Essen. . Überfüllte Waggons, lange Wartezeiten – die Gewerkschaft der Lokführer ruft zum längsten Streik im Tarifkonflikt auf. Pendler trifft das auf unterschiedlichste Weise.
Die meisten Bahn-Pendler haben den Kaffee bereits auf – auf Verständnis für die Lokführer trifft man nur noch selten am Hauptbahnhof. Sechs Tage soll der Streik im Personenverkehr dauern – bis Sonntag 9 Uhr. Das wäre der bisher längste Streik der Gewerkschaft der Lokführer (GdL) im Tarifkonflikt. Streikende Lokführer waren in Essen nicht zu sehen. Sie zogen es vor, im Gewerkschaftshaus in Düsseldorf zu streiken.
Viele Menschen standen mit großen Augen und gezückten Handys in der Halle und versuchten, irgendwie nach Hause zu kommen. „Zug fällt aus“ war gefühlt die einzige Information, die die Reisenden der Info-Tafel entnehmen konnten. Die Bahnsteige waren im Gegensatz zur Halle fast leer. Vereinzelt warteten dort die glücklichen Pendler, deren Züge noch fuhren. Ob sie auf diesem Weg auch wieder nach Hause kommen, wissen sie aber noch nicht.
Eileen Wachholz (19) hat noch eine Odyssee vor sich. „Ich muss heute noch nach Berlin – und niemand kann mir sagen, welche Züge ich nehmen muss“, ärgert sich die 19-Jährige. Sie hat ihren Freund in Essen besucht. Vor der Zugfahrt zurück in ihre Heimat graut es ihr. Lange Wartezeiten und viele Umstiege stehen ihr bevor. „Ich hoffe, dass ich nicht irgendwo in Hannover strande und dort die Nacht am Bahnhof verbringen muss. Mit Hotels hat es die Bahn ja nicht so.“
Einige Pendler hatten Glück – ihre Verbindung war gerade nicht vom Streik betroffen – oder sie haben sich frühzeitig Ersatz suchen können. Christian Müller (33) gehört zu diesen Glücklichen. „Ich wohne in Essen und pendle jeden Tag nach Düsseldorf, um dort zu arbeiten“, sagt der 33-Jährige. Seine Bahnen fahren noch regelmäßig. „Ich hoffe aber, dass ich heute Abend genausogut nach Hause komme.“ Ansonsten muss auch er sich eine Alternative überlegen.
Da er keine andere Möglichkeit sah, überhaupt zur Arbeit zu kommen, entschied sich Pascal Buber (24) für die restliche Zeit des Bahn-Streiks, Urlaub zu nehmen. „Ich wohne in Wuppertal und muss jeden Tag bis nach Essen pendeln“, sagt der 24-jährige Lagerarbeiter. Seinem Chef hat er die Situation erklärt und der hätte Pascal Bubers Verhalten positiv aufgenommen. „Ich will niemanden mit eventuellem Zu-spät-kommen zur Last fallen, daher habe ich mich dafür entschieden.“
Viel zu spät zu einer Klausur an der Uni ist Jill Jaspers gekommen. Die 21-Jährige studiert in Essen Kultur und Wirtschaft. Sie pendelt jeden Morgen 1.45 Stunden zur Universität. „Das ist so schon stressig, aber dass ich deswegen ein Viertel der Klausurzeit verpasse, ist echt blöd.“ Die meisten ihrer Kommilitonen und Dozenten wissen vom Streik. Es kämen öfter Studenten zu spät. „Für mich bedeutete die Situation aber enormen Druck, weil es eine sehr wichtige Klausur war.“
Die ehrenamtlichen Helfer der Bahnhofsmission hatten gut zu tun. Sonja Lohf (27) gehört dazu. „Wir stehen den Leuten in erster Linie mit gutem Rat zur Seite.“ Nach dem Sturm Ela haben die Mitarbeiter der Bahnhofsmission eine Informationsmappe erstellt, in der sie aufgezeichnet haben, wie Pendler mit dem öffentlichen Nahverkehr, also U-Bahn und Bussen, von A nach B kommen. „Beim Streik achten wir außerdem verstärkt auf ältere Menschen und Familien mit kleinen Kindern. Letzteren bieten wir an, in unserer Kinderlounge zu spielen oder die Kids dort zu wickeln“, sagt die 27-Jährige. Die Ehrenamtlichen arbeiten in Schichten und verteilen auch Tee, Kaffee und Wasser.
Sven Haupthoff(21) ist zweieinhalb Stunden zu spät zum Kennenlern-Essen bei den Eltern seiner Freundin gekommen. „Das war mir sehr unangenehm. Die Eltern hatten extra gekocht und den Tisch schön gedeckt.“ Zum Glück rief der 21-Jährige rechtzeitig bei seiner Freundin an und kündigte seine Verspätung an. Dass es so lange dauerte, war ihm jedoch nicht klar. „Ihre Eltern waren so lieb und haben mit dem Essen auf mich gewartet. Sie haben dann auch reichlich drüber gescherzt, von wegen Bahn und so – aber es war trotzdem sehr peinlich. Beim ersten Treffen!“ Zur Arbeit hat es Sven Haupthoff aber pünktlich geschafft – zum Glück, denn er pendelt jeden Tag von Düsseldorf nach Dortmund.