation.