Essen. Die Lokführer legen die Republik lahm, sie stürzen das Land ins Chaos: So hieß es vor dem Streik. Und dann kam es doch wieder anders. Eine Notiz.

Das also ist der Streik, der die Republik ins Chaos stürzt. Eindruck vom Essener Hauptbahnhof: Menschen stehen an den Gleisen und steigen in Züge. Alle halbe Stunde fährt hier ein roter Regionalexpress. Die Privatbahnen fahren sowieso. Es gestikulieren keine hektischen Telefonierer unter der Anzeigetafel, es steht keine Schlange am Info-Point, und es gibt auch kein Hauen und Stechen am Taxistand.

Zugegeben: Der Imbiss schließt seine Tür in diesen Tagen schon am frühen Abend, in seine Kasse möchte man jetzt besser nicht gucken. Aber sonst? Das einzige, was am Essener Hauptbahnhof im Moment wirklich nicht funktioniert, das sind die Rolltreppen am Ausgang West - und dass sie streiken, darf man nun nicht der GDL vorwerfen.

Chaos in Deutschland? Das hatten wir uns anders vorgestellt.

Nur 17 Prozent des Güterverkehrs auf der Schiene

Hier ein paar Zahlen aus der lahmgelegten Republik: Die Bahn hat einen Ersatzfahrplan erstellt, mit dem sie ein Drittel ihrer Personenzüge weiterhin fahren lässt. In manchen Gegenden fahren sogar noch mehr Züge, weil der Anteil der Privatbahnen besonders hoch ist. In Südwestfalen etwa fährt sogar jeder zweite Zug trotz des Streiks. Nur 17 Prozent des Güterverkehrs in Deutschland werden über die Schiene abgewickelt, besonders abhängig von der Bahn sind nur einige Branchen, etwa Stahl und Chemie. Aber auch für Güter gibt es einen Ersatzfahrplan: bei DB-Schenker, der Güter-Tochter der Bahn, fahren nach unterschiedlichen Angaben die Hälfte bis zwei Drittel der Züge.

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Es ist merkwürdig: In der Tagesschau hören die Deutschen von einem Streik, der auf der Führungsebene inzwischen geradezu unversöhnlich geführt wird. Aber die Erfahrung, die so viele gerade in ihrem Alltag machen, widerspricht dem völlig. Klar, wer zu hundert Prozent auf die Bahn angewiesen ist, muss jetzt jonglieren. Manche sind genervt, man hört von Familien, in denen die Nerven blank liegen, weil ihrem minutiös geplanten Alltag die logistische Basis weggebrochen ist. Aber von einer Ausnahmesituation, so wie sie die meisten Bahnfahrer im Westen letztes Jahr nach dem Pfingstunwetter "Ela" erlebten, reden selbst die nicht.

"Wir nehmen dich dann wieder mit", sagen die Kollegen

Stattdessen: viel Routine. Da ist die Arbeitnehmerin ohne Auto, die beim ersten Bahnstreik noch Urlaub nahm, weil sie nicht wusste, wie sie von Bochum nach Düsseldorf kommen sollte. Diesmal weiß sie es und war nicht ein einziges Mal unpünktlich. Da ist die Patentante, die zur Konfirmation am Wochenende eben mit dem Fernbus anreist statt mit dem IC. Da ist der Spediteur, der seine Anhänger nicht mehr auf Züge verladen kann, und der nun die ganze Strecke mit dem Lkw macht, obwohl es ihn teurer kommt. Und da sind die netten Kollegen mit Auto, die inzwischen bei jeder Streikankündigung sagen: Wir nehmen dich dann wieder mit.

Der Rundfunk berichtete in diesen Tagen von mehr Verkehr auf den Straßen, von Staus und stockendem Verkehr, die das übliche Maß überschreiten. Das ist kein Wunder. Das totale Chaos ist es aber nicht, auch nicht der Stillstand der Republik. Es ist eben nur Bahnstreik. Bahnstreik in einem Autoland.