Duisburg. . Die Stahlsparte von Thyssen-Krupp soll sich durch ein neues Strategieprogramm grundlegend verändern. „Wir müssen umdenken“, sagt Stahlchef Goss.
Es ist das erste gemeinsame Interview. Seit gut einem Jahr arbeiten Thyssen-Krupp-Stahlchef Andreas Goss und Finanzvorstand Premal Desai zusammen. Goss war lange Zeit bei Siemens, Desai stand unmittelbar in Diensten von Konzernchef Heinrich Hiesinger. Als Strategiechef war Desai verantwortlich für das Vorstands- und Aufsichtsratsbüro. Jetzt sollen Goss und Desai die Stahlsparte zum Erfolg führen. Im Gespräch mit Ulf Meinke erläutern sie ihre Pläne.
Sie haben Anfang Oktober ein neues Sparprogramm im Volumen von mindestens 100 Millionen Euro pro Jahr angekündigt und damit prompt den Betriebsrat auf den Plan gerufen. Die Arbeitnehmervertreter wollen Kürzungen bei der Belegschaft nicht akzeptieren. Wie lässt sich der Konflikt lösen?
Goss: Ich würde nicht von einem neuen Sparprogramm sprechen. Ich habe gesagt, dass wir immer produktiver werden müssen. Kontinuierliche Effizienzsteigerungen sind in der Stahlindustrie ein Muss und mittlerweile integraler Bestandteil unserer Leistungskultur. Wir haben acht Milliarden Euro Kosten pro Jahr. Angesichts dieser Größenordnung lassen sich weitere signifikante Einsparungen über effizientere Arbeitsabläufe, einen optimierten Einkauf und einen verbesserten Ressourceneinsatz darstellen.
Teil des vor drei Jahren aufgelegten Programms „Best-in-Class Reloaded“ war auch der Abbau von 2000 Arbeitsplätzen. Schließen Sie weitere Kürzungen bei der Belegschaft aus?
Auch interessant
Goss: Mit „BiC Reloaded“ haben wir Effizienzsteigerungen von mehr als 600 Millionen Euro erreicht und das wirtschaftliche Ergebnis der Stahlsparte abgesichert. Das zahlt sich langfristig aus. Zusätzliche Einsparungen bei den Personalkosten in der Größenordnung von „BiC Reloaded“ werden sich kurzfristig nicht wiederholen. Wir sehen kurzfristig auch keine Notwendigkeit für Stellenabbau.
Was folgt auf „BiC Reloaded“? Planen Sie ein neues Programm?
Goss: Ja. Um unsere Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern, bringen wir ein Strategieprogramm namens „one steel“ auf den Weg. Nach dem starken Fokus auf Kostensenkungen in den vergangenen Jahren und der finanziellen Stabilisierung wollen wir uns nun durch einen ganzheitlichen Ansatz kontinuierlich verbessern. Wichtige Hebel sind unter anderem eine effektivere IT-Infrastruktur, deutliche Leistungsverbesserungen in der Lieferkette, stärkere Markt- und Kundenorientierung, Effizienzsteigerungen in der Produktion und eine Optimierung der Produktpalette. Wir müssen insgesamt umdenken.
Lässt sich beziffern, wie sich das Ergebnis dadurch verbessern wird?
Desai: Ziel von „one steel“ ist es, dauerhaft mehr als unsere Kapitalkosten zu erwirtschaften. Wir bewegen uns in einem schwierigen Umfeld. Anders als erhofft, hat sich der Stahlmarkt nicht stabilisiert, sondern weiter eingetrübt.
In Sachen Rentabilität liegt der österreichische Konkurrent Voestalpine derzeit vor Ihnen. Können Sie damit leben?
Goss: Unser Anspruch ist es, in Europa Spitzenreiter im für uns relevanten Flachstahlmarkt zu sein. Dies gilt auch für die Profitabilität.
Die Liste der Schwierigkeiten ist lang. Dumping-Stahl aus Fernost, Überkapazitäten in Europa, Unsicherheiten durch die Energie- und Klimapolitik: Sind die Probleme beherrschbar?
Auch interessant
Desai: Die enorme Überproduktion in China wird verstärkt nach Europa umgelenkt und führt hier zu einem Überangebot. Zudem drohen weitere einseitige Belastungen für die heimische Stahlindustrie beispielsweise durch zusätzlich benötigte CO2-Zertifikate. Das alles verursacht einen beträchtlichen Druck auf unser Geschäft. Daher müssen wir uns weiter anstrengen und auf das konzentrieren, was in unserer Hand liegt.
Der deutsche Branchenverband spricht mit Blick auf den CO2-Zertifikatehandel von Plänen, die für die deutsche Stahlindustrie existenzbedrohend seien. Erlischt im Duisburger Hochofen bald das Feuer?
Goss: Wenn die Pläne eins zu eins umgesetzt werden, sind sie existenzbedrohend. Im Zeitraum 2021 bis 2030, um den es geht, entstünden uns zusätzliche Kosten von mehreren Hundert Millionen Euro jährlich. Damit wäre es wohl praktisch unmöglich, die Gewinnzone zu erreichen. Die Stahlindustrie ist aber nicht nur ein wichtiger Arbeitgeber. Sie ist auch die Grundlage für die industrielle Wertschöpfung in Deutschland. Wir alle – auch Politik und Gesellschaft – müssen aufpassen, dass wir nicht das Rückgrat unserer Volkswirtschaft gefährden. Deindustrialisierung ist nicht umkehrbar. Und obendrein muss uns klar sein: Mit jeder Tonne Importstahl aus China verschlechtern wir unsere Klimabilanz um zusätzliche 500 Kilogramm.
Immer wieder wird über Fusionen von Stahlkonzernen in Europa spekuliert. Vorstandschef Hiesinger hat erklärt, sollte es irgendwann zu einem Zusammenschluss unter Beteiligung von Thyssen-Krupp kommen, wolle man „aus einer Position der Stärke“ agieren. Heißt das, bei einer Fusion muss Thyssen-Krupp zwingend die unternehmerische Führung haben?
Desai: Zu diesem Thema gibt es nichts Neues und die Position des Konzerns ist klar und deutlich beschrieben. Unser Job ist es, den Wert des Stahls bei Thyssen-Krupp konsequent zu steigern. Und uns damit gegenüber unseren Wettbewerbern stark zu machen.
Sie wollen also gar nicht erst informiert werden, wenn Herr Hiesinger mit Konkurrenten über eine mögliche Fusion spricht?
Goss: (Lacht) Es freut mich, dass Sie sich Sorgen darüber machen, ob und worüber Herr Hiesinger mit uns spricht.
Ist es nicht bemerkenswert, dass bei Thyssen-Krupp offen über eine mögliche Fusion der Stahlsparte gesprochen wird und sich der öffentliche Aufschrei in Grenzen hält?
Desai: Die Diskussion wird durch die Fakten bestimmt. Die gesamte Stahlindustrie in Europa kämpft um ihre wirtschaftliche Existenz. Nur wenige Stahlkocher in Europa sind aktuell profitabel und wir gehören zu den Besten. Und wir arbeiten daran, dass es auch so bleibt.
Goss: Genau, unsere Mitarbeiter lassen sich von solchen Themen nicht ablenken. Wichtig ist, dass alle sehen und spüren, dass wir konsequent an unserer Zukunftsfähigkeit arbeiten. Wir erhöhen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung und investieren in unsere Anlagen.
Sie sind auch zuständig für das brasilianische Stahlwerk. Haben Sie die Probleme mittlerweile im Griff?
Goss: Es geht bergauf und wir arbeiten daran, dass es permanent besser wird. Unsere Mannschaft macht einen guten Job. Operativ hat das Werk im vergangenen Geschäftsjahr schon die Gewinnzone erreicht.
Das Werk steht nach wie vor zum Verkauf. Wann wird es soweit sein?
Goss: Das lässt sich heute nicht sagen. Aber klar ist: Wir sind fest entschlossen, dieses Thema zu einem Erfolg zu führen.