Essen. . Der Verkehrsclub Deutschland fordert, dass alle neuen Fahrzeugtypen mit Diesel unabhängig getestet werden. Es gibt Kritik am Kraftfahrt-Bundesamt.

Der VW-Skandal um manipulierte Diesel-Abgaswerte in den USA weitet sich massiv aus und belastet zunehmend alle deutschen Autobauer und Zulieferer. Die umstrittene Steuerungstechnik, die den Schadstoffausstoß nur im Testbetrieb niedrig hält, sei auch in Europa eingebaut worden, räumte VW nach Aussage von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ein.

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Dieses Eingeständnis, drohende Sammelklagen gegen VW in den USA und ein von BMW dementierter Bericht, auch der Münchner Autobauer sei von der Diesel-Affäre betroffen, schickten auch die Aktien von BMW, Daimler und dem Zulieferer Conti in den Keller.

Porsche-Chef Müller soll Winterkorn beerben

Neben Volkswagen sind auch einige Diesel-Modelle der VW-Töchter Audi, Skoda und Seat betroffen, wie die Unternehmen gestern mitteilten. Nach VW-Chef Martin Winterkorn müssen weitere Manager des Konzerns ihre Posten räumen: Ulrich Hackenberg und Wolfgang Hatz, die Entwicklungschefs der Marken Audi und Porsche, sollen der Nachrichtenagentur Reuters zufolge gehen. Gleichzeitig verdichteten sich die Indizien, dass Porsche-Chef Matthias Müller neuer VW-Chef werden soll.

Die Folgen für VW und die gesamte Branche sind unabsehbar. Das Kraftfahrt-Bundesamt soll nun Dieselautos aller VW-Modelle nachprüfen, Umweltverbände und die Grünen forderten, die Tests müssten auf alle Hersteller ausgeweitet werden. Die US-Umweltbehörde EPA hatte bereits angekündigt, genau dies tun zu wollen. Ebenso die Umweltaktivisten von ICCT, die das VW-Desaster ins Rollen gebracht hatten.

"Krise hat auf alle Hersteller übergegriffen"

Daimler, BMW, Opel und Ford beteuerten am Donnerstag, keinerlei Manipulationen an ihren Dieselmotoren vorzunehmen. Die Sorge, der Skandal könnte auf sie übergreifen, wächst dennoch. Große Abweichungen von Stickoxid-Emissionen zwischen Test- und realem Betrieb bei Diesel-Pkw der neuen Euro-6-Norm hatte die Bundesregierung in einem Schreiben an die EU-Kommission bereits selbst beklagt. Dies galt für fast alle Hersteller.

„Es ist schwer vorstellbar, dass nur VW betroffen ist, die Börse glaubt das nicht – hier hat die Krise längst auf alle Hersteller und Zulieferer übergegriffen“, sagte Ulrich Hocker, Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, der WAZ. Zudem erlitten der Dieselmotor an sich und das Siegel „Made in Germany“ einen Imageschaden, der die ganze Branche belaste. Das wiege noch schwerer als die Gefahr, etliche Dieselautos nachrüsten zu müssen.

Experten fordern neue Abgas-Tests für alle Diesel-Modelle 

Die Dieselaffäre um manipulierte Abgaswerte und den vielfach überhöhten Stickoxidausstoß von VW-Modellen in den USA könnte noch für alle deutschen Autobauer teure Konsequenzen haben. Ihre lange erfolgreiche Lobbyarbeit ge­gen schärfere Umweltstandards wird es in Zukunft schwerer haben.

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Für Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des Verkehrsclub Deutschland (VCD), ist der Fall klar: „Jeder Fahrzeugtyp mit Dieselmotor, der als Neuwagen in Deutschland angeboten wird, muss erneut auf seine Schadstoffwerte überprüft werden“, sagte er dieser Zeitung. Grundsätzliche Kritik gibt es auch an den Verflechtungen der Autohersteller mit der Politik und ihrer Lobbyarbeit.

Bewusst verbaute Schlupflöcher

Wolfgang Lohbeck, über 25 Jahre hinweg kritischer Autoexperte bei Greenpeace, sieht in der Lobbyarbeit der Autobauer einen Hauptgrund für auf die Industrie maßgeschneiderte Prüfverfahren, und das schon vor der Einführung des bahnbrechenden Drei-Wege-Katalysators Ende der 80er-Jahre. Beispielsweise habe deshalb der „EU-Gesetzgeber bewusst Schlupflöcher in den Normzyklus zur Ermittlung des Verbrauchswerts eingebaut“, sagte er dieser Zeitung.

Ergebnis: Beim Prüfstandstest im Labor ultrahart aufgepumpte Leichtlaufreifen, alle zusätzlichen Verbraucher, selbst das Radio, abgeschaltet und für geringeren Luftwiderstand zugeklebte Türen seien so legal. Ergebnis: Auf dem Papier verbraucht der neue Porsche 911 mit 370 PS nur 7,4 Liter auf 100 Kilometer, tatsächlich kann der Sportwagen leicht das Doppelte verbrennen. Bei Hybriden mit an der Steckdose aufladbarer Batterie (Plug-in) für den zusätzlichen Elektroantrieb wird der Strom zum Laden nicht eingerechnet, so dass schwere Plug-in-Luxuswagen auf ei­nen absurden Normverbrauch von nur 3,0 Liter kommen.

Ob ein Fahrzeughersteller mit seinen verkauften Pkw den in der EU vorgeschriebenen Flottenverbrauch einhält und zukünftig bei Überschreitung hohe Strafen zahlen muss, wird anhand des Normverbrauchs berechnet. Dagegen opponieren gerade die deutschen Hersteller mit ihren PS-starken Wagen seit Jahren, stets auch mit Unterstützung der Politik. Zuletzt hatte Kanzlerin Merkel weitgehende abmildernde Sonderregelungen für Mercedes & Co. durchgesetzt.

Überschreitungen seit 2011 bekannt

Bereits seit 2011 ergaben Praxistests des ADAC, dass der Ausstoß des schädlichen Stickoxidgases bei vielen Pkw-Typen im realen Straßenverkehr bis zum 30-Fachen über den Ergebnissen der Prüfstandsläufe liegt. Davon waren fast alle deutschen Hersteller mit ihren Dieselmodellen betroffen. Aber weder das Verkehrsministerium noch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hätten darauf reagiert, so die Deutsche Umwelthilfe.

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Ferdinand Dudenhöffer vom Car-Institut der Universität Duisburg-Essen bezeichnet die Flensburger Behörde gegenüber dieser Zeitung als „Schlafmützenabteilung“. Gerd Lottsiepen sagte: „Erste Adresse für erneute Überprüfungen des Stickoxidausstoß’ ist nicht das Bundesamt, sondern das Umweltbundesamt und andere unabhängige Organisationen.“ Das KBA „habe geschlafen“.

Nächster Knackpunkt schon absehbar

Der nächste Knackpunkt für ei­ne ehrlichere Ermittlung von Verbrauchs- und Schadstoffwerten ist die für 2017 geplante Einführung eines weltweit einheitlichen Verbrauchstests unter dem Kürzel WLTP. „Dieser muss von der EU-Kommission vernünftig umgesetzt werden“, sagt Ferdinand Dudenhöffer. Offiziell gibt es in Brüssel nur 136 von 4000 freiwillig gemeldete Lobbyisten, die für die Autoindustrie arbeiten. Insider gehen von der vierfachen Anzahl aus.

Der mächtige Verband der deutschen Autoindustrie „wünscht“ ei­ne Verschiebung der WLTP-Einführung bis 2020. Und beim Wünschen allein dürfte es nicht bleiben. Doch nach „Dieselgate“ könnte sich der Wind in Europa drehen und ein reeller WLTP ohne Ausnahmeregelung Wirklichkeit werden – und in der Folge Milliarden-schwere Strafzahlungen.