Essen. . Sechs Tage Lokführerstreik? Sind wenig im Vergleich zu 305 bei einem Busunternehmen vor einigen Jahren. Aber: lange heißt nicht unbedingt erfolgreich.
Der aktuelle Streik der Lokführer ist der bis dato längste bei der Deutschen Bahn. An diesem Sonntag, 9 Uhr, soll er beendet werden, nach dann insgesamt 138 Stunden. Das Angebot der Bahn, den Streik auszusetzen und einen Vermittler einzusetzen, lehnte GDL-Chef Claus Weselsky jüngst ab. In der jüngeren Geschichte der Arbeitskämpfe in Deutschland allerdings ist der jüngste Streik der Lokführer noch vergleichsweise kurz. Und: ob ein langer Streik umso erfolgreicher ist, das ist längst nicht gesagt.
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"In den meisten Fällen sind lange Arbeitskämpfe Ausdruck für ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis der Streitparteien, nicht aber zwingend ein Ausdruck von Stärke", sagt Dr. Heiner Dribbusch, der für die Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf zur Arbeitskampfentwicklung in Deutschland forscht. Für Dribbusch zeigt der Rückblick auf vergangene Arbeitskämpfe: "Je länger umso erfolgreicher - das gilt nicht generell".
Welches Eskalationspotential hat die GDL noch bei weiteren Streiks?
Beim Bahnstreik sieht man jetzt eine klassische Patt-Situation, sagt Dribbusch: "Die Bahn hat sich in der Sache in den letzten Tagen keinen Millimeter bewegt. Wenn die Bahn das weiter aussitzt, wird die GDL zu weiteren Streiks gedrängt", glaubt Dribbusch. Dabei stecke die GDL in einer Zwickmühle: "Sollte der Arbeitskampf weitergehen, ist die Frage wo die GDL noch Eskalationsmöglichkeiten hat". In der Breite scheine es kaum möglich, die Streiks auszuweiten, glaubt Dribbusch. "Es bliebe also nur noch die Streikdauer".
Arbeitskämpfe in Branchen oder von Berufsgruppen haben in den vergangenen Jahren zu wochenlangen Ausständen geführt. "In diesen Fällen streiken natürlich nicht immer dieselben Beschäftigten in denselben Firmen über die volle Dauer der Auseinandersetzung", heißt es bei der Hans-Böckler-Stiftung. Zum Teil "rolliert" der Arbeitskampf über Unternehmen und Regionen:
- 16 Wochen lang dauerte der Arbeitskampf in der Metallindustrie in Schleswig-Holstein im Jahr 1956/57. Es ging um den Kampf für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
- In der Stahlindustrie in NRW wurde 1978/79 sechs Wochen lang ein Arbeitskampf geführt - für die 35-Stunden-Woche
- In der Metallindustrie in Hessen und Nordwürttemberg/Nordbaden zog sich der Arbeitskampf 1984 über 7 Wochen hin. Auch dort ging es um die 35-Stunden-Woche
- In der Druckindustrie wurde 1994 ein Arbeitskampf über 17 Wochen geführt. Gegenstand war: Vorruhestand für Schichtarbeiter, Gesundheitsschutz, Frauengleichstellung
- An Unikliniken und Landeskrankenhäusern organisierte der Marburger Bund 2006 einen Arbeitskampf für einen eigenständigen Tarifvertrag für das ärztliche Personal. Er dauerte über 13 Wochen
- Der Arbeitskampf im Einzelhandel im Jahr 2014 zog sich insgesamt über acht Monate hin
Es gab noch viel längere Arbeitskämpfe:
Busfahrer streikten 305 Tage für einen Tarifvertag
Dass Beschäftigte die Arbeit sogar für mehrere Monate und noch länger niedergelegt haben, war in den vergangenen Jahren in einzelnen Unternehmen zu beobachten. Das zeigen Beispiel der Hans-Böckler-Stiftung. Der Unterschied zur Bahn: Die Zahl der Mit-Betroffenen ist meist deutlich geringer.
- Bei den Herweg Busbetrieben in Leverkusen legten im Jahr 2004 50 BusfahrerInnen die Arbeit nieder - für 305 Tage. Sie erstritten einen Verdi-Tarifvertrag.
- Beim Düsseldorfer Fluglinien-Caterer Gate Gourmet streikten rund 80 Beschäftigte gegen Verschlechterung im Tarifvertrag. Ihr Streik dauerte vom Oktober 2005 bis zum April 2006.
- Beim Baumaschinenhersteller CNH traten die Beschäftigten 2006 mehr als 100 Tage in den Streik, nachdem das Unternehmen eine Werksschließung angekündigt hatte.
- Der Arbeitskampf beim Versandriesen Amazon zieht sich bereits seit über zwei Jahren hin, immer wieder wird dabei auch für Tage und Wochen gestreikt. Verdi will das Unternehmen zwingen, die Beschäftigten nach dem besser dotierten Tarifvertrag des Einzelhandels zu entlohnen.
"Früher gingen Streiks öfter über mehrere Wochen. Heute ist der Dauerstreik seltener geworden", sagt Heiner Dribbusch. Relativ häufig werde heute in Intervallen gestreikt, wie beispielsweise aktuell bei der Bahn oder bei der Lufthansa. "In beiden Fällen sind die betroffenen Unternehmen bereit, eher hohe Kosten in Kauf zu nehmen, als nach zu geben“, sagt Dribbusch.
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Gewerkschaften sind dabei generell "leichter in die Position des 'Buhmanns' zu drängen", sagt Dribbusch: "Die Gewerkschaft ist stets in der Rolle, den Streik auszurufen. Damit erscheint sie und nicht das Management als der Hauptakteur im Tarifkonflikt". Dass es auch an den führenden Personen hängen kann, dass Streiks zeitlich eskalieren, glaubt Heiner Dribbusch indes nicht: "Die Persönlichkeiten von Vorständen oder Gewerkschaftsvorsitzenden sind meiner Beobachtung nach vielleicht für das Verhandlungsklima, nicht jedoch für die Streikdauer von entscheidender Bedeutung". Im Kern, sagt Dribbusch, geht es bei Tarifkonflikten darum, Sachinteressen durchzusetzen."
Auch der Kita-Streik kann ein langer werden
Ob sich eine Gewerkschaft in einem Streik gegen die Arbeitgeber durchsetzen kann, dazu trägt auch die öffentliche Meinung bei, sagt Arbeitskampf-Experte Dribbusch: "Streiks werden insbesondere dann, wenn die Arbeitgeberseite, nur begrenzt ökonomisch getroffen wird, auch über die Unterstützung der Öffentlichkeit gewonnen." Dies gelte beispielhaft für den Streik der Erzieherinnen, der jüngst beschlossen wurde. Auch der Streik der Erzieher und -innen kann ein langer werden, glaubt Heiner Dribbusch: "Sie streiken in einem Bereich, in dem es schwierig ist, ökonomischen Druck aufzubauen". Denn: Kommunen sparen Geld, wenn Kitas geschlossen sind. Beim bis dato letzten Kita-Streik 2009 haben einige Kommunen Eltern sogar Kita-Beiträge zurückgezahlt.
Nicht unwichtig freilich, ist auch die Rolle der Öffentlichkeit. Bei Streiks in kleinen Unternehmen fällt das kaum ins Gewicht, bei der Bahn mit Hunderttausenden Pendlern und Reisenden pro Tag hingegen schon: "Der GDL hilft es natürlich auch, wenn sie bei den Reisenden zumindest auf Verständnis stößt", sagt Heiner Dribbusch. Letztlich komme es darauf an, ob es gelingt, die Betroffenen zu überzeugen, "dass die Arbeitgeberseite die Verantwortung für die Konfliktdauer trägt ".