Essen. Wirtschaftsminister Gabriel verteidigt die Kohleverstromung. Nun soll er sich einem Medienbericht zufolge auch vom deutschen Klimaschutzziel verabschiedet haben. Das Dementi kam prompt, aber es bleiben die Interessenkonflikte mit Umweltministerin Hendricks.
Die meisten Spitzenpolitiker spielen während ihrer Karriere mehrere Rollen, und mit der Rolle ändert sich zuweilen die Perspektive. Sigmar Gabriel gab in seiner Funktion als Bundesumweltminister bis 2009 den Vorreiter in Sachen Klimaschutz. Als heutiger Wirtschaftsminister setzt sich SPD-Chef Gabriel für den Erhalt von Kohlekraftwerken ein und positioniert sich damit gegen seine Parteigenossin und Umweltministerin Barbara Hendricks. Kritiker sehen ihn auf dem Weg vom Klimaretter zum Kohlekumpel.
„Gabriel verkündet Abkehr von Klimaschutzzielen“, titelte gestern „Spiegel online“ und berief sich dabei auf Äußerungen des SPD-Chefs in einer internen Unterredung. „Ist doch klar, dass das Ziel nicht zu halten ist“, habe der Vizekanzler gesagt, und: „Wir können nicht von jetzt auf gleich aus der Kohle raus.“ Dagegen hatte Hendricks auf der Abschaltung alter Kohlemeiler bestanden, damit Deutschland sein Ziel, den Kohlendioxid-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken, einhalten könne. Dieser Machtkampf sei geklärt: Gabriel habe Hendricks in einem vertraulichen Gespräch erklärt, dass er weiteren Widerstand gegen seine Linie nicht dulden werde. „Das läuft so nicht“, habe er gesagt.
Interessenkonflikt zwischen Umwelt- und Wirtschaftsministerium bleibt
Das Dementi kam prompt und von beiden Seiten. Das fragliche Gespräch habe es nie gegeben, ließ Hendricks wissen. Deutschland werde das 40-Prozent-Ziel schaffen, sagte Gabriel der ARD. Der Interessenkonflikt zwischen Umwelt- und Wirtschaftsministerium bleibt dennoch bestehen. Hendricks hat einen Klimaschutzplan zur Einsparung von zusätzlichen 62 bis 100 Millionen Tonnen CO2 vorgelegt. Er soll am 3. Dezember beschlossen werden, hat aber noch viele Leerstellen, vor allem im Kraftwerkssektor. Ohne zusätzliche Begrenzung des CO2-Ausstoßes würde Deutschland nach jetzigem Stand bis 2020 nur auf rund 33 Prozent Einsparungen kommen.
Dass alte Kohlemeiler vom Netz müssten, hat Gabriel nie bestritten. Anders als Hendricks spricht er sich aber strikt gegen eine zwangsweise Abschaltung aus, dies sollten die Unternehmen selbst entscheiden, betonte er in einem Strategiepapier. Seine Formulierungen waren eindeutig: „Wir müssen endlich Schluss machen mit den Illusionen in der deutschen Energiepolitik. Man kann nicht zeitgleich aus der Atomenergie und der Kohleverstromung aussteigen“, schrieb er. Andernfalls explodierten die Strompreise und drohe eine Abwanderung der Industrie.
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Freiwilliges Abschalten reicht nicht
Ganz anders als in seiner Zeit als Umweltminister klang auch diese Argumentation: Die Stilllegung deutscher Kohlekraftwerke führe in Europa nicht zu einer Tonne CO2- Einsparungen, weil frei werdende Verschmutzungsrechte dann von anderen Kraftwerken in Europa übernommen würden. Als Umweltminister verstand Gabriel Deutschland dagegen noch als Vorreiter in Sachen Klimaschutz.
Das Energieland NRW wäre von Zwangsstilllegungen alter Kohlemeiler besonders betroffen. Dabei melden die Konzerne seit geraumer Zeit von sich aus Dutzende Kraftwerke zur Stilllegung an, weil sie sich nicht mehr rentieren. Zuletzt musste die Bundesnetzagentur die Betreiber eher zum Weitermachen zwingen als umgekehrt. So wurde der EnBW zu Jahresbeginn untersagt, Kohle- und Gaskraftwerke vom Netz zu nehmen, weil sie als systemrelevant gelten. Das Netz braucht konventionelle Reserven für Zeiten, in denen der Ökostrom nicht so üppig fließt.
Das freiwillige Abschalten reicht für die Klimaziele indes nicht, denn es werden vor allem Steinkohle- und effiziente Gaskraftwerke zur Stilllegung angemeldet. Den mit Abstand größten CO2-Ausstoß haben aber die Braunkohlekraftwerke – deren Leistung erzielte 2013 einen neuen Rekord.